Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 30.11.2024, Seite 6 (Beilage) / Wochenendbeilage
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»Seid ihr bereit, Zeugnis abzulegen?«

Die Legende der Detroiter Krachband MC5
Von Frank Schäfer
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Manchmal ganz sittsam: MC5 feiern den Valentine’s Day 1967 (v. l. n. r.: Rob Tyner, Fred Smith, Wayne Kramer, Michael Davis und Dennis Thompson)

Heavy-Metal-Platten verkaufen sich immer noch wie warme Semmeln« konzedierte der große US-Rockschreiber Lester Bangs 1976 in der vermutlich ersten großen Genrezusammenschau (in der »Rolling Stone Illustrated History of Rock’n’Roll«), »aber irgendwie treffen Gruppen wie Bad Company, Kiss und Aerosmith das Nervensystem nicht mit ganz demselben Elektroden-Barracuda-Biss« wie MC5. Bangs sprach wie immer als Fan, aber ganz falsch lag er nicht. Auf der Bühne schlugen MC5 über die Stränge, wie sonst vielleicht nur noch Iggy and The Stooges. Und bei ihnen ging es nicht nur um den schönen hedonistischen Quatsch, sondern um eine veritable Revolution.

»Der brutale, gewalttätige Rock ’n’ Roll peitscht die Zuhörer auf die Straßen, bis sie schreien, kreischen und alles niederreißen, was die Menschen zu Sklaven macht«, so hätte es ihr Manager und Mentor John Sinclair jedenfalls gern gehabt. Unter seiner Ägide avancierten MC5 für ein paar Jahre zur Vorzeigeband der Linken. Seine ekstatische Anmoderation, eingefangen auf ihrem Livedebüt »Kick Out the Jams«, lässt dann auch keine Fragen offen. »Brüder und Schwestern, ich möchte eure erhobenen Hände sehen, ich möchte eure Hände sehen. Ich möchte, dass jeder von euch die Türen aufstößt. Ich möchte die Revolution draußen hören. Brüder und Schwestern, für jeden einzelnen von euch ist jetzt die Zeit gekommen, sich zu entscheiden, ob er das Problem sein will oder ob er die Lösung sein will. Ihr habt zu wählen, Brüder, ihr habt zu wählen. Man braucht fünf Sekunden, fünf Sekunden zur Entscheidung, fünf Sekunden, um zu kapieren, wozu ihr auf diesem Planeten seid. Man braucht fünf Sekunden, um zu kapieren, wann es Zeit ist, loszulegen. Es ist Zeit, damit klarzukommen. Brüder, es ist Zeit, Zeugnis abzulegen, und ich möchte wissen: Seid ihr bereit, Zeugnis abzulegen? Seid ihr bereit? Ich bringe euch eine Offenbarung, die MC5.«

Die beiden Vollproleten Fred Smith und Wayne Kramer kommen aus Lincoln Park, einem Vorort von Detroit, der »Motor City«, und sind entsprechend sozialisiert. Mitte der sechziger Jahre rennen sie jedes Wochenende zu Dragster-Rennen und spielen Gitarre in konkurrierenden Garagenbands. Irgendwann sortieren sie die Nichtskönner aus und machen gemeinsame Sache. Bald darauf kommt auch Rob Tyner dazu. Er ist ein gebildeter Beatnik mit Mikrofonfrisur und dicker Pauke. Er sieht nicht gerade aus wie der typische Frontman, hat aber Soul in der Stimme und, angetrieben von den beiden vollaufgedrehten Gitarren und der wütenden Rhythmusfraktion mit Dennis »Machine Gun« Thompson und Michael Davis, entwickelt er eine beachtliche Agilität auf der Bühne. Von Tyner stammt auch der Name, ein Akronym für Motor City Five. »Rob fand, das würde sich anhören wie eine Seriennummer, es passte also hervorragend zum Leben zwischen Autofabriken«, erinnert sich Wayne Kramer in Legs McNeils und Gillian McCains Oral History »Please Kill Me«. »Immerhin kamen wir aus Detroit, und MC5 hörten sich an, als wären sie auf dem Fließband entstanden. Und wir hatten diesen Jugendkriminellenlook, diesen Automechanikerlook. Wir hatten unser Haar zu einer Tolle zurückgekämmt und trugen hautenge Hosen.«

