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Aus: Ausgabe vom 12.04.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Schon wieder Krieg verloren

Von Arnold Schölzel
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Der stellvertretende Bild-Chefredakteur und Kriegsreporter Paul Ronzheimer hat sich mehr als 50 Minuten mit Brigadegeneral a. D. Erich Vad unterhalten. Der kommt nur noch selten in großen Medien zu Wort, seitdem er andere Analysen des Kriegsverlaufs vorlegte als die NATO-Propaganda einschließlich Bild. Eine Videoaufzeichnung des Gesprächs steht unter dem Titel »Der Krieg ist verloren für die Ukrainer!« seit Sonnabend vergangener Woche auf bild.de. Ronzheimer erläutert, dass er sich auch einmal mit jemandem unterhalten möchte, »dessen Meinung ich nicht unbedingt teile« und den er schon »hart kritisiert« habe.

Erste Frage: »Was war Ihr größter Irrtum beim Blick auf den Ukraine-Krieg in den vergangenen gut drei Jahren?« Antwort: »Das war die Bewertung ganz am Anfang.« Russland habe eine Geheimdienstoperation zum Regime-Change in Kiew mit Luftlandekräften gestartet und seine, Vads, Einschätzung sei gewesen, dass das nur eine Frage von Tagen sei. Frage: »Warum waren Sie sich so sicher?« Antwort: »Weil ich als Militärexperte weiß, wie man Regime-Change-Operationen macht. Unser wichtigster Verbündeter, die Amerikaner, haben da reichhaltige Erfahrung, vor allem in Lateinamerika, aber nicht nur dort. Und das sind natürlich schnelle Operationen, wo die Geheimdienstkräfte vor Ort sind, Kommandotruppen dabei sind und man die Regierung sehr schnell auswechselt.« Das hätten die Russen am Anfang vorgehabt. Frage: »Haben Sie die russische Armee für stärker gehalten als sie ist?« Vad erläutert, dass Zeit und Ort der russischen Luftlandeoperation den Ukrainern bekannt gewesen sei und »die Russen da richtig blutig ins Messer gelaufen« seien. Das sei »aufgrund amerikanischer Geheimdienstinformationen, die ja immer noch essentiell für die Ukraine sind«, geschehen. Damals hätten alle Geheimdienste erklärt, die Aktion dauere nur ein paar Tage – mit Ausnahme von Florence Gaub, die sei vorsichtig gewesen.

Der Hinweis auf die Forschungsdirektorin des NATO Defense College in Rom und ihre Einzelmeinung – die Abschweifung sei erlaubt – hat vielleicht mit jener Herrenvolkideologie zu tun, die Gaub, alle Hauptmedien des Westens und wiederum allen voran Bild (Schlagzeile am Freitag: »Russen-›Fleischwolf‹ erobert weitere Dörfer«) pflegen. Gaub machte sich jedenfalls in diesem Krieg dadurch einen Namen, dass sie in der ZDF-Sendung »Markus Lanz« im April 2022 auf die Frage »Wird die russische Bevölkerung sich nicht auflehnen gegen Putin, wenn immer mehr tote junge Soldaten aus der Ukraine zurückkommen?« antwortete: »Wir dürfen nicht vergessen – auch wenn Russen europäisch aussehen –, dass es keine Europäer sind, jetzt im kulturellen Sinne, einen anderen Bezug zu Gewalt, zum Tod haben. (…) Das gibt da nicht diesen liberalen, postmodernen Zugang zum Leben.« Gaub hat recht. Voraus­setzung eines regelbasierten NATO-Krieges ist, dass abgeschlachtet werden darf, wenn klar ist, dass bei der massakrierten Bevölkerung Tod und Leben im kulturellen Sinn verschwimmen – in Serbien, in Afghanistan, im Irak, in Libyen und bei Russen grundsätzlich. Die Kiewer Banderisten sahen das seit 2014 bei den Bewohnern der Ostukraine genauso und auf Bandera-Niveau sollte die NATO mindestens die eigenen Nationen moralisch aufrüsten.

Ronzheimer belästigt Vad nicht mit diesem, seinem Hauptgeschäft, sondern lässt den Fachmann vom militärischen Verlauf reden. Der hält Russland nicht für in der Lage, die NATO anzugreifen, aber er wolle seinem Schwur als Soldat gemäß nicht zulassen, »dass dieses Land von Dilettanten in einen Weltkrieg mit Russland geführt wird«. Der Vorkrieg dazu ist aus seiner Sicht schon verloren.

Voraussetzung eines regelbasierten NATO-Krieges ist, dass abgeschlachtet werden darf, wenn klar ist, dass bei der massakrierten Bevölkerung Tod und Leben im kulturellen Sinn verschwimmen – in Serbien, in Afghanistan, im Irak, in Libyen und bei Russen grundsätzlich.

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  • Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (13. April 2025 um 03:17 Uhr)
    Dass wir es mit Dilettanten zu tun haben, wundert wirklich nicht. Als das ukrainische Militär 2023 in die Offensive gehen wollte, konnte ich nur bitter lachen und meinte zu einer Freundin: »Damit hat Russland dann gewonnen: Die brauchen sich nur eingraben und in Geduld üben.« Genau so ist es gekommen, und ich bin nun wirklich kein »Militärexperte«. Als Totalverweigerer wohl sogar eher das Gegenteil. Die Einschätzung beruhte einzig und allein auf ein paar hundert Stunden Zocken von Kriegs- und Strategiesimulationen. Jede Wette, dass jedem:r Gamer:in, der:die einen ähnlichen Fokus hat, das genau so schon vor Jahren, vor zig Milliarden Euro und vor ein paar hunderttausenden hirngewaschenen und dann elendig Verreckten ganz genau so klar war. Der General ist aber auch ein Dilettant, denn das Wesentliche begreift er auch nicht. Die »Gruppen gegen Kapital und Nation« haben das kürzlich treffend zusammen gefasst, Zitat: »Es lohnt sich nicht, sich für das Vaterland zu opfern, für es zu kämpfen, zu töten und zu sterben. Lasst die USA Grönland haben, lasst Russland Europa dominieren, lasst China, Russland und die USA das Vereinigte Königreich seiner Fähigkeit berauben, seine Interessen zu verteidigen, lasst die Türkei das Mittelmeer haben, lasst Argentinien die Falkland-Inseln haben, lasst den Eindringling jedes Stück Territorium haben, das er will. Es spielt keine Rolle, welche Staatsmacht ein Stück Land beherrscht, aber es spielt eine Rolle, was sie den Leuten antut, über die sie herrscht. Welches Regime die Eroberer auch immer haben mögen, es wird (wenn dann) durch einen Generalstreik besiegt, nicht dadurch, dass man auf die Kriege seiner Gegner um Respekt in dieser neuen multipolaren Weltordnung einsteigt. Auf allen Seiten eines Krieges zwischen Großmächten haben die Leute, die in den Briefings der Regierungen auf Opfer- und Kriegsbereitschaftsstatistiken reduziert werden, mehr miteinander gemein als mit den Leuten, die sie zum Töten, Verstümmeln und Sterben schicken.«
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (14. April 2025 um 15:18 Uhr)
      Ihr letzter Absatz trifft den Nagel auf den Kopf! »Dem Militarismus keinen Mann und keinen Groschen!« (1887 - W. Liebknecht).

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