Gegründet 1947 Mittwoch, 30. April 2025, Nr. 100
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben

Taktik und Strategie der US-Zollpolitik

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs
Von Lucas Zeise
Lucas_Zeise_Logo.png

Kurzfristig war der Rückzug Donald Trumps am vergangenen Mittwoch ausnahmsweise tatsächlich ein kluger Schachzug. Er verschob die (unterschiedlichen) Einfuhrzölle aus aller Herren Länder – von Albanien über Lesotho bis Vietnam – um 90 Tage, »senkte« sie bis dahin auf »nur« zehn Prozent und erhöhte dafür die aus China mit sofortiger Wirkung auf zuletzt 145 Prozent auf den Einfuhrwert. Er werde mit allen Ländern, deren Regierungen angekrochen kommen, um »meinen Arsch zu küssen«, dann neue Abkommen aushandeln, versprach er. Der durchschnittliche Zollsatz für chinesische Importe werde sich damit von 20,8 Prozent bei Trumps Regierungsübernahme auf 134,7 Prozent erhöhen, errechnete eine eifrige US-Institution, die den Überblick wohl noch hat. Schon im März haben sich die Zolleinnahmen der US-Regierung gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel auf acht Milliarden US-Dollar erhöht, berechnete die zuständige Finanzbehörde. Das ist im Vergleich zum Gesamtbudget des US-Bundesstaates noch kümmerlich. Aber dem Ziel der Trump-Regierung, die progressive Einkommenssteuer durch Zolleinnahmen zu ersetzen, kommt sie schon näher. Zolleinnahmen sind in ihrer Wirkung ähnlich der hiesigen Mehrwertsteuer. Sie belasten die Konsumenten und damit die Armen mehr als die Reichen.

Da China der bei weitem größte Warenimporteur in die USA ist, könnten die satt erhöhten Zölle für China die auf zehn Prozent gesenkten Tarife für den Rest der Welt (abgesehen von den 25 Prozent auf Einfuhren aus Mexiko und Kanada) vielleicht etwas ausgleichen. Zugleich konzentriert man sich so auf den Hauptfeind. Schließlich muss auch Trump aufgefallen sein, dass die Schlachtaufstellung USA gegen den Rest der Welt für unwahrscheinliche Allianzen sorgen könnte. So haben China, Japan und Südkorea schon Beratungen über Handelsabkommen begonnen, und selbst in der BRD wird laut darüber nachgedacht, ob man China ein wenig näherkommen sollte.

So weit die Taktik. Strategisch ist Trumps Vorliebe für Zölle völlig verfehlt. In diesem Punkt muss man den liberalen und neoliberalen Anbetern des freien Welthandels recht geben. Importzölle sind für sich entwickelnde Industriestaaten eine Notwendigkeit, um das heimische Kapital vor produktiveren ausländischen Konkurrenten zu schützen. So schoben sich im 19. Jahrhundert Deutschland und andere europäische Länder an der kapitalistischen Führungsmacht Britannien vorbei an die Spitze. Die glorreiche Zeit, als die USA sich unter dem Schutz von hohen Importzöllen zur größten Industrienation entwickelt hatten, dauerte bis zum Ersten Weltkrieg. Danach wirkten die Zölle auch für das dann führende kapitalistische Land in der Weltwirtschaftskrise kontraproduktiv. Die Deindustrialisierung der USA seit dem Zweiten Weltkrieg, die Trump nun zu bekämpfen vorgibt, ist zum größten Teil Ergebnis des Kapitalexports und der Verlagerung industrieller Kapazitäten in Niedriglohnländer. Diesen Prozess rückgängig machen zu wollen, werden die Kapitalisten des großartigen Landes, wie die Börse zeigt, auch Herrn Trump nicht erlauben.

Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (13. April 2025 um 14:26 Uhr)
    Bei den von Trump verhängten Zielen muss man zwischen kurz- und langfristigen Wirkungen unterscheiden. Kurzfristig überwiegen klar die destruktiven Wirkungen. Diverse ohne Zölle kalkulierte Investitionen müssen quasi umgehend abgeschrieben werden, was die Aktienkurse drückt. Neue Investitionen unter Berücksichtigung der Zölle – sofern man den Zöllen langfristige Dauer zugestehen will – greifen hingegen erst verzögert. Ich nehme die Dauer eines Konjunkturzyklus mal als Maßstab und tippe ganz grob, dass eine Investitionsentscheidung nach der halben Dauer eines Zyklus umgesetzt ist und wirksam wird. Selbst wenn die Zölle über Trumps Amtszeit hinaus gesichert wären, muss bzw. müsste Trump also ein paar Jahre warten, bis sich Produktion spürbar in die USA zurückverlagert hat. Zwischenzeitlich sorgt der zollbedingte Einbruch von Importen in den USA zum einen für Preiserhöhungen bei den Importartikeln. Und – vielleicht wichtiger: Weniger Import in die USA bedeutet weniger Dollar für die Welt, was den Status des Dollars als Weltwährung untergräbt. Sowohl der Inflationsschub als auch der Verlust des Weltwährungsstatus für den Dollar ist mit Trumps Zielsetzungen nicht vereinbar. Die Verkäufe der Dollar-Staatsanleihen scheinen die zollbedingt erzwungene Abkehr der Welt vom Dollar vorwegzunehmen. Ein alternativ denkbarer Effekt – nämlich dass die Exporteure in der Welt ihre Exporte in die USA künstlich verbilligen, um weiterhin an Dollar kommen zu können – scheint offenbar zu teuer zu sein. Der Abschied des Dollars von seiner Rolle als Weltwährung käme Trumps Streben nach einer ausgeglicheneren Handelsbilanz eigentlich sehr zupass. Wenn die Nachfrage nach Dollar sinkt, dann sinkt auch der Kurs des Dollars, und das würde amerikanische Exporte beflügeln sowie Importe nach Amerika verteuern.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (12. April 2025 um 09:38 Uhr)
    Die Aussage Lucas Zeises, der kurzfristige Rückzug Donald Trumps von ursprünglich noch drastischeren Zollerhöhungen sei »ausnahmsweise tatsächlich ein kluger Schachzug gewesen«, erscheint mir widersprüchlich und nicht überzeugend begründet. Selbst der weitere Verlauf des Artikels spricht eher gegen diese Einschätzung. So betont Zeise selbst, dass die Zolleinnahmen – trotz eines Anstiegs – im Vergleich zum Gesamtbudget der USA »kümmerlich« seien. Noch gravierender: Zölle wirken wie eine regressive Konsumsteuer, treffen also in erster Linie die ärmeren Bevölkerungsschichten – ein klar sozial ungerechtes Instrument, das kaum als »klug« bezeichnet werden kann. Hinzu kommt: Zeise selbst stellt fest, dass die Deindustrialisierung der USA eine Folge von jahrzehntelangem Kapitalexport und Produktionsverlagerung ist – also strukturellen Prozessen, die sich kaum durch protektionistische Maßnahmen wie Strafzölle umkehren lassen. Wenn selbst die ökonomischen Eliten – etwa die Börse – signalisiert haben, dass sie Trumps Wirtschaftspolitik in dieser Hinsicht nicht mittragen, stellt sich umso dringlicher die Frage: Was soll dieser Zollkrieg eigentlich bewirken? Statt einer Reindustrialisierung durch Strafzölle scheint die US-Politik auf eine andere Strategie zu setzen: die Erschließung und Sicherung von Ressourcen in rohstoffreichen Regionen wie Kanada, Grönland oder der Arktis. Dafür aber braucht es geopolitische Stabilität und internationale Kooperation – nicht Eskalation. In diesem Licht erscheint auch Trumps auffällige Bereitschaft zur Annäherung an Russland weniger überraschend: Es geht um geopolitische Räume, die nur mit einer gewissen außenpolitischen »Ruhe« für Investitionen erschlossen werden können. Fazit: Weder taktisch noch strategisch lässt sich Trumps Zollpolitik sinnvoll verteidigen. Der Versuch, wirtschaftliche Strukturprobleme mit Handelskriegen zu lösen, ist nicht nur sozial ungerecht, sondern auch ökonomisch ineffektiv und geopolitisch riskant.

Ähnliche:

  • Der internationale Handelsclinch hat Folgen: Produzierte Vehikel...
    08.04.2025

    Bazooka mit Rückstoß

    Donald Trumps Zolloffensive provoziert Reaktionen. US-Wirtschaft mit mehreren Schwachstellen
  • Der Karren rollt nicht mehr rund, der Warenverkehr unterliegt He...
    03.02.2025

    Wie du mir, so ich dir

    Handelskrieg. Mexiko, Kanada und China reagieren auf US-Zölle mit Gegenmaßnahmen. Die Schäden von Trumps Protektionismus zahlen US-Konsumenten
  • Wann sie schreiten Seit an Seit. Zwei Haudegen des Kapitals im W...
    11.01.2025

    Trumps Triumph

    Vorabdruck. Kabinett des Grauens. Am 20. Januar tritt Donald Trump seine zweite Amtszeit als Präsident an. Ein Überblick über die neue US-Regierung

Regio:

Mehr aus: Kapital & Arbeit