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Aus: Ausgabe vom 20.11.2024, Seite 8 / Ansichten

Kein Säbelrasseln

Russische Nukleardoktrin
Von Reinhard Lauterbach
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Schau der Stärke: Strategische russische Atomrakete bei Parade zum Tag des Sieges in Moskau (9.5.2011)

Es ist erwartbar, was Russlands Gegner zumindest öffentlich über den neuen Putin-Erlass zum Atomwaffeneinsatz sagen und schreiben werden: Russland rassle mit dem atomaren Säbel und beweise ein weiteres Mal seine weltpolitische Unverantwortlichkeit. Das ist geschenkt – und entspricht nicht den Tatsachen.

Im ganzen spricht aus dem Erlass eine erhöhte Nervosität Moskaus, dass die schrittweise Eskalation des Konflikts um die Ukraine relativ kurzfristig in einen direkten Angriff auf Russland übergehen könnte. Man macht sich keine Illusionen darüber, dass es den USA und der EU nicht in erster Linie um die Ukraine geht bzw. um diese nur insofern, als sie zur Schwächung und Erschöpfung Russlands genutzt werden kann. Daher auch die Betonung des räumlichen Faktors: die »Annäherung von Infrastruktur eines gegen Russland gerichteten Militärbündnisses an die russischen Grenzen«.

Man könnte denken, im Zeitalter der Interkontinentalraketen spielten ein paar hundert Kilometer ukrainische Felder und Steppen keine Rolle. Aber das stimmt nicht: Die Entfernung bestimmt die Schnelligkeit, mit der eine abgefeuerte Raketensalve ihre Ziele erreichen kann, und sie beschränkt die Zeit für Vorwarnung und die strategische Entscheidung, wie mit dem Angriff umzugehen sei. Interkontinentalraketen fliegen aus den USA etwa eine halbe Stunde lang, von U-Booten aus weniger; moderne Marschflugkörper, die in Osteuropa gestartet werden, keine fünf Minuten.

Gleichzeitig vollzieht die neue Atomdoktrin militärisch nach, was Inhalt des russischen Verhandlungsultimatums an den Westen vom Dezember 2021 war: Rücknahme der NATO-Expansion seit 1999 – und das Angebot bzw. die Forderung, eine neue Sicherheitsarchitektur für Eurasien zu errichten. Daran war der Westen seinerzeit nicht interessiert und verschanzte sich hinter Phrasen wie der »Freiheit der Bündniswahl«. Dass sich diese nicht gegen die Interessen von Nachbarländern richten dürfe, hat der Westen irgendwann bei der OSZE auch einmal unterschrieben, aber seitdem anscheinend vergessen.

