»Von Armut berichten, statt sie auszustellen«
Von Interview: Gitta Düperthal
In Ihrem Film »This is poor!« geht es um Muster der Armut – und darum, dass die Wahrnehmung von Klassenunterschieden eine Frage der Perspektive ist. Im Film verbiegen sich die Menschen mitunter sichtbar körperlich, um das zu zeigen. Ist das auch real so?
Ein Perspektivwechsel kann ermächtigend sein und dazu anregen, an Hierarchien zu rütteln. Die Ausgangsperspektive des Films ist vor allem mein eigener Armutshintergrund. So hat mich auch der krasse Kontrast zwischen den bunt gemusterten Wohnräumen meiner Kindheit und den weitläufigen, weißen Räumen, in denen ich jetzt ausstelle, nachdenklich gemacht. Ich wollte diesen angeblich neutralen Ausstellungsräumen der bourgeoisen Kunst, auch White Cube genannt, etwas entgegensetzen. Ich zelebriere die vielfältigen Dekore meiner Kindheit als kritische Gegenästhetik. Für mich markiert diese Arbeit, nicht nur persönlich diesen »White Cube« zu besetzen, sondern alle dort nicht Vorkommenden einzuladen, es zu tun. Ziel ist, die Ursachen gesellschaftlicher Ausschlüsse zu analysieren und von Armut zu berichten, statt sie auszustellen.
Welche Rolle spielt Armut in Ihrer persönlichen Lebensgeschichte?
Meine Eltern lebten von staatlicher Unterstützung. Mir ist wichtig, wenn ich Armut thematisiere, auch meine eigene Herkunft zu outen. Das Privatfernsehen stigmatisiert oft Armut und stellt sie menschenverachtend aus. Auch die AfD manifestiert, wie arme Menschen zum Feindbild erklärt werden. Das erinnert an schreckliche Zeiten: Der schwarze Winkel war zur NS-Zeit für jene vorgesehen, die in den Augen der Faschisten als »Asoziale« galten, etwa für Menschen ohne Obdach oder feste Arbeit. Widerständige Kunst aber vermag Armut ästhetisch so darstellen, dass sie sich einem bürgerlichen Kunstbegriff entgegenstellt. Dies kann Museen infiltrieren, die mit ihren weißen Räumen den Luxus der Ober- und oberen Mittelschicht simulieren.
Im Film will eine Gruppe den Aufstand proben, das aber im Sitzen tun.
Ich möchte kollektiv, mit vielen Stimmen und in vielfältiger Weise von Armut sprechen. Findet der Aufstand im Sitzen statt, ist das auch der Tatsache geschuldet, dass ältere Personen dabei sind, deren Bedürfnisse berücksichtigt werden. Ich habe mit dem Berliner Straßenchor kooperiert, mit Personen, die verschiedene Armutserfahrungen durchlebt haben: Obdachlosigkeit oder Kontakt mit Drogen. Die bürgerliche Dominanzgesellschaft begrenzt den Bewegungsraum armer Menschen. Davon sollte Kunst erzählen.
Sie arbeiten sich im Film an der bis heute leerstehenden Bauruine des Steglitzer Kreisels in Berlin ab, ein Fass ohne Boden für Steuergelder. Welche Folgen resultieren daraus politisch?
Der Kreisel ist ein Spitzname nach Berliner Mundart und definiert das Schicksal, das sich mit dem Gebäude verbindet. Als Symbol des Kapitalismus Westberlins sollte das Hochhaus ehemals das sozialistische Ostberlin überschatten, rutschte jedoch von einer Pleite in die nächste. Die neoliberale Kreisbewegung begann in den 1960er Jahren, als das Gebäude als ewige Baustelle von einem Immobilienskandal in den nächsten kam und der Berliner Senat mit Steuergeldern eingriff. Zeitweise zog das Sozialamt dort ein. Kürzlich wollte das Immobilienunternehmen Adler Group dort Eigentumswohnungen errichten, bevor ein Gericht gegen die Firma Zwangsgeld verhängte. Sinnbildlich: Das kapitalistische System ist nur für wenige Superreiche da, selbst das Bürgertum kann nicht mehr profitieren.
Sollte Filmkunst politisch sein?
Ich rechne es dem IFFF hoch an, den Kontexten, die uns aktuell umtreiben, Raum zu geben, auch bei Klassenfragen. Filme werden hier feministisch-intersektional betrachtet. Das heißt auch, antirassistisch zu handeln. So ist der diesjährige Fokus mit dem Titel »Filme dekolonialisieren« gesetzt. Unsere Welt ist zu komplex, um nur eine Unterdrückungskategorie zu bedenken.
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