»Was, wenn ich auch gefilmt wurde?«
Von Sofia Willer
Die Frauentoilette im dritten Stock der geisteswissenschaftlichen Bibliothek an der Universität Duisburg-Essen sieht nicht mehr aus wie vorher: Hier ließ die Unileitung kürzlich einen Sichtschutz aus Holzbrettern unten an die Kabinen montieren. Der Grund: Auf dieser Toilette wurde Anfang des Jahres ein Video aufgenommen, das zeigt, wie eine Studentin einen Mann konfrontiert, der dort heimlich filmte – das Bild wackelt, der Mann ist kurz zu sehen, sie schreit, dann rennt sie ihm auf dem Flur nach, und das Video bricht ab.
Ungefähr drei Wochen später fragt eine junge Frau auf dem Campus: »Habt ihr von dem Vorfall mit der Kamera gehört?« Ihre Kommilitoninnen antworten energisch: »Ja.« Diese Nachricht ist an keiner vorbeigegangen. Eine Studentin berichtet, dass es ihr immer noch »eiskalt den Rücken runterläuft«, wenn sie daran denkt, wie die junge Frau auf der Frauentoilette gefilmt wurde. Das Schlimmste sei aber gar nicht die Nachricht von dem Vorfall, sondern die Ungewissheit: »Uns wird gesagt, dass es Gespräche gibt, dass Maßnahmen ergriffen werden. Aber das Gefühl, dass mich auch jemand gefilmt, eine kleine Kamera installiert hat, das ist immer da. Wer weiß, was jetzt für Videos oder Fotos im Internet sind?«, berichtet die Studentin Elif besorgt.
Der AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss) reagierte am 7. Januar mit einer Pressemitteilung. Es werde sich gekümmert, man stehe mit der Universitätsleitung in Kontakt und bitte darum, zum Schutz der Betroffenen das Video nicht weiterzuverbreiten. Dann eine Woche Stille. Schließlich folgt am 15. Januar die erste E-Mail vom Rektorat an die rund 40.000 Studierenden. Sie ist beschwichtigend. Es werde über »die Wichtigkeit von sicheren Räumen und zukünftigen Sicherheitsmaßnahmen« gesprochen. Sichtschutz und Achtsamkeit.
Doch Elifs Sorge ist berechtigt. Auf jW-Anfrage bestätigte die Polizei Duisburg, dass »zwei Frauen Anzeige erstattet haben, weil sie auf Toiletten der Uni Essen/Duisburg gefilmt bzw. beobachtet worden sein sollen. Die Polizei ermittelt wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen.«
Wer »Frauentoiletten, versteckte Kamera« googelt, findet zahllose Ergebnisse. Sexualisierte Gewalt findet schon längst nicht mehr nur im realen Leben statt: Die digitale Welt ist zu einer Quelle von Übergriffen geworden, die mit erschreckender Wechselwirkung in unseren Alltag einzieht. Nur ein Beispiel: 70.000 Mitglieder hatte die Telegram-Chatgruppe, in der Männer allen Alters Tips zur Betäubung und Vergewaltigung von Frauen austauschten, und die Ende Dezember von STRG_F aufgedeckt wurde. Die Angst einer Studentin, beim Wechsel ihres Tampons oder beim Klogang gefilmt worden zu sein, ist also nicht nur Angst um die Verletzung der Intimsphäre. Es ist eine Reaktion auf systematische patriarchale Gewalt – auf Kontrollverlust und Hilflosigkeit, die ein sexistischer Angriff mit sich bringt.
Vor dem Eingang der Bibliothek der Universität Duisburg stehen Dreiergruppen von Sicherheitspersonal mit gelben Westen, Handwerker laufen durchs Haus. Vermutlich sollen alle Toiletten mit dem hölzernen Sichtschutz ausgestattet werden. Es stellt sich die Frage: Um wessen Sicherheit geht es hier? Holzbretter an Klotüren schützen nicht vor installierten Kameras. Sicherheitspersonal und Kontrollen an Universitätstüren helfen nicht bei patriarchaler Gewalt, genauso wenig wie moralische Ansprachen über »Respekt und Achtsamkeit«. Die Reaktion der Universitätsleitung auf die Studierendenproteste im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass der Ausbau von Überwachung an Universitäten im Interesse aller außer den Studierenden selbst ist. Die Haltung, die sowohl das Rektorat als auch der AStA seit dem Auftauchen des Videos eingenommen haben, lässt sich so zusammenfassen: bloß keinen Skandal entstehen lassen. Was bleibt, ist die Angst der Studentinnen: »Was, wenn ich auch gefilmt wurde?«
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