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Aus: Ausgabe vom 12.04.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Schutzzoll oder Freihandel? Unwesentlich

Lenin 1916: Kapitalismus bedeutet Konzentration der Produktion in immer größeren Betrieben. Das führt zur Entstehung von Monopolen
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Rauchende Schlote eines Industriegebietes bei Manchester im Jahr 1870

Das ungeheure Wachstum der Industrie und der auffallend rasche Prozeß der Konzentration der Produktion in immer größeren Betrieben ist eine der charakteristischen Besonderheiten des Kapitalismus. In Deutschland z. B. waren von je tausend Industrieunternehmungen Großbetriebe, d. h. Betriebe mit mehr als 50 Lohnarbeitern: im Jahre 1882–3, im Jahre 1895–6 und im Jahre 1907–9. (…) Weniger als ein Hundertstel der Betriebe verfügt über mehr als drei Viertel der gesamten Dampf- und Elektrizitätskraft. Auf die 2,97 Millionen Kleinbetriebe (mit höchstens fünf Lohnarbeitern), die 91 Prozent der Gesamtzahl der Betriebe ausmachen, entfallen im ganzen sieben Prozent der Dampf- und Elektrizitätskraft. Einige zehntausend Großbetriebe sind alles; Millionen von Kleinbetrieben sind nichts. (…)

Der deutsche bürgerliche Ökonom Heymann (…) sagt: »Der einzelne Betrieb wird stetig größer; immer mehr Betriebe der gleichen oder verschiedener Art ballen sich zu Riesenunternehmungen zusammen, die in einem halben Dutzend Berliner Großbanken ihre Stützen und ihre Leiter finden. Für die Montanindustrie ist die Richtigkeit der Konzentrationslehre von Karl Marx exakt nachgewiesen, jedenfalls in einem Land, in dem sie, wie bei uns, durch Zölle und Frachttarife geschützt wird. Die Montanindustrie Deutschlands ist reif zur Expropriation.«

Zu diesem Schluss musste ein ausnahmsweise gewissenhafter bürgerlicher Ökonom kommen. Es sei bemerkt, dass er Deutschland in Anbetracht der hohen Industrieschutzzölle eine gewisse Sonderstellung einräumt. Aber dieser Umstand konnte die Konzentration und die Bildung von monopolistischen Unternehmerverbänden, Kartellen, Syndikaten usw. nur beschleunigen. Es ist außerordentlich wichtig, dass im Lande des Freihandels, in England, die Konzentration ebenfalls zum Monopol führt, wenn auch etwas später und vielleicht in anderer Form. So schreibt Professor Hermann Levy in einer speziellen Untersuchung über Monopole, Kartelle und Trusts auf Grund der Daten über die wirtschaftliche Entwicklung Großbritanniens:

»In Großbritannien ist es die Größe der Unternehmung und ihre Leistungsfähigkeit, welche eine monopolistische Tendenz in sich trägt. Dies einmal dadurch, dass die großen Kapitalinvestitionen pro Unternehmung, sobald einmal die Konzentrationsbewegung eingesetzt hat, wachsende Anforderungen an die Kapitalbeschaffung neuer Unternehmungen stellen und damit ihr Aufkommen erschweren. Weiter aber (und dies scheint uns der wichtigste Punkt zu sein) repräsentiert jede neue Unternehmung, welche mit den auf Grund des Konzentrationsprozesses entstandenen Riesenunternehmungen Schritt halten will, ein so großes Mehrangebot von Produkten, dass sie, um diese abzusetzen, entweder nur bei einer enorm wachsenden Nachfrage mit Nutzen verkaufen könnte oder aber sofort die Preise auf ein für sie wie für die Monopolvereinigungen unrentables Niveau drücken würde. Zum Unterschied von anderen Ländern, wo die Schutzzölle die Kartellbildung erleichtern, entstehen in England monopolistische Unternehmerverbände, Kartelle und Trusts in der Regel nur dann, wenn die Zahl der wichtigsten konkurrierenden Unternehmungen ›nicht mehr als ein paar Dutzend‹ ausmacht. Hier allein tritt für ein ganzes Wirtschaftsgebiet der Einfluß der Konzentrationsbewegung auf die großindustrielle Monopolorganisation in kristallisierter Reinheit zutage.«

Vor einem halben Jahrhundert, als Marx sein »Kapital« schrieb, erschien der überwiegenden Mehrheit der Ökonomen die freie Konkurrenz als ein »Naturgesetz«. Die offizielle Wissenschaft versuchte das Werk von Marx totzuschweigen, der durch seine theoretische und geschichtliche Analyse des Kapitalismus bewies, dass die freie Konkurrenz die Konzentration der Produktion erzeugt, diese Konzentration aber auf einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung zum Monopol führt. Das Monopol ist jetzt zur Tatsache geworden. Die Ökonomen schreiben Berge von Büchern, beschreiben die einzelnen Erscheinungsformen des Monopols und verkünden nach wie vor einstimmig, dass der »Marxismus widerlegt« sei. Aber Tatsachen sind ein hartnäckig Ding, sagt ein englisches Sprichwort, und man muss ihnen wohl oder übel Rechnung tragen. Die Tatsachen zeigen, dass die Unterschiede zwischen einzelnen kapitalistischen Ländern, z. B. in Bezug auf Schutzzoll oder Freihandel, bloß unwesentliche Unterschiede in der Form der Monopole oder in der Zeit ihres Aufkommens bedingen, während die Entstehung der Monopole infolge der Konzentration der Produktion überhaupt ein allgemeines Grundgesetz des Kapitalismus in seinem heutigen Entwicklungsstadium ist.

N. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Petrograd 1917. Hier zitiert nach: ­Wladimir Iljitsch Lenin: Werke, Band 22. Dietz-Verlag, Berlin 1974, Seiten 203– 206

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