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Aus: Ausgabe vom 18.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Ein Zeichen? Ein Zeichen!

Alte und neue Fragen: Maria Fredrikssons Dokumentarfilm »Das Gullspång Geheimnis«
Von Robert Best
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Ist Lita überhaupt tot?

Ein kleiner Unfall steht am Anfang des Dokumentarfilms »Das Gullspång Geheimnis«. In einem Freizeitpark steigt Rentnerin Kari in den walförmigen Wagen einer Wasserachterbahn. Weil sie sich bei der Fahrt das Steißbein bricht, kann sie nicht nach Hause nach Norwegen. Sie bleibt bei ihrer Schwester May in der südschwedischen Kleinstadt Gullspång. Das Duo strickt oder betet, eine sitzend, eine liegend. Ist es nicht schön hier? Eine Eingebung: Sollte Kari sich nicht in Gullspång nach einem Häuschen umsehen?

Der Film reinszeniert den Hauskauf: Kari betritt die Küche, sieht dort etwas Überraschendes. Aber die Art, wie Kari eintritt und ihre Entdeckung macht, passt Regisseurin Maria Fredriksson nicht. Wiederholt interveniert sie. Was findet Kari in der Küche? An der Wand hängt ein gesticktes Stilleben. Genau so eines hatte Kari schon lange vor Augen und vergeblich auf Flohmärkten gesucht. Ein Zeichen? Ein Zeichen! »Es war, als falle der Himmel auf mich herab.« Das Haus wird gekauft. Als Kari und May die Besitzerin kennenlernen, setzt es die nächste Offenbarung. Olaug Bakkevold Østby, Jahrgang 1941, gleicht aufs Haar Karis und Mays Schwester Lita, die vor 30 Jahren Suizid begangen hat.

Ist Lita überhaupt tot? Ist Olaug eine verschollene Zwillingsschwester? Ist alles nur ein Zufall? Das titelgebende Geheimnis erscheint bald darauf gelüftet zu sein – womit aber eher zu wenig als zu viel verraten ist. Die Frauen freuen sich über das wundersame Zusammentreffen und ihr Anwachsen zur Dreifaltigkeit – wobei Olaug, um im Bild zu bleiben, auf Filmlänge mehr und mehr die Rolle des Heiligen Geistes zukommt. Und nun, was soll jetzt kommen? Kaum langweilt einen diese Frage, wird der Film durch eine inhaltliche und formale Wende richtig spannend.

Wo Fredriksson eben noch demonstrativ das Reenactment einer Familienzusammenführung in Szene setzte, schliddert sie jetzt in eine prekäre Gegenwart – und inszeniert das. Zwischen den drei Frauen entsteht Misstrauen. Auch der Film gerät in eine Krise, die Stoff für ihn selbst wird. Mit Olaugs Auftauchen kommen neue und alte Fragen auf. Antworten darauf zu suchen, ist gefährlich und stellt liebgewonnene Sicherheiten in Frage. Ein Kreislauf beginnt: DNA-Tests, Familienforschung, Anrufe bei der Polizei, Poltergeistsituationen, Debatten darüber, wen man ins Gebet einschließt. »Jesus hat für mich, für dich und für Olaug gelitten. Ich muss nicht leiden, indem ich für sie bete.«

Die wesentlich jünger als 80 wirkende, stets stilvoll gekleidete und frisierte Olaug ist der Star des Films. Mit Film- und Fotoaufnahmen von Lita verbindet sie eine Aura lächelnder, wissender Überlegen- und Distanziertheit, zugleich wirkt sie zugänglich und jovial. Wenn sie die meisten Sympathiepunkte einheimst, dann auch, weil Maria Fredriksson die anderen in ein biederes Licht rückt, was schon damit anfängt, dass wir die Betschwestern May und Kari oft im Gegenlicht in einem staubig grau wirkenden Zimmer zu sehen bekommen. Dennoch gelingt es Fredriksson und ihrem Team, insbesondere Pia Lehto (Kamera) und Orvar Anklew und Mark Bukdahl (Schnitt), allen Figuren Raum und Tiefe zu geben. Im Zweifelsfall zeigen sie lieber Menschen, die sich zwischen zwei Äußerungen Gedanken machen, als sprechende Köpfe.

So viel Zeit sich der Film für seine Figuren nimmt, so wenig bleibt hier und da für Hintergründe. Man kann darüber streiten, ob Stichworte wie »polysymptomatische Ähnlichkeitsdiagnosen« und »Nazis in Norwegen« im Film mehr beziehungsweise überhaupt Raum verdient hätten oder ob man sie bei Interesse einfach selber nachgoogeln soll.

»Das Gullspång Geheimnis«, Regie: Maria Fredriksson, Schweden/Norwegen/Dänemark 2023, 116 Min., bereits angelaufen

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