Sie machen sich zunächst einen Namen als Coverband in der lokalen Clubszene und nehmen Songs von den Stones, Hendrix oder The Who auseinander. Dann spielen sie auf der Party zu Ehren John Sinclairs, des Dichters, Jazzkritikers und vielleicht wichtigsten Politaktivisten im Staat Michigan, der wegen Drogenbesitzes nach einem halben Jahr Haft wieder auf freiem Fuß ist. Erst kommt das klassische Kulturprogramm mit Lesungen und Tanz, in der Nacht machen MC5 Krach, bis ihnen Sinclair den Saft abdreht. Er mag sie nicht und beschwert sich bald darauf in einem polemischen Artikel über ihre Primitivität. Was ist mit Sun Ra, John Coltrane, Albert Ayler? Aber Kramer kann ihn von ihrer Ernsthaftigkeit überzeugen, und da MC5 gerade über keinen vernünftigen Übungsraum verfügen, dürfen sie in Sinclairs Trans-Love-Energies-Kommune einsteigen, einem revolutionären Kreativzentrum – mit Ateliers, Dunkelkammern und einer eigenen Druckwerkstatt. Hier entstehen eine Undergroundzeitung, obszöne Flugblätter, Agitprop-Plakate. Bald darauf gründet Sinclair sogar eine Partei, die White Panthers. Bei all dem dürfen auch Frauen mitmachen. Sie kochen, schrubben die Böden und arbeiten darüber hinaus tätig mit an der sexuellen Befreiung. Sinclair und Co. stecken voller Ideale, aber das Frauenbild der linken Paschas unterscheidet sich kaum von dem ihrer autoritären Väter. Allenfalls, was sexuelle Verfügbarkeit angeht.

Spätestens mit Gründung der White Panther Party im November 1968 radikalisiert sich die Kommune. Zusammen mit der lokalen Fraktion der Black Panthers machen sie im nahen Waldstück Schießübungen, um sich auf kommende Auseinandersetzung mit den »Pigs« vorzubereiten. Ihr »Verteidigungsminister« Pun Palmondon trägt ständig Gewehr und Patronengurt mit sich herum und sprengt schließlich das Rekrutierungsbüro der CIA an der Universität von Michigan in die Luft. Menschen kommen dabei zwar nicht zu Schaden, aber sie meinen es ernst. Der lose Haufen neugieriger, mit Rauschdrogen experimentierender Blumenkinder mutiert zu einer militanten Stadtguerilla.

MC5 bemerken das mit ziemlichem Unbehagen, und hier beginnt denn auch ihre Separation. Doch ein paar Jahre profitieren sie durchaus von der gewachsenen linken Infrastruktur. 1967 wird Sinclair ihr Manager, und dieser begnadete Netzwerker bringt sie in allen relevanten Clubs Michigans unter. MC5 enttäuschen das Publikum nicht, weil ihr exorbitanter Garagenkrach schon allein physisch eine Sensation ist und weil sie ihn auf Sinclairs Geheiß jetzt ästhetisch ein wenig aufhübschen. Wayne Kramers Leadgitarrenkakophonien kann man mit viel Phantasie als Free-Jazz-Anverwandlungen durchgehen lassen und damit wirklich keine Zweifel aufkommen, vertonen sie in ihrem Song »Starship« eine Sun-Ra-Sternenpredigt mit großer Lust an psychedelischen Geräuscheffekten. Das ist alles gerade prätentiös genug, damit die Intelligenzia nicht den Eindruck haben muss, sich unter ihrem Niveau zu amüsieren. Und die Plebejer sich nicht über Gebühr langweilen. Zur Not nutzen sie die Zeit eben zum Bierholen.

Ende des Jahres füllen sie bereits größere Hallen, sie nehmen zwei Singles auf für kleine Labels, und die sind sofort nach der Pressung ausverkauft. Im Sommer 1968 betouren sie die Ostküste, spielen im Vorprogramm von Big Brother and The Holding Company und Cream. Mit beiden Bands wischen sie den Bühnenboden auf.

Zu echten Szenehelden werden sie schließlich, weil sie im August des Jahres bei den Anti-Vietnam-Protesten während des Nominierungsparteitags der Demokraten 1968 in Chicago auftreten. Die Nachrichtensendungen zeigen Abend für Abend die verstörenden Aufnahmen von Polizisten, Soldaten und Nationalgardisten, die sich blutige Straßenschlachten mit den Demonstranten liefern. Erst fünf Tage zuvor sind sowjetische Truppen in der Tschechoslowakei einmarschiert, um Prag zu besetzen. Eine Koinzidenz, die man weidlich ausschlachtet. Die linke Szene feiert »Die Schlacht von Tschechago« als bestandene Bewährungsprobe für die sowieso demnächst ausbrechende Revolte. MC5 sind mittendrin und gehen auch tatsächlich auf die Bühne, wie sonst nur noch Protestfolkie Phil Ochs. Sie kneifen nicht wie Country Joe and The Fish oder Neil Young, die immerhin vor Ort sind. Andere Bands reisen gar nicht erst an, als sie die Bilder vom Aufruhr sehen.