So ist Putins neue Atomdoktrin eine doppelte Klarstellung: Erstens enthält sie eine relativ präzise Aufzählung »roter Linien«, und die Art, wie diese am Beispiel eines möglichen Angriffs auf das Gebiet Kaliningrad formuliert sind, macht zweitens den Grad der Besorgnis Russlands deutlich. Moskau weiß, dass es der NATO militärisch unterlegen wäre, und warnt deshalb vor der Vorstellung eines kleinen konventionellen Eroberungskrieges. Der werde nicht zwangsläufig konventionell bleiben. Die Bedingungen für den Atomwaffeneinsatz sind aber auch eine gewisse Selbstbeschränkung. So ist die konventionelle Unterstützung der Ukraine im bisherigen Maße für Russland nach dem Text der Doktrin kein Anlass zu Atomschlägen, solange die Kämpfe sich auf ukrainisches Gebiet beschränken. Wenig tröstlich bleibt das für die Ukraine.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (22. November 2024 um 20:55 Uhr)
    Das Recht auf freie Bündniswahl gilt natürlich auch für die Ukraine. Allerdings kann das Wort Bündnis im Kontext des Völkerrechts nur für ein Verteidigungsbündnis stehen, nicht aber für ein Aggressionsbündnis, wie es die NATO faktisch darstellt. Die Kriege gegen Restjugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien sprechen ihre eigene Sprache, ebenso der auf NATO-Tändeleien folgende georgische Angriff auf Südossetien 2008 oder die ukrainische Kriegsdrohung von Anfang Dezember 2021, wenige Wochen nach Erhalt eines amerikanischen Unterstützungsversprechens. NATO heißt nun mal Krieg. Selbst Deutschland sah sich 2003 anlässlich des amerikanischen Angriffskriegs gegen den Irak genötigt, gewisse Bündnisstrukturen den angreifenden Amerikanern nicht zu entziehen, m.W. konnte Ramstein vollumfänglich für die Aggression genutzt werden. Die Türkei war damals etwas mutiger und hatte den Stützpunkt Incirlik für die Amerikaner gesperrt. Damit konnte der Krieg kurze Zeit hinausgezögert werden. Verhindert wurde er nicht. Dass ein Bündnis der kriegssüchtigen NATO mit der russophob-kriegssüchtigen ukrainischen Rechten als Supergau für die Sicherheit im Donbass wie auch in Russland gesehen wird, ist nur zu verständlich.
  • Leserbrief von Holger (20. November 2024 um 19:46 Uhr)
    »Im ganzen spricht aus dem Erlass eine erhöhte Nervosität Moskaus, dass die schrittweise Eskalation des Konflikts um die Ukraine relativ kurzfristig in einen direkten Angriff auf Russland übergehen könnte. Man macht sich keine Illusionen darüber, dass es den USA und der EU nicht in erster Linie um die Ukraine geht bzw. um diese nur insofern, als sie zur Schwächung und Erschöpfung Russlands genutzt werden kann.« Dass die russische Führung genau dies ihrer Bevölkerung so erklären muss, um sie bei der Stange zu halten, ist ja klar. Aber dass es in Europa Leute gibt, die diese Argumentation unkritisch nachplappern, ist schon recht unverständlich. Machen wir doch die Probe aufs Exempel: Mal angenommen, Russland hört morgen mit den Kampfhandlungen auf und erbittet sich freien Abzug bis an die früheren ukrainischen Grenzen. Was genau würde dann passieren? Wer glaubt denn ernsthaft, dass dann die NATO lachend bis nach Moskau durchmarschieren wollte? Das ist doch Unsinn. Genau das wird Kanzler Scholz wohl auch versucht haben, Putin zu erklären. Aber leider ohne Erfolg. Sicher würde es Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis sich die Beziehungen zwischen allen Beteiligten wieder normalisiert hätten. Vielleicht ebenso sicher würde »der Westen« versuchen, sich die (selbst verschuldete) Schwächung Russlands ökonomisch zunutze zu machen. Leider ist aber ebenso sicher, dass die russische Führung bereits so viel an Material und Menschenleben investiert hat, dass sie nicht mehr zurück kann, ohne total das Gesicht zu verlieren. Also muss sie weiter fleißig den NATO-Teufel an die Wand malen, um ihren eigenen Wahnsinn zu rechtfertigen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (20. November 2024 um 07:19 Uhr)
