Der ganz normale Wahnsinn
Von Gerrit Hoekman»Trotz aller Schwierigkeiten, mit denen wir heute konfrontiert sind, glauben wir, dass die Besetzung, egal wie brutal und schrecklich sie auch ist, ein Ende haben wird«, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur WAFA am Dienstag aus einer Rede des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas anlässlich des Internationalen Tags der Solidarität mit Palästina. Das Ende der israelischen Besatzung sei der Schlüssel zu regionaler Stabilität, Frieden und Sicherheit in der Region.
Dass der 89jährige Fatah-Politiker diesen Tag noch erleben wird, ist eher unwahrscheinlich, denn aktuell setzt Israel die Unterdrückung palästinensischer Selbstbestimmung unbeeindruckt fort. Auf der Westbank stürmten am Mittwoch morgen israelische Soldaten mehrere Häuser in der Stadt Tubas und im nahe gelegenen Flüchtlingslager Faraa, berichtete die palästinensische Nachrichtenseite Maan. Augenzeugen zufolge zerstörten die Besatzer mit Bulldozern Straßen, Wasserleitungen und das Stromnetz. Im Dorf Turmus Ajja nördlich von Ramallah konfiszierte die Armee in der Nacht zu Mittwoch das Haus eines Palästinensers und wandelte es in einen Militärstützpunkt um. Das Gebäude liegt direkt gegenüber einer Schule für Jungen. Vor einer Woche hatte die Armee den Sohn des Hausbesitzers verhaftet, meldete WAFA.
Am Dienstag riss die Armee im Dorf Bartaa zwei Geschäfte nieder. Die Gemeinde ist geteilt: in einen israelischen Teil, in dem überwiegend Palästinenser leben, die einen israelischen Pass besitzen, und einen, der völkerrechtlich zwar zur Westbank gehört, aber auf der israelischen Seite der von Israel auf palästinensischem Territorium errichteten Grenzmauer liegt. Ostbartaa ist deshalb eine Enklave: Die Bürgerinnen und Bürger dürfen den israelischen Westteil des Ortes nicht ohne Genehmigung betreten, selbst wenn sie Verwandte besuchen wollen, die nur wenige Schritte entfernt wohnen.
Das sorgt für eine Vielzahl von Problemen: Wer zum Beispiel in Ostbartaa ernsthaft krank wird, muss sich in einem Hospital auf der Westbank behandeln lassen, benötigt dazu aber einen israelischen Passierschein, um überhaupt durch die Mauer zu dürfen. Für Israelis gilt diese Beschränkung natürlich nicht, sie dürfen hin und her, wie sie wollen, ohne vorher eine Erlaubnis beantragen zu müssen. Viele von ihnen kommen gerne am Wochenende zum Einkaufen in den palästinensischen Teil von Bartaa, weil es dort billiger ist. Es ist der ganz normale Wahnsinn auf der israelisch besetzten Westbank.
Dass Israel seine völkerrechtswidrigen Siedlungen auf der Westbank immer weiter ausbauen kann, daran trägt auch die EU eine Mitschuld. 822 europäische Finanzinstitute, also Banken, Versicherungen oder Investmentfonds, pflegen Geschäftsbeziehungen zu 58 europäischen Firmen, die »aktiv in israelische Siedlungen involviert« sind, zitierte Reuters aus einem Bericht der NGO-Koalition »Don’t Buy into Occupation« (auf deutsch etwa: Kauf dich nicht in die Besetzung ein, DBIO), der am Dienstag veröffentlicht wurde. 2023 sind es noch 776 Finanzinstitute gewesen. »Die Anzeichen deuten darauf hin, dass die Dinge in die falsche Richtung gehen«, sagte Andrew Preston von Norwegian People’s Aid, einer der 25 europäischen und palästinensischen Gruppen, die an der Studie beteiligt waren. »Unserer Ansicht nach sollten die europäischen Finanzinstitute ihre Vorgehensweise gegenüber Unternehmen, die an der illegalen Besetzung beteiligt sind, dringend überdenken«.
Zu den in der Studie aufgeführten Finanzinstituten gehören die Deutsche Bank, Commerzbank, DEKA und die Allianz. In der Liste der 58 Firmen, die direkt oder indirekt an den israelischen Siedlungen verdienen sollen, finden sich zum Beispiel der US-amerikanische Schwermaschinenhersteller Caterpillar, das Hotelbuchungsportal Booking.com, der Bierbrauer Carlsberg und die französische Supermarktkette Carrefour. Aus Deutschland sind der Studie zufolge TUI, Siemens, MAN, Axel Springer und das Bauunternehmen Heidelberg Materials vertreten.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (29. November 2024 um 15:56 Uhr)»Westliche Werte« auch in der Westbank; denn: Westliches Geld und westliche Waffen, allerorts Frieden und Freiheit schaffen. Die frohe Botschaft: Wir sind die Guten und bringen euch nur das Beste. Also seid dankbar und knieet nieder!
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