Viel Geld, keine Skrupel
Von Bernhard Krebs, KölnUnerbittlich rennt der kleine computeranimierte Hamster durch sein Laufrad, überschlägt sich dann und wann, um schließlich von neuem anzurennen. Die an die Wand projizierte Sequenz ist eine Anspielung auf das Motto »Stoppen wir das Hamsterrad«, unter dem die vierte politisch-juristische Fachkonferenz »No SLAPP! Stop Union Busting!« der »Aktion gegen Arbeitsunrecht« am vergangenen Sonnabend in Köln stand. Rund 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten der Einladung ins Bürgerzentrum »Alte Feuerwache« im Kölner Agnesviertel, um sich auszutauschen über »juristischen Dauerbeschuss, strategischen Rechtsmissbrauch und kostspielige Bullshit-Verfahren«, mit denen Betriebsräte und kritische Gewerkschafter, aber auch Journalisten und Blogger von oft spezialisierten Anwaltskanzleien eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht werden sollen.
Gleich zwei Opfer von »SLAPP«-Angriffen schilderten ihre Erfahrungen und das Gefühl der Ohnmacht, das Betroffene überkommt, wenn plötzlich eine »SLAPP«-Klage ins Haus geflattert kommt. »Das war für mich ein krasser Schock«, sagte die Journalistin Nora Noll, die im April dieses Jahres in der Tageszeitung ND über Missstände im »Ankunftszentrum Tegel« berichtet hatte, einer 2022 nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges eingerichteten Erstaufnahmestelle für Geflüchtete.
Doch statt die von anonym gebliebenen Mitarbeitern der Einrichtung in dem Artikel geäußerte Kritik aufzugreifen und sich an die Beseitigung der Missstände zu machen, ging der Träger, das Sozialhilfswerk Berlin vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), gegen die Berichterstattung vor und versuchte, die kritische Journalistin mundtot zu machen. Zunächst sei eine Unterlassungserklärung im Auftrag des DRK bei ihr eingegangen. Zwölf Punkte habe die beauftragte Kanzlei angegriffen und als »unzulässige Verdachtsberichterstattung« gegeißelt. »Hätten wir die Unterlassungserklärung unterschrieben, hätte das im Grunde den ganzen Artikel zerschossen«, sagte Noll.
Doch die Autorin und das ND ließen sich – trotz eines hohen Streitwerts von rund 120.000 Euro, nach dem sich die Prozesskosten berechnen – nicht einschüchtern und verweigerten die Unterschrift. Im Juni kam es zum Prozess. »Das Urteil war ein halber Erfolg«, meinte Noll. In vier der zwölf angegriffenen Stellen hätte das DRK recht bekommen. Die Onlineversion des Artikels habe anschließend entsprechend geändert werden müssen. Ausgestanden ist die Sache damit aber noch nicht, denn das DRK ging in Berufung. Die nächste Verhandlung in der Sache soll an diesem Donnerstag stattfinden. »Das offensichtlichste Problem, das mit so einer Klage einhergeht, ist das Finanzielle«, sagte Noll.
Da stimmte auch Walter Brinkmann zu, Kosprecher des »Aktionsbündnisses Klinikum Lippe« in Nordrhein-Westfalen, der ebenfalls mit »SLAPP«-Klagen überzogen wurde. Hintergrund ist die Auseinandersetzung zwischen der Klinikleitung und einer Pflegerin, die 2022 und 2023 insgesamt 47 Überlastungsanzeigen gestellt hatte. Personalmangel und Arbeitsbelastung am Klinikum Lippe seien so gravierend, dass nicht nur das Wohl der Beschäftigten, sondern auch das von Patienten gefährdet sei. Die Pflegerin klagte, weil die Überlastungsanzeigen keine Konsequenzen gezeitigt hätten. Da die Frau, so Brinkmann, vom Betriebsrat keine Unterstützung erhalten habe, habe sich das »Aktionsbündnis« gegründet. Es seien Stimmen aus der Belegschaft gehört, Unterschriften gesammelt und ein Antrag auf einen Untersuchungsausschuss gestellt worden.
Weil auch die Lokalzeitung ausführlich darüber berichtete, habe die Klinikleitung gar den Verkauf der Zeitung an Kiosken des Klinikums untersagt. Gegen Brinkmann ging die Klinikleitung dann wegen eines Interviews mit der jungen Welt vor, in dem er sich unter anderem zum besagten Verkaufsverbot der Lokalzeitung geäußert hatte, was von der Klinikleitung zunächst bestritten worden sei. Die Klage sei vom Landgericht Detmold jedoch in erster Instanz abgewiesen worden, woraufhin der Aufsichtsrat des Klinikums beschlossen habe, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Doch nun begingen die Anwälte des Klinikums einen Fehler, so Brinkmann weiter. Statt am »inhaltlich zuständigen Oberlandesgericht Köln«, legten die Anwälte beim OLG Hamm Berufung ein. Ob »die teure Anwaltskanzlei es nicht besser wusste«, das könne er nicht sagen, konnte Brinkmann sich einen gewissen Spott nicht verkneifen. Jedenfalls habe der Fehler dazu geführt, dass die Berufung zurückgenommen wurde. »Damit ist dieses Verfahren erst mal für mich abgeschlossen«, so Brinkmann.