    Es gibt einen offensichtlichen Wechsel in der NATO-Strategie. Zunächst wurde versucht, Russland in einem langandauernden Zermürbungskrieg in der Ukraine entscheidend zu schwächen. Das ist offensichtlich gescheitert und eine militärische Niederlage des NATO-Ziehkinds rückt immer näher. Mit immer provokativeren Aktionen wird deshalb versucht, Russland dazu zu bringen, seine strategischen Reserven in die Schlacht zu werfen, um den Krieg in der Ukraine möglichst schnell beenden zu können und es auf diese Weise entscheidend zu schwächen. Diese Strategie schließt ein, Russland zum Einsatz seiner strategischen Nuklearkräfte zu zwingen, um anschließend selbst als strahlender Sieger das Schlachtfeld verlassen zu können. Als »strahlender Sieger« beschreibt exakt, was von einer »Strategie« zu halten ist, nach deren Verwirklichung die Lebenden die Toten beneiden würden und von Europa nur noch ein nuklearer Haufen Restmüll bleiben würde. Wir müssen diesen Wahnsinn endlich stoppen, wollen wir nicht Teil dieses Aschehaufens werden!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (20. November 2024 um 06:31 Uhr)
    Kurzform: Natürlich ist die NATO konventionell überlegen. Wichtigste Parameter: Ökonomie, (Hightech-)Produktionskapazitäten, Bevölkerungszahl, Gesamtgröße und Ausstattung des Militärs, geostrategische Lage. Bringt die NATO Russland in den Bereich einer möglichen Niederlage oder werden aus russischer Sicht die Opfer untragbar, fliegen Atomwaffen. Sich davon »nicht erpressen zu lassen« ist an suizidaler Dummheit nicht zu überbieten. Allerdings sind »wir«, die wir immer noch nicht zu Hunderttausenden auf den Straßen sind, beinahe schon Kotäter, zumindest nicht sichtbar und spürbar klüger und lebenstüchtiger. Wie das berühmte Kaninchen, das bewegungslos auf die Schlange starrt, die es fressen wird. Einige ignorieren die Schlange und beschäftigen sich stattdessen mit Katzen und Hunden, denen man möglicherweise begegnen könnte. Falls die Schlange keinen Hunger haben sollte. Die Sache mit dem Berliner Appell, örtliche Aktionen dazu und die nächsten großen zentralen und kleinen regionalen Friedensdemos sowie das Wählen von Parteien, die für den Frieden eintreten, wäre schon mal ein Anfang um Auswege zu finden, um sie als positive Möglichkeit offenzuhalten.
  • Leserbrief von A.G. (19. November 2024 um 21:21 Uhr)
    Die Russen nervös? Lustiger Einfall. US Army Magazin »Parameter«, Herbst 2023: https://press.armywarcollege.edu/parameters/vol53/iss3/ A Call to Action: Lessons from Ukraine for the Future Force »(...)The Russia-Ukraine War is exposing significant vulnerabilities in the Army’s strategic personnel depth and ability to withstand and replace casualties. Army theater medical planners may anticipate a sustained rate of roughly 3,600 casualties per day (...) For context, the United States sustained about 50,000 casualties in two decades of fighting in Iraq and Afghanistan. In large-scale combat operations, the United States could experience that same number of casualties in two weeks.(...)« Und es fehlen Rekruten: »(...)The Individual Ready Reserve, which stood at 700,000 in 1973 and 450,000 in 1994, now stands at 76,000.(...)« Die russ. Armee registriert derweil monatl. 30.000 neue Rekruten und hat nicht zuletzt wegen dieses Krieges die nun weltbeste Armee. Anders formuliert: Die US Army weiß, dass sie keinen Monat durchhalten würde. Col. Douglas Macgregor ist der Meinung, NATO könnte 40.000 echte Truppen stellen. Selbst Christopher Cavoli gibt zu, dass NATO mit der Größenordnung dieses Krieges überfordert ist. NATO-Doktrin ist 30 Jahre veraltet. Bereits 2018 wurde das angemahnt. US Infantry über die Defizite ihrer Offiziere: https://www.moore.army.mil/infantry/magazine/issues/2018/Oct-Dec/ »What Should the Brigade Be Doing Right Now?« »(...)none of those leaders have been under massive, sustained artillery, mortar, or rocket fire. None have been attacked with precision strikes from guided missiles or bombs. (...) Few have dealt with jamming or serious disruption of tactical communications networks, and none have faced air attacks from enemy fighters, cruise missiles, or drones.«(...)» Warum? NATO führte 30 Jahren Kriege gegen Widerstandskämpfer. Wenn NATO also einen konvent. Krieg provozieren will, viel Glück. Wer das ausführlicher will, lese Jacques Baud.

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