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Aus: Ausgabe vom 13.09.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Buch des Lebens

Familiensache: Der Spielfilm »Ezra«
Von Ronald Kohl
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Unterwegs: Max (Bobby Cannavale, l.) und Ezra (William A. Fitzgerald)

Tony Spiridakis wäre sicher gerne eine große Nummer als Stand-up-Comedian geworden. Noch heute genießt er es hin und wieder, der beklatschte Entertainer zu sein. Sobald er auf der Bühne steht, dreht sich alles um seinen Sohn Dimitri: »Einmal saß er morgens am Küchentisch. Mit einer Hand hat er die Pfannkuchen gegessen, die ich ihm gerade gemacht hatte, in der anderen hielt er die New York Times. Da war er vier.« Das Asperger-Syndrom kann mit sogenannten Inselbegabungen einhergehen. Wir kennen das aus Filmen. Und auch aus dem Leben. Spiridakis nennt die bekanntesten Fälle: »Einstein und Bill Gates«. Danach folgt die reichlich kühne Behauptung: »Alle Eltern wünschen sich diese Diagnose für ihr Kind.«

Spiridakis kann sich so etwas als »betroffener« Vater erlauben (bei seinem Auftritt, den man sich auf Youtube ansehen kann, haut er noch ganz andere Sachen raus). Der von ihm als Drehbuchautor des Dramas »Ezra« kreierte Charakter Max Brandel geht es behutsamer an, zumindest auf der Bühne. Bei einem Gespräch mit dem Psychiater kann aber auch Brandel schon mal komplett ausrasten. Autor Spiridakis hat damals zwar keine Ärzte vermöbelt, doch das Gefühl von Wut, Ohnmacht und Verzweiflung kennt auch er sehr genau.

Vermutlich sollte das Skript für »Ezra« in der Anfangsphase vor mehr als zehn Jahren vor allem das psychische Gleichgewicht des Verfassers stabilisieren oder gar wiederherstellen. Regelmäßig hat Spiridakis die neu geschriebenen Seiten seinem langjährigen Freund Tony Goldwyn vorgelegt, einem Enkel des Mitbegründers von Metro-Goldwyn-Mayer, dem legendären Hollywood-Studio. Spiridakis muss es dann irgendwann gedämmert haben, dass dem Nachfahren des großen Goldwyn die Psyche seines Freundes wichtiger war als ein ehrliches Urteil, und er fing an, die Sache komplett umzuschreiben. Als Reaktion auf die neue Version hat Goldwyn erklärt, dass er die Regie übernehmen wird. Außerdem hat er das Buch an die Stars verschickt, die er haben wollte. Nach der Zusage von Robert De Niro und Whoopi Goldberg nahm das Projekt schließlich Fahrt auf.

Max Brandel (Bobby Cannavale) wäre sicher gerne eine große Nummer als Stand-up-Comedian geworden. Doch seitdem seine Ehe mit Jenna (Rose Byrne) in die Brüche gegangen ist, wohnt er wieder bei seinem Vater Stan (Robert De Niro). Stan ist es gewohnt, dass ihm eine fremde Frau entgegenkommt, die eilig das Haus verlassen will, wenn er von der Nachtschicht als Türsteher in einem New Yorker Hotel heimkehrt. »Hat er wieder geheult? Soll ich Ihnen Frühstück machen?« Als Antwort fällt für gewöhnlich die Tür ins Schloss.

Max weint immer nach dem Sex, weil er dann an seinen Sohn Ezra (­William A. Fitzgerald) denken muss. Ezra musste schon mehrmals die Schule wechseln. Nachdem er unlängst nachts aus dem Haus seiner Mutter geflüchtet war, lief er vor ein Taxi. Jetzt ist von einer Förderschule die Rede und von der regelmäßigen Einnahme hammermäßiger Pillen. Als Max den Jugendpsychiater daraufhin als Drogendealer beschimpft, erwidert der: »Da wissen wir, woher die Aggression des Kindes stammt.« Max reagiert umgehend und heftig auf diese Unverschämtheit und landet (nicht ganz zu Unrecht) im Knast. Ausgerechnet der Neue seiner Exfrau, ein erfolgreicher Anwalt, holt ihn wieder heraus.

Nach diesem Vorkommnis darf Max seinen Sohn für Monate nicht sehen. Immerhin geht es beruflich endlich voran. Seine Freundin und Agentin Jayne (Whoopi Goldberg) teilt ihm freudestrahlend mit, dass ihn der große Jimmy Kimmel in seine Late-Night-Show eingeladen hat. Kimmel würde jedoch den Flug nach L. A. nicht bezahlen. »Ist das ein Problem für dich?«

Das ist es selbstverständlich nicht. Jedenfalls keines im Vergleich zu denen, die noch kommen sollen.

Der Wirbel, der nun entsteht, sorgt für beste Bespaßung, ohne dass die Story dabei verflacht. Der Grund: Alle sind ehrlichen Herzens bemüht, genau das zu tun, was für das Kind das Beste ist. Großvater Stan findet, dass alles nur halb so schlimm ist und die Macht der Behörden begrenzt; so beruhigt er nicht nur das Kind, sondern auch das Publikum. Das funktioniert auch – bis seine Exschwiegertochter beherzt eingreift. Und dann ist die Macht der Behörden auf einmal doch nicht mehr so begrenzt. Denn Max hat für seine Reise nach L. A. nicht nur Daddys riesiges Cabriolet geklaut, er hat auch seinen Sohn eingesackt. Der Vorteil bei der ganzen Sache: So haben sein Vater und seine Exfrau, die den beiden hinterher reisen, Zeit, sich etwas besser kennenzulernen, erstmals offen miteinander zu reden. Dabei passieren keine großartigen oder übermäßig emotionalen Dinge. Aber es fügt sich eine Familie zusammen. Und wir spüren: Hier hat jemand das Drehbuch seines Lebens geschrieben.

»Ezra«, Regie: Tony Goldwyn, USA 2024, 102 Min., bereits angelaufen

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