Nach den Geschehnissen in Chicago sind MC5 der heißeste Scheiß und die Presse überschlägt sich mit Lob. Danny Fields, der frisch installierte A&R-Manager vom Folklabel Elektra, bekommt Wind von der Sache und sieht sie sich im Detroiter Grande Ballroom an, wo sie mittlerweile den Status einer Hausband innehaben. Fields ist beeindruckt, und nimmt sie unter Vertrag.

MC5 hatten bisher stets auf der Bühne abgeräumt, folglich fällt man den genialen Entschluss, als Debüt ein Live-Album aufzunehmen. Zwei verschwitzte, materialzermürbende und ziemlich ungesunde Nächte Ende Oktober im Grande Ballroom reichen, und »Kick Out the Jams« ist im Kasten – eines der Gründungsdokumente jenes Krachs, den man bald darauf als Heavy Metal oder wahlweise auch Punk abstempeln wird. Das Album erreicht Platz 30 in den Billboard-Charts und kann sich mit über 100.000 verkauften Exemplaren immerhin 23 Wochen dort halten. Das ist weit mehr als ein Achtungserfolg für eine musikalische Herausforderung dieser Art.

»Right now it’s time to kick out the jams, motherfuckers!« Hudson’s, eine in Detroit ansässige und um das moralische Wohl der Jugend besorgte Warenhauskette, duldet so etwas nicht in seinen Regalen. Die Band wehrt sich mit einer ganzseitigen Anzeige im Underground-Mag Fifth Estate. Ein Foto von Rob Tyner mit den Worten: »Stick Alive with the MC5, and Fuck Hudson’s!« Sie setzen auch das Elektra-Logo dazu, um die Anzeige ihrem Label in Rechnung stellen zu können. Dieser typische Yippie-Gag geht dann aber prompt nach hinten los. Hudson’s nimmt nun alle Elektra-Platten aus ihren Läden. Das Label kann darüber absolut nicht lachen, macht einen Kotau und schmeißt MC5 wegen geschäftsschädigenden Verhaltens raus.

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MC5 kniffen nicht: Straßenschlacht zwischen Polizei und Protestierern, Chicago 1968

Auch im Trans-Love-Haus läuft es nicht mehr rund. John Sinclair wird mehr und mehr in Beschlag genommen von der Parteiarbeit. Sie fühlen sich im Stich gelassen, sehen sich als bloße Erfüllungsgehilfen für die politische Sache. Um Geld geht es natürlich auch. Sie wollen endlich ein mondänes Leben führen und ihre Tantiemen nicht gleich wieder in linken Projekten versickern sehen. Aber bevor es zum echten Bruch kommt mit Sinclair, landet der ohnehin im Gefängnis. Wegen eines geringfügigen Drogendelikts, er schenkt einer verdeckten Ermittlerin zwei Joints, wird er zu neun Jahren Haft verurteilt. Immerhin zweieinhalb muss er davon tatsächlich absitzen, aber das weiß zu diesem Zeitpunkt noch keiner. Es ist ein offenes Geheimnis, dass hier eine der revolutionären Integrationsfiguren mundtot gemacht werden soll.

Trotz ihres Rausschmisses bei Elektra bleibt Danny Fields ein Freund der Band, er kümmert sich jetzt eine Weile um ihr Management und tütet einen neuen Deal mit Atlantic ein. Außerdem holt er den einflussreichen Musikjournalisten John Landau ins Boot, der ihr nächstes Album produziert und nicht nur im Studio einen schlechten Einfluss auf sie ausübt. Er will sie auf der ganzen Linie businesstauglicher machen, nährt ihre Rockstarträume und entfremdet sie dadurch immer mehr von ihrer linken Basis. Als sie im Fillmore East ein Sonderkonzert für die ganz besonders dogmatischen Village-Linken geben sollen, mit einer dicken Limo vorfahren und Tyner ohne lange zu überlegen verkündet, sie seien nicht nach New York gekommen, um politische Reden zu schwingen, sondern um Rock ’n’ Roll zu spielen, jagt man sie vom Hof.

