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Aus: Ausgabe vom 09.01.2025, Seite 8 / Ansichten

Zuckerbergs Gewissen

Meta stellt Fact-Checking ein
Von Felix Bartels
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Konzern kommt von concern

Neues von Marx Zuckerberg? Von Groucho jedenfalls stammt das schöne Wort: »Das sind meine Prinzipien. Wenn Sie Ihnen nicht gefallen, ich habe auch noch andere.« 2013 schon hatte Zuckerberg, der es mit der Privatsphäre seiner Nutzer nicht allzu genau nimmt, seiner eigenen Privatsphäre zuliebe vier Grundstücke gekauft, die sein Anwesen im kalifornischen Palo Alto umgeben. Nun hat der Vorkämpfer gegen Fake News einen weiteren U-Turn hingelegt. Sein Konzern Meta will bei der Verbreitung von Lügen künftig weniger eingreifen. In einem Beitrag auf Facebook sprach er von einer »Zensur«, die zu weit gegangen sei. Die Kooperation mit Faktencheckdiensten werde beendet.

Man könnte Zuckerbergs Counterpart Musk fast liebgewinnen. Als der 2022 Twitter übernahm, schaffte er die Kontrolle sofort ab. Seither macht er dort ausgiebig vom Recht Gebrauch, kontrafaktische Scheiße zu labern. Ein notorischer Lügner, aber bekennend.

Die Einführung von Faktenchecks war eine Reaktion auf jene Strategie der neueren Rechten, die Steve Bannon in den Worten »flood the zone with shit« zusammenfasste. Dahinter steckt die Entdeckung, dass sich Äußerungen in der unübersichtlichen, flüchtigen und rasch getakteten Öffentlichkeit Internet kaum je ernstlich prüfen lassen. Auf diese Strategie gibt es bislang keine Antwort. Insofern ließe sich Zuckerbergs Begründung zustimmen, dass Fact-Checking im Verhältnis zum Nutzen zu viel Schaden anrichtet. Glaubwürdig wäre das auch, wäre da nicht der Umstand, dass die amerikanische Rechte erneut nach dem Oval Office greift. Zuckerberg – der Wolf im Schafspelz – schließt Frieden mit Trump – dem Wolf im Wolfspelz. Legt er bloß die Ohren an, oder bringt er sich in Stellung, um Musk zu beerben, der vermutlich Trump beerben will?

Viel interessanter indessen als dieses Puppentheater ist der unreflektierte Umgang mit dem Begriff der Wahrheit. Die nämlich zu verbreiten, nimmt das republikanische Amerika ebenso für sich in Anspruch wie das demokratische. Um zu wissen, was Unwahrheit ist, müsste man erst mal wissen, was Wahrheit ist. »Die Engländer«, notiert Oscar Wilde, er hätte auch schreiben können: Die Menschen »entwerten Wahrheiten zu Fakten. Wo eine Wahrheit zum Faktum wird, verliert sie jeden intellektuellen Wert«. Es gibt das isolierte Faktum, das sich mitunter checken lässt. Aber ein Fakt kann bereits durch Wording (suggestive Wortwahl) entstellt werden. Oder durch Framing (suggestive Kontexte). Er kann für sich richtig sein, aber einer falschen oder nicht zwingenden Ableitung dienen. Oder eingebettet in ein obskures Konstrukt von Ideologemen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, Unwahrheit zu verbreiten. Die Lüge ist bloß eine, und nicht mal die wirksamste.

Die Demokraten halten sich einiges darauf zugute, weniger zu lügen. Mag sein sogar, dass das stimmt. Mit der Wahrheit jedenfalls halten sie es ebenso wenig.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (9. Januar 2025 um 08:53 Uhr)
    Schon die Selbstbezeichnung als Demokrat erscheint ja als Lüge, doch nur dann wenn nicht bedacht wird, auf wen sich historisch die Demokratie bezieht. Besitzende in Athen geborene Männer, etwa 20% der dort lebenden Bevölkerung waren das »Volk« die übrigen 80% Sklaven, Frauen, Ausländer waren von demokratischen Entscheidungen ausgeschlossen. Ist so eine Sache mit der Lüge. Aber wenn nun die Vertreter der einen Kapitalfraktion die Vertreter der anderen der Lüge bezichtigen, verspricht das doch lustig zu werden. »Eine Zensur findet nicht statt« stellt das GG definitorisch fest, was hier stattfindet, ist Moderation.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Norbert S. aus München (9. Januar 2025 um 07:36 Uhr)
    So ist das. Eine schon recht hilfreiche Antwort auf das Problem der Bullshit-Schleudern gibt es aber bereits seit der ersten Präsidentschaft des Trump-Faschisten in Form einer Youtube-Playlist. Ist zwar leicht zu finden unter ihrem Namen: »The Altright Playbook«, fand aber bis heute nicht genügend Aufmerksamkeit. Ansonsten gilt natürlich und allgemein seit Einstein und bis zum Beweis der Unrichtigkeit, dass der Mensch zwar die Wahrheit(en) kennen kann, aber nicht wissen kann, ob er:sie sie kennt, da jeder positive, logische Beweis in der Beweiskette seiner Voraussetzungen axiomatisch und damit per Definition rein empirisch/unlogisch wird. Dagegen ist dem Menschen die Falsifikation positiver Inhaltsaussagen sehr wohl möglich. Also zu beweisen, dass jemensch scheiße labert, geht grundsätzlich früher oder später. Dadurch und durch die mathematische Inkompetenz vieler, die nicht verstehen können, dass eine Wahrscheinlichkeit die unendlich gegen null geht, in der Praxis null ist, somit von vornherein nicht falsifizierbare Aussagen völlig wertlos sind, sich aber bestens zur Hirnwäsche eignen, bauen die Religioten inkl. der Faschisten (aus dem besagten Altright Playbook: »Fascism = Politics as Faith«) ihre Wahngebilde im Kern genau auf solch wertlosen, nicht falsifizierbaren Nichtsaussagen auf. Oder auch wie im Artikel richtig angedeutet in Form von Lügen mit Wahrheiten oder Trump plump durch glatte, leicht erkennbare Lügen, bei denen es nicht auf den Inhalt der Aussagen ankommt, sondern die eigentliche (hirnwaschend manipulative) Aussage in der Art der Darbringung liegt. Wie das im Detail funktioniert, wird bereits in den ersten Folgen des Altright Playbooks beschrieben.

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