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Aus: Ausgabe vom 16.09.2024, Seite 2 / Inland
Autoritärer Staatsumbau in NRW

»Die Regierung ist Teil des Rechtsrucks«

NRW: CDU-Ministerpräsident Wüst erfüllt mit »Sicherheitspaket« AfD-Forderungen und ermächtigt Geheimdienst. Ein Gespräch mit Sascha H. Wagner
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Hat immer ein Ohr für die Interessen der »Sicherheitsbehörden«: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in Duisburg (9.9.2024)

Die »schwarz-grüne« NRW-Landesregierung hat ein großes »Sicherheitspaket« mit zahlreichen Maßnahmen verabschiedet. Welche Verschärfungen sind darin enthalten?

CDU und Grüne nutzen den furchtbaren islamistischen Anschlag in Solingen, um ein Paket der inneren Sicherheit zu schnüren, das den autoritären Umbau der Gesellschaft enorm befördert. Ministerpräsident Hendrik Wüst, CDU, feiert es als das umfangreichste »Sicherheits- und Migrationspaket« in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Es wurde eine ganze Reihe von Gesetzesverschärfungen durchgebracht. So wird die Überwachung unter anderem dadurch ausgebaut, dass der Landesverfassungsschutz noch mehr Befugnisse bekommt. Er soll künftig schon die Daten 14jähriger speichern können, bis jetzt ist eine Altersgrenze von 16 Jahren gültig. Verkauft wird dies als Präventionsmaßnahme gegen eine islamistische Radikalisierung von Jugendlichen.

Der Dienst soll außerdem rechtliche Grundlagen erhalten, um auf Videoüberwachungsanlagen privater Betreiber in öffentlichen Bereichen zugreifen zu können. Zur Identifikation von sogenannten Gefährdern soll Gesichtserkennungssoftware genutzt werden. Hinzu kommt, dass politisch missliebige Inhalte im Netz zentral verfolgt werden sollen, um Sperrungen von Netzangeboten zu beschleunigen. Als eine Art virtueller Ermittler soll KI als Polizeistreife im digitalen Raum eingesetzt werden. Obendrein soll der Verfassungsschutz Zugriff auf verschlüsselte Messengerdienste bekommen.

In den Vordergrund rückte Wüst Verschärfungen im Bereich Migration.

Die Rechte von Asylsuchenden werden drastisch eingeschränkt und Abschiebungen forciert. Die Landesregierung zieht gegen »irreguläre Migration« ins Feld. Das Gesetz sieht eine zentrale Übersicht der abschiebepflichtigen Personen vor. Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern werden bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag und bis zur Ausreise oder Abschiebung unbefristet in Aufnahmeeinrichtungen bleiben müssen. Bisher werden solche Geflüchtete nach 24 Monaten an die Kommunen überwiesen. An den Verwaltungsgerichten sollen drei zusätzliche Kammern für Asylverfahren eingerichtet werden. NRW plant zudem zusätzlich zum Standort in Büren ein zweites Abschiebegefängnis.

Es werden auch Forderungen an den Bund gestellt. Mit welcher Stoßrichtung geht die Landesregierung vor?

»Schwarz-grün« will sich mit Bundesratsinitiativen für eine Reihe von Maßnahmen wie der Vorratsdatenspeicherung (mehrfach von höchsten Gerichten als grundrechtswidrig eingestufte Form der Massenüberwachung von Telekommunikation, jW) einsetzen. Mit den Initiativen soll das Aufenthaltsrecht verschärft werden. Dazu gehört auch eine Verschärfung des sogenannten Dublin-Systems. Vermeintliche Mitglieder terroristischer Vereinigungen und als deren Unterstützer ausgemachte Personen sollen leichter abgeschoben werden können. Die Landesregierung fordert, dass der Bund zukünftig zentral für die sogenannten Dublin-Überstellungen zuständig ist – angeblich, um die Kommunen zu entlasten.

Und was hält Die Linke dagegen?

Die Landesregierung ist Teil des Rechtsrucks und setzt zahlreiche AfD-Forderungen um, die sie sich zu eigen macht. Das müssen wir herausstellen, denn diese Entwicklung ist brandgefährlich. Hier zeigt sich wieder einmal, dass eine linke Opposition im Landtag fehlt, auch wenn es etwas Kritik aus den Reihen der SPD und FDP gibt. Wir halten nach Kräften dagegen und finden das gesamte Vorgehen grundlegend falsch. Bei der gesamten Debatte werden die sozialen Ursachen völlig ausgeblendet. Warum schließen sich Menschen zum Beispiel dem IS (»Islamischer Staat«, jW) an? Die Ursachen sind nämlich unter anderem in der Armutsentwicklung, der Kriegspolitik des Westens und rassistischer Diskriminierung zu suchen. Da muss angesetzt und dieser bürgerlichen Politik entgegengetreten werden, statt Geflüchtete pauschal zu stigmatisieren und mal wieder zu Sündenböcken zu erklären.

Mit wem suchen Sie das Bündnis, um Druck zu erzeugen?

Wir suchen den Schulterschluss mit den sozialen Bewegungen, um möglichst breitgefächerten Widerspruch in der Gesellschaft zu erzeugen. Dazu gehören in diesem Zusammenhang in erster Linie die Gewerkschaften, die Friedensbewegung, Grundrechtsinitiativen und Flüchtlingshilfen.

Sascha H. Wagner ist NRW-Landessprecher der Partei Die Linke

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