MC5 vollziehen schließlich einen kompletten Imagewechsel, sie dimmen ihre aufrührerischen Kommentare auf ein moderates Maß herunter und klingen auf »Back in the USA« beinahe wie eine andere Band. Der Sound ist seltsam flach und im Vergleich zum Debüt brav. Selbst agil rausgerotzten Garagennummern wie »Tonight«, »Looking At You« oder »Call Me Animal« fehlt es an Druck und damit auch an Überzeugungskraft. Das ganze Album ist eine offenkundige Fifties-Hommage. Exemplarisch stehen dafür die beiden sich fast anbiedernden Coverversionen von Little Richards »Tutti Frutti« und Chuck Berrys »Back in the USA«, die den Eigenkompositionen einen Rahmen geben. Und auch die besitzen mit gelegentlichen Boogie-Woogie-Klavierparts, Doo-Wop-Chören und der verständnisinnigen Teenagerbetreuung in den Lyrics einen offensiv anachronistischen Charakter. Und trotzdem erkennt man die Qualität dieser Songs, die fast sehnsüchtig auf ein schreiendes, schwitzendes Publikum warten, das ihnen die Dr.-Jekyll-Verkleidung vom Leib reißt. Spätere Generationen haben das als Einladung zum Covern verstanden und ihr verborgenes Potential herausgekitzelt.

Sinclair nimmt es unterdessen ziemlich übel, dass seine Jungs ihr eigenes Ding drehen, und als man ihm auch noch zuträgt, dass sie mit teuren Sportwägen herumfahren, bezichtigt er sie des Verrats an der revolutionären Sache – und lässt sie wegen »Verfolgung konterrevolutionärer Ideale« aus der Partei entfernen. »Ihr wolltet größer sein als die Beatles, und ich wollte, dass ihr größer werdet als Mao«, ruft er ihnen hinterher. Sinclair hat diesen Quatsch vermutlich selbst nicht geglaubt, aber MC5 verlieren langsam ihre Credibility, und das zeigt sich auch an den unterirdischen Verkaufszahlen. Die Linke nimmt ihnen das Album übel, weil es nicht revolutionär genug ist, den Normalhörern ist es zu wenig progressiv. »Back in the USA« ist seiner Zeit ein paar Jahre, im Pop-Universum also Lichtjahre voraus. Erst in der zweiten Hälfte der Siebziger wird diese Hinwendung zum ursprünglichen, primitiven Rock ’n’ Roll für eine gewisse Hörerschaft interessant, da haben sich MC5 längst aufgelöst, und Wayne Kramer und Bassist Michael Davis sitzen wegen diverser Drogenvergehen im Knast.

Die Erfolgskurve senkt sich rapide. Dazu kommt, dass sich die Veranstalter immer mehr zurückhalten, weil sie Krawalle à la Chicago erwarten. Und wenn sie spielen, stehen die Cops Gewehr bei Fuß, um beim kleinsten Anzeichen von Aufruhr den Saal zu räumen. Bis zu ihnen hat sich also noch nicht herumgesprochen, dass sie keine Revoluzzer-Band mehr sind. Weil der Tourkalender immer dünner wird, müssen sie nach Europa ausweichen und spielen vor allem Konzerte in England.

Atlantic gibt ihnen noch eine Chance, aber das 1971 erscheinende dritte Album »High Time«, teilweise während ihres Englandaufenthalts aufgenommen, verkauft sich noch schlechter als der Vorgänger. Dabei sind sie hier wieder näher dran am Zeitgeist. Die Songs sind länger, ausgefeilter, es gibt neben ruppigen Rockern, hin und wieder sogar mit einer leichten Who-Schlagseite wie bei »Gotta Keep Movin’« oder »Over And Over«, auch wieder verspultere, psychedelisch angehauchte Songs, bei »Skunk (Sonicly Speaking)« sogar Sun-Ra-Reminiszenzen. Vor allem klingt der Sound wieder mehr nach Detroit, für eine damalige Majorproduktion sogar erstaunlich verdreckt und verscheppert. Hilft alles nichts, »High Time« verfehlt die Charts, und ihr Label verliert endgültig die Geduld.

