Kiews Faustpfand schwindet
Von Lars Lange
Die militärische Lage in der russischen Oblast Kursk hat sich dramatisch verändert. Mit dem Fall der strategisch wichtigen Stadt Sudscha kontrolliert die Ukraine nur noch knapp 100 Quadratkilometer russischen Territoriums. Die russischen Streitkräfte konnten innerhalb von nur 72 Stunden etwa 290 Quadratkilometer zurückerobern. Der entscheidende Faktor für den russischen Erfolg war eine sogenannte operative Einkesselung. Durch einen gezielten Flankenangriff in Richtung des Dorfes Oleschnja brachten russische Einheiten die Hauptversorgungsroute R200 der ukrainischen Truppen nach Sudscha unter ihre Feuerkontrolle.
Dabei kamen vor allem FPV-Drohnen mit Glasfaserkabeln, Gleitbomben und Artillerie zum Einsatz. Diese Strategie führte dazu, dass Verstärkungen die ukrainischen Linien nur unter größten Mühen und hohen Verlusten erreichen konnten. Vor allem mit dem Einsatz der verkabelten FPV-Drohnen wurden zahlreiche ukrainische Ausrüstungsgegenstände zerstört. Die neuen Drohnen sind nicht durch Mittel der elektronischen Kriegführung zu stören und im Gebiet Kursk zum ersten Mal im Ukraine-Krieg massenhaft zum Einsatz gekommen.
Besonders dramatisch entwickelte sich die Lage bei Sasulewka, wo es den russischen Truppen offenbar gelang, ukrainische Truppenteile vollständig einzukesseln. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Verluste erheblich sind und möglicherweise zahlreiche Soldaten in russische Gefangenschaft geraten sind. Vorausgegangen war hier ein Einsatz von russischen Spezialkräften, die über eine stillgelegte Gaspipeline circa 15 Kilometer hinter die Linien der ukrainischen Kräfte gelangen konnten.
Der X-Kanal »Kriegsforscher« berichtet ebenso von einer ungewöhnlich hohen Konzentration russischer Elitetruppen im Kampfgebiet, was auf den hohen Stellenwert der dortigen Operation hinweist. Hinzu kamen die besten FPV-Drohnenoperateure der Streitkräfte, die speziell auf die schwieriger zu steuernden Glasfaserkabeldrohnen geschult wurden. Ein weiterer entscheidender Faktor war die offensichtliche Abwesenheit ukrainischer Luftverteidigungssysteme in der Region. Videoaufnahmen zeigen drei Helikopter und vier Kampfflugzeuge, die ungehindert über dem Kursk-Gebiet operieren konnten. Der Einsatz der russischen Luftwaffe über der seit August umkämpften Region dürfte ein wichtiger Erfolgsfaktor gewesen sein. Bereits im Oktober hatte ein ukrainischer Soldat davon berichtet, dass Russland innerhalb von 24 Stunden 84 Gleitbomben gegen ein einziges Dorf und umliegende Waldgebiete eingesetzt hatte.
In einer symbolträchtigen Geste besuchte der russische Präsident Wladimir Putin am Mittwoch die Region – seine erste Visite seit Beginn der ukrainischen Offensive in diesem Gebiet. Gekleidet in Militäruniform, inspizierte er ein Kontrollzentrum der russischen Streitkräfte und demonstrierte damit die hohe Priorität, die der Kreml der vollständigen Rückeroberung des Territoriums beimisst.
Die zentrale Frage ist nun, ob Russland das gewonnene Momentum nutzt und gegen die ukrainischen Kräfte in Kursk weiter vorstößt, womöglich sogar über die Grenze ins ukrainische Territorium. Die Ausgangslage gestaltet sich für die russischen Streitkräfte äußerst günstig: Zum einen sind die ukrainischen Einheiten vor Ort nach den jüngsten Rückschlägen wahrscheinlich desorganisiert und geschwächt, was Vorstöße erheblich erleichtern dürfte. Zum anderen konnte Russland über die vergangenen Monate eine funktionierende Logistikkette in der Region etablieren, die weitere militärische Operationen tief in ukrainischem Gebiet begünstigt. Angesichts dieser strategischen Vorteile erscheint ein Vorrücken über die Grenze höchst wahrscheinlich. Die Niederlage in Kursk könnte unterdessen weitreichende Folgen für die Ukraine haben: Der Verlust von Ausrüstung und erfahrenen Truppen könnte es der ukrainischen Führung erheblich erschweren, andere gefährdete Frontabschnitte zu stabilisieren.
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