Mit »Inside Arbeitsgericht« gewährte der Jurist Noah Klaholz einen exklusiven Blick hinter die Kulissen von Arbeitsgerichten. Dabei beklagte Klaholz die oft lange Verfahrensdauer, die regelmäßig zu Lasten der Beschäftigtenseite gehe. So solle eine Güteverhandlung in einem Kündigungsschutzprozess eigentlich binnen zwei Wochen stattfinden. In der Regel dauere es aber drei bis sechs Wochen. Komme es zu keiner gütlichen Einigung, lasse der Kammertermin gerne drei bis sechs Monate auf sich warten – drei bis sechs Monate, in denen ein Beschäftigter, der sich gegen eine Kündigung wehrt, keinen Lohn oder Gehalt erhält.
»Die wenigsten Beschäftigten haben derartige Rücklagen, dass sie das durchhalten können«, sagte Klaholz im Gespräch mit jW. Vor Arbeitsgerichten gebe es aus seiner Sicht daher nur eine »vermeintliche Ausgewogenheit«. In der Regel seien Unternehmer vor den Arbeitsgerichten in einer viel besseren Lage, weil sie finanziell abgesichert seien. Zudem würden sie die Situation vor Gericht meist kennen, während ein Prozess für einen Beschäftigten den Ausnahmefall darstelle. »Das hat einen hohen psychischen, finanziellen und existentiellen Druck zur Folge«, so Klaholz. Und diesen Druck für Beschäftigte vor Gericht, den könne man nicht »überschätzen«. Das spiegle sich auch in einer hohen Vergleichsquote wider. »Ich schätze, die liegt bei 60 bis 70 Prozent«, sagte Klaholz.
Hinweis vom 17.11.2024: In einer ersten Fassung des Beitrages hieß es, Walter Brinkmann, der die Personalsituation am Klinikum Lippe mit möglichen Todesfällen in Verbindung gebracht habe und wegen dieser Äußerungen vom Klinikum verklagt wurde, habe in der Angelegenheit einen juristischen Sieg errungen. Das ist falsch, es gibt in dieser Sache noch keine Entscheidung. Richtig ist allerdings, dass Brinkmann in einem anderen Verfahren, das das Klinikum gegen ihn wegen eines jW-Interviews angestrengt hat, juristisch gewonnen hat. Wir bitten diese Verwechslung zu entschuldigen. (jW)
Hintergrund: »SLAPP«-Klagen
Während »Union Busting«, also »Gewerkschaftszerstörung«, die systematische Unterdrückung und Bekämpfung von Beschäftigtenvertretungen wie Betriebsräten zum Ziel hat, zielt »SLAPP« darauf ab, Kritiker von Missständen mit jeder Menge Geld in Prozesse zu ziehen und mundtot zu machen. Das Kalkül dahinter: mit einem hohen Prozesskostenrisiko Kritiker entmutigen, einschüchtern und ihre wirtschaftliche Existenz bedrohen.
Das Akronym »SLAPP« steht für »Strategic Lawsuits against Public Participation« und bezeichnet meist Formen von Klagen, mit denen »kritische Stimmen eingeschüchtert und ihre Kritik aus der Öffentlichkeit verbannt werden« sollen, wie es die Deutsche Journalisten-Union (DJU) in Verdi auf ihrer Homepage bezeichnet. Phonetisch erinnert der Begriff an eine »Ohrfeige« oder den berühmt-berüchtigten Schlag ins Gesicht – auf englisch: »slap«.
Wie Philipp Wissing von der »No-SLAPP-Anlaufstelle« (noslapp.de) am Sonnabend erklärte, gehe die Richtlinie zum Schutz vor »SLAPP«, die im März 2024 vom Rat der Europäischen Union angenommen wurde, in die richtige Richtung. Seither sind die EU-Mitgliedstaaten in der Pflicht, konkrete Maßnahmen zum besseren Schutz gegen »SLAPP« umzusetzen. Mit der Gründung der Anlaufstelle im Mai 2024 seien zudem erstmalig verschiedene namhafte Organisationen und Experten vereint worden, um Journalisten, Blogger und andere freie Autoren, die von »SLAPP« betroffen sind, zu unterstützen. Aber auch Whistleblower, gegen die als Hinweisgeber auf Missstände oft juristisch vorgegangen wird, können sich an die Anlaufstelle wenden.
Ziel der Anlaufstelle sei zum einen Aufklärung über das Phänomen »SLAPP«, zum anderen aber auch die Vermittlung von juristischer Expertise sowie psychosozialer Unterstützung. Des weiteren hat sich die Anlaufstelle der Dokumentation von »SLAPP«-Fällen verschrieben, um sie endlich sichtbar zu machen. (bks)
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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