Indigener des Tages: Wolfgang Thierse
Von Felix BartelsDer Mensch, sagt Lichtenberg, ist das Ursachentier. Immer will er wissen, warum kam, was gekommen ist. Geht es um Missstände, ist er aber eher das Schuldtier. Nicht das Warum interessiert, sondern wen man verantwortlich machen kann. Schuld, das ist der hässliche Stiefzwilling der Ursache. Entlastet das Denken von der Pflicht zu Zusammenhängen, schafft Beruhigung zudem, das Problem am Übeltäter dingfest machen zu können.
Eine Subspezies des Schuldtiers ist der Schuldthierse. Am Freitag hat der gute Mann den Tagesspiegel in seine Gedanken einbezogen: Berlin ein Moloch, Müllberg an Müllberg, »organisierte Verantwortungslosigkeit«. Doch »nicht der Senat vermüllt die Stadt, sondern die Bürger«. Gut, dass das geklärt ist. Es war in Berlin mal ein »bewusstes Bürgertum« ansässig, dann kamen die Nazis und haben es »ausgerottet«. Seitdem lebt die ausgedünnte Stadt von Zuzüglern. Schwaben? Türken? Briten? Der Migrationskritiker bleibt vage, eins aber weiß er genau: »Wer heute zuzieht, entwickelt zu selten ein Verantwortungsgefühl für die Stadt.« Eckermann, notiernse: Nichtgebürtigte Berliner leben einfach gern im Dreck.
Thierses kleine Kulturgeschichte ist Fragment geblieben. Wer vom Müll auf Expats und von Expats auf Hitler kommt, kann von den Nazis auch gleich zur Schmach von Versailles gehen, von der Schmach zum deutschen Aufholimperialismus mitsamt Erstem Weltkrieg, von dort zu Bismarcks halber Reichseinheit unter Ausschluss der Habsburger, weiter zur deutschen Misere und Kleinstaaterei, die in der konfessionellen Spaltung des Deutschen Reichs wurzeln, die einen einheitlichen Nationalstaat lange verhindert hat, und woher kommt diese Spaltung? Eben, von Luthers Reformation. Wir haben also einen Schuldigen am Müll im Prenzlauer Berg: Bruder Martin. Dem Katholiken Thierse sollte diese Deutung gefallen.
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Leserbrief von Wilfried Schubert aus Güstrow (2. Dezember 2024 um 15:16 Uhr)Das Einfache, das man einfach nicht macht. Herr Thierse verfehlt das Ziel. Die Einwohner produzieren nicht den Müll, das sind die Lebensmittel- und Bekleidungsindustrie und viele mehr. Vielleicht könnte Herr Thierse dort Einfluss nehmen. Weltweit fallen jährlich ca. 400 Millionen Tonnen Plaste an, 2024 könnten es 700 Millionen Tonne sein. Deutschland kommt jährlich auf 6 Millionen Tonnen. Die unaufhörliche Produktion von Kunststoffen treibt die Umweltverschmutzung mit immer schlimmeren Folgen voran, was zu erheblich steigenden Kosten und immer mehr Krisen führt. Die von der EU jüngst angeordneten fest angefügten Verschlüsse an Cola-Flaschen und anderen Behältnissen helfen nicht, dass zu verhindern. Eher ist es eine Lachnummer, von der EU hätte ich mehr erwartet. Vom 25. November bis 1. Dezember 2024 trafen sich in Busan, Südkorea, Vertreter aus 193 Ländern zur letzten Verhandlungsrunde über ein globales Abkommen zur Reduzierung der Plastikproduktion. Die Verhandlungsrunde über ein UN-Plastikabkommen endete trotz jahrelanger Vorbereitung ohne Einigung.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (29. November 2024 um 22:25 Uhr)Und wo bewahrt Bruder Wolfgang ihm seinen Müll auf? In ihm seinen Wohnzimmer? Aus dem Dachstübchen lässt er ihn ja. Mehr Mülltonnen und verstärkte Müllabfuhr könnten auch helfen, Planwirtschaft halt.
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Korb aus Georgien
vom 30.11.2024