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Aus: Ausgabe vom 10.10.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Arbeiter unter Druck

Der Werksarzt hat Zweifel

Brasilien: Arbeitsgericht urteilt zu Zuständen bei Tochtergesellschaft von Daimler Truck
Von Volker Hermsdorf
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Wir bleiben hier: Proteste gegen Entlassungen bei General Motors in São José dos Campos, Brasilien (14.8.2024)

Der deutsche Fahrzeughersteller Daimler Truck ist von einem Arbeitsgericht in São Paulo zur Zahlung einer Entschädigung von rund 6,7 Millionen Euro wegen Diskriminierung und Beleidigung von Beschäftigten verurteilt worden. Im Werk der brasilianischen Tochtergesellschaft des weltweit größten Nutzfahrzeugherstellers in Campinas wurden Arbeiter laut dem Urteil nach Erkrankungen oder Arbeitsunfällen systematisch schikaniert. Die Kolleginnen und Kollegen seien Demütigungen, Rassismus, Beschimpfungen, Behindertenfeindlichkeit und der Isolierung im Betrieb ausgesetzt worden, so der Gewerkschaftsdachverband Central Única dos Trabalhadores (CUT) über die Vorfälle.

Die Klage gegen den Automobilhersteller war vom Ministério Público do Trabalho (MPT), einer für die Einhaltung von Arbeitsrechten zuständigen Einrichtung innerhalb der Staatsanwaltschaft, aufgrund zahlreicher Beschwerden von Metallarbeitern in Campinas eingereicht worden. Danach waren krankgeschriebene Beschäftigte nach ihrer Rückkehr häufig als »faul«, »schlechte Arbeiter«, »Penner«, »pummelig« und »fett« beschimpft worden. »Nach Angaben der MPT soll der Chef eines verletzten Arbeiters gesagt haben, dass er ihn mit einer ›12‹ (Schusswaffe) schlagen wolle. Ein anderer Metallarbeiter, der an Diabetes litt, urinierte in seine Hose, weil er von seinem Chef daran gehindert wurde, auf die Toilette zu gehen, und wurde danach als ›Pisser‹ bezeichnet«, schrieb die CUT auf ihrer Internetseite über einen dieser Vorfälle.

Nach Angaben der Gewerkschaft handelt es sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um eine »wiederkehrende Praxis«. Über Schikanen gegenüber erkrankten Beschäftigten klagen Mitglieder der Metallarbeitergewerkschaft Confederação Nacional dos Metalúrgicos (CNM) bei Campinas seit Jahren. »Probleme bereiten uns Krankschreibungen, die vom werksärztlichen Dienst systematisch in Frage gestellt werden. Wer ein ärztliches Attest vorlegt und für zehn Tage arbeitsunfähig ist, muss sich nach fünf Tagen einer Überprüfung durch den werksärztlichen Dienst unterziehen. Bei Nichterscheinen wird die Lohnfortzahlung auf fünf Tage begrenzt«, berichteten die CNM-Vertreter Rosemil Gabriel und Sidalino Orsi im vergangenen Jahr dem Mannheimer DGB-Arbeitskreis Solidarität mit brasilianischen Gewerkschaften.

Auch das Gericht wies die Behauptung von Daimler Truck zurück, dass es um wenige Einzelfälle gehe. »Die Praktiken, die unbestreitbar stattgefunden haben, als isolierte Vorgänge zu akzeptieren, wie das Unternehmen argumentiert, würde einen ernsthaften sozialen Rückschlag bedeuten und die verfassungsmäßigen Garantien der Rechte von Beschäftigten verletzen«, heißt es in dem Urteil. Neben der Geldstrafe »für kollektive moralische Schäden aufgrund von Schikanen und Diskriminierung seiner Arbeitnehmer« ordneten die Richter weitere Maßnahmen an. Unter anderem muss der Automobilhersteller mehr als zwölf Verpflichtungen erfüllen, darunter »die Beendigung von Mobbingpraktiken, insbesondere gegenüber erkrankten oder eingeschränkten Arbeitnehmern, die Entwicklung interner Programme zur Verhinderung von Diskriminierung, die Einführung von Verhaltensstandards und eines internen Ombudsmanns, der sich mit Fällen von Mobbing befasst«. Auf Anfrage der brasilianischen Tageszeitung Folha de S. Paulo wollte das Unternehmen sich nicht »zu laufenden Fällen« äußern und betonte, »alle Maßnahmen« zu ergreifen, um Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten zu schützen». Die Daimler Truck Holding AG verfügt weltweit über 35 Hauptstandorte mit rund 105.000 Beschäftigten. Gegen das Urteil aus São Paulo kann noch Berufung beim Obersten Arbeitsgericht Brasiliens eingelegt werden.

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