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Aus: Ausgabe vom 31.10.2024, Seite 8 / Ansichten

Westen taumelt

Nordkorea und Ukraine
Von Jörg Kronauer
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Umjubelter Staatschef: Kim Jong Un zu Besuch bei der Koreanischen Volksarmee (14.3.2024)

Manche mögen’s pathetisch. Um zu erläutern, was ein möglicher Eintritt nordkoreanischer Truppen in den Ukraine-Krieg bedeute, zog am Wochenende ein Spezialist des konservativen American Enterprise Institute (AEI) die alte Heartland-Theorie des Briten Halford Mackinder aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg heran. Wer das Heartland beherrsche, ein riesiges Territorium im Herzen Eurasiens, hatte Mackinder damals analysiert, kontrolliere die Weltinsel, große Teile Europas, Asiens und Afrikas; wer aber die Weltinsel beherrsche, kontrolliere die Welt. Wende man das auf die heutige Weltlage an, meinte der Mitarbeiter des AEI, dann müsse man sich mit Blick auf das zur Zeit entstehende Heartland-Bündnis Sorgen machen: Da schlössen sich Russland, Iran, Nordkorea, auch China immer enger zusammen. Sie griffen in Europa an – Russland die Ukraine –, im Nahen Osten – dort attackiere Iran Israel –; und könne man denn wissen, wie es in Ostasien mit Taiwan weitergehe? Die »Konföderation der Heartland-Diktatoren« sei eine ernste Gefahr.

Nun muss man, will man die Frage eines etwaigen Einsatzes nordkoreanischer Truppen im Ukraine-Krieg etwas näher unter die Lupe nehmen, nicht gleich schwülstige Konstrukte alter Imperialisten bemühen. Ohnehin ist immer noch unklar, was da wirklich geschieht. Hat Pjöngjang wirklich Truppen nach Russland geschickt? Wenn ja, wie viele – und was tun sie genau? Offensichtlich ist der Nutzen, den der Westen aus der Debatte zieht. Südkorea stellt – endlich, seufzen nicht wenige – die Lieferung von Kriegswaffen an die Ukraine in Aussicht, die es bislang verweigert hat. Seoul intensiviert seinen Schulterschluss mit der NATO, gegen den es immer noch Einwände gab. Hardliner fordern einmal mehr »Taurus«-Lieferungen sowie die Entsendung von NATO-Soldaten in die Ukraine: Die Kriegstrommeln werden lauter denn je gerührt.

Und doch: Sollte sich bestätigen, was manche vermuten – dass Moskau auf die westliche Billigung der ukrainischen Invasion nach Kursk asymmetrisch mit der Inanspruchnahme des Beistandspakts mit Pjöngjang antwortet –, dann wögen die Folgen schwer. Die Strategien westlicher Militärs für Ostasien gingen bisher von einem auch im Kriegsfall doch eher isolierten Nordkorea aus. Sie rechneten nicht damit, dass ihre Streitkräfte es in Europa je mit anderen als russischen – und belarussischen – Truppen zu tun bekommen würden. Schon die Drohnen und die Munition, die Iran und Nordkorea den russischen Streitkräften geliefert haben, haben ihre Kalkulationen in Frage gestellt. Ein nordkoreanischer Einsatz im Ukraine-Krieg würfe sie noch stärker über den Haufen. Schon die Debatte hat westliche Strategen – das Räsonieren des erwähnten US-Experten über die Heartland-Theorie zeigt es – plötzlich aus dem Gleichgewicht gebracht. In asiatischen Kampfkünsten – im Judo etwa, das Putin so schätzt – ist das ein echter Vorteil.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (31. Oktober 2024 um 10:21 Uhr)
    Im Gegensatz zu Alfred Thayer Mahans Theorie der ausschließlichen Dominanz der Seemacht betonte Halford Mackinder, dass sowohl Land- als auch Seemacht historisch gesehen entscheidende Kräfte waren. Eine expandierende Landmacht konnte oft eine Seemacht überwinden, indem sie deren Stützpunkte von der Landseite aus eroberte. Großbritannien sicherte sich durch seine Kontrolle der Weltmeere bis ins 20. Jahrhundert eine globale Vorherrschaft. Doch Mackinder zufolge verlor das Empire mit dem Aufkommen der Dampfmaschine sowie des Straßen- und Eisenbahnverkehrsnetzes seine Handelsdominanz, wodurch seine Macht gegenüber den kontinentalen Staaten Europas und Asiens geschwächt wurde. Es ist interessant, dass das größte Landreich der Geschichte das Mongolische Reich war. Im 13. und 14. Jahrhundert kontrollierten die vereinten mongolischen Volksstämme ein riesiges Gebiet von Asien bis Osteuropa. Dieses gewaltige Reich schuf, trotz fehlender moderner Kommunikationsmittel, eine enorme kulturelle und wirtschaftliche Dynamik – ähnlich wie das kurzlebige Reich Alexanders des Großen. Solche Großreiche förderten verborgene Talente und brachten durch ihre Größe und Macht eine Art kulturellen Schub, der die gesellschaftliche Entwicklung vorantrieb. Ähnliches geschieht heute, wo der Großteil der Weltbevölkerung in den Landmassen Asiens lebt und durch Globalisierung und digitale Vernetzung erstmals umfassend auf die Weltbühne tritt. Damit fordern diese Gesellschaften die Rechte und Anerkennung, die ihnen zustehen – was die bisherige westliche Hegemonie naturgemäß herausfordert. Geschichtlich bemerkenswert ist auch, dass sich in den vergangenen 500 Jahren die westlichen Weltmächte ungefähr im Jahrhunderttakt in ihrer Vorherrschaft ablösten – angefangen mit Portugal und Spanien, über Großbritannien, bis hin zur heutigen Supermacht USA. Nun scheint auch die 100jährige Vorherrschaft der USA an ihr Ablaufdatum zu kommen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (31. Oktober 2024 um 09:26 Uhr)
    Darf man die Kämpfe in der Oblast Kursk als Teil des Ukraine-Konflikts betrachten? Der Westen tut es, aus naheliegenden Gründen. Ich denke, den Angriff des Selenskyj-Regimes auf Russland im Kursker-Gebiet muss man getrennt betrachten. Und das tut Russland und deshalb hat die Regierung in Moskau das Beistandsabkommen, das sie mit der Regierung der DVRK geschlossen hat, aktiviert. Es funktioniert ähnlich wie der NATO-Pakt, der einen Beistand der NATO-Länder initiiert, falls ein Mitgliedsland militärisch angegriffen würde. Dass der kollektive Westen jetzt mit üblem Propagandageschrei von Ursache und Wirkung ablenken will, ist aus deren Sicht nachvollziehbar. Sie haben ihren Büttel in Kiew nicht mehr unter Kontrolle, ansonsten hätte man ihm das Kursk-Abenteuer untersagen müssen.

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