Bald darauf sind sie wieder in Europa unterwegs und machen auch in Bremen halt, für einen Auftritt im »Beat Club«, aber die Probleme sind jetzt unübersehbar. Nach den psychedelischen Drogen haben sie jetzt auch härtere Sachen im Angebot. Bassist Michael Davies ist das erste Heroinopfer und wird gefeuert. Kramer ist ebenfalls drauf. Die Band zerfällt sehr schnell. Silvester 1972 kommen sie ein letztes Mal zu einem Gig im Grande Ballroom zusammen, den sie vor zwei Jahren noch ausverkauft haben. Mittlerweile kommen nur noch ein paar Dutzend Addicts. Enttäuscht und körperlich fertig bricht Kramer das Konzert nach ein paar Songs ab. Das ist das Ende von MC5. Die Mythenbildung kann beginnen, und sie lässt nicht lange auf sich warten. Die junge Punk-Generation weiß die Pionierarbeit der Band denn auch adäquat zu würdigen.

Die Musiker selbst profitieren auch noch davon. Sie fangen sich schließlich alle wieder und machen weiter Musik. Hin und wieder sogar recht erfolgreich. Rob Tyner tourt immer mal wieder mit Begleitband. Er hat gerade sein erstes Soloalbum »Blood Brothers« draußen, als er 1991 an einem Herzinfarkt stirbt. Fred Smith ist eine Weile mit der großartigen Sonic’s Rendezvous Band unterwegs, bevor er Patti Smith ehelicht und sie bis zu einem frühen Tod 1994 auch immer wieder musikalisch unterstützt. Dennis Thompson und Michael Davis spielen in diversen Bands (New Order, New Race, Destroy All Monsters, Blood Orange), bevor sie sich in den frühen 2000ern mit Wayne Kramer zu einer Neuauflage von MC5 zusammentun, um den Mythos noch ein wenig zu melken.

Kramer braucht am längsten, um den Drogen zu entkommen, er ist an kurzlebigen Projekten beteiligt, spielt auf Alben befreundeter Künstler mit und verdingt sich hauptsächlich als »Detroiter Kleinkrimineller« (Kramer über Kramer), weshalb er fast die gesamte zweite Hälfte der 70er Jahre hinter Gittern verbringt. Nach seiner Entlassung arbeitet er vornehmlich als Zimmermann. Erst Ende der Achtziger konzentriert er sich wieder voll auf die Musik, beteiligt sich an einem Musical, spielt Sessions und bringt seine Solokarriere voran, die ­Mitte der Neunziger mit seinem Soloalbum »Hard Stuff« noch einmal richtig Fahrt aufnimmt. Dann ist es Zeit für eine halbe MC5-Reunion, die es immerhin auf 200 Konzerte bringt und die überlebenden Urmitglieder Kramer, Thompson und Davis nebst Gästen noch einmal um die halbe Welt führt. Ein Album soll folgen, aber sie kriegen offenbar nicht viel zustande im Studio.

Zum 50jährigen Jubiläum ihres Debütalbums trommelt Kramer noch einmal eine Band zusammen. Bassist Davis ist mittlerweile gestorben und »Machine Gun« Thompson hat Ladehemmung, also hilft eine All-Star-Band u. a. mit Kim Thayil und Matt Cameron von Soundgarden und Faith-No-More-Basser Billy Gould die »MC50«-Tour über die Rampe zu wuchten.

Weil die Marke immer noch Gold wert ist, entwickelt Kramer etwas später zusammen mit dem Erfolgsproduzenten Bob Ezrin als Strippenzieher und musikalischer Direktor die »We are all MC5«-Idee. Freunde der Band und Kinder im Geiste sollen ihr zu einem letzten Triumph verhelfen. Dafür hat sich sogar Dennis Thompson nochmals für zwei Songs hinter die Drums geklemmt. Die Covid-19-Pandemie hat tragischerweise alles verzögert und so sind von Februar bis Mai dieses Jahres die letzten verbliebenen Bandmitglieder Kramer und Thompson und dann auch noch ihr großer Zampano John Sinclair verstorben. »Heavy Lifting« kommt also zu spät. Es ist auch kein vollgültiges MC5-Album, sondern ein Kramer-Solowerk, das mit der tätigen Unterstützung von großen Namen wie Tom Morello, Vernon Reid, Slash oder William DuVall von Alice in Chains u. a. die Erinnerung wach hält an die Detroiter High-Octane-Rock-Legende. Immerhin.

MC5: »Kick Out the Jams« (Elektra Records, 1969)

MC5: »Heavy Lifting« (Ear Music, 2024)

Frank Schäfer ist Schriftsteller, Musik- und Literaturkritiker. Er lebt in Braunschweig. Zuletzt erschien von ihm an dieser Stelle am 17./18.8.2024 »Neunundzwanzig Wochen und zwei Tage«, ein Vorabdruck aus seinem neuen Roman »Zu früh« (Alfred-Kröner-Verlag, 128 Seiten, 20 Euro)

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