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Aus: Ausgabe vom 23.08.2024, Seite 15 / Feminismus
Frauen im Widerstand

Mit Gewehr und Gedicht

Madeleine Riffaud zum 100. Geburtstag: Résistance-Freiheitskämpferin, Kriegsreporterin und Dichterin
Von Florence Hervé
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Keine Angst vor den Nazis: Als 19jährige erschießt Riffaud einen Unteroffizier (Paris, 1944)

Madeleine Riffaud war Résistance-Freiheitskämpferin, Antikolonialistin und Kriegsreporterin, Dichterin und Undercoverjournalistin und zuletzt eine der letzten überlebenden Zeitzeuginnen der Résistance. Pünktlich zu ihrem 100. Geburtstag erscheint an diesem Freitag der dritte und letzte Teil der Comictrilogie »Madeleine, die Widerständige« von Jean-David Morvan (Text) und Dominique Bertail (Zeichnungen) auf französisch. Wichtige Mitautorin ist Riffaud selbst, die sich mit über 95 Jahren auf einen Rückblick auf das eigene Leben einließ.

Die 16jährige Tochter von Lehrern aus dem französischen Norden erlebt im Juni 1940 die Flucht von Millionen Menschen vor der deutschen Wehrmacht und die Besetzung ihres Landes. Ein furchtbarer Schock. Selbst ist sie mit ihren Großeltern auf der Flucht. Nach der sexistischen Anmache durch Nazisoldaten und einem kräftigen Fußtritt in den Hintern durch einen deutschen Offizier am Bahnhof Amiens beschließt sie: »Ihr werdet uns nicht mehr lange demütigen.« Der erste Schritt zur Résistance.

Als Widerständige führt sie dann ein Doppelleben in Paris, als Studentin an der Hebammenschule und als Verbindungsagentin mit dem Decknamen »Rainer«, nach Rainer Maria Rilke, einem ihrer Lieblingsdichter. Es heißt Essensmarken besorgen, Nachrichten übermitteln, Waffen schmuggeln. Im Februar 1944 werden nach einer Rufmordkampagne der Gestapo 23 Mitglieder der Migrantenpartisanengruppe »Manouchian« hingerichtet. Riffauds Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Sie engagiert sich im bewaffneten Kampf bei den von der Kommunistischen Partei gegründeten FTP-Partisanen. Im Juni 1944 wird das Dorf ihrer Ferien »Oradour« im Limousin von der SS in Schutt und Asche gelegt. Riffaud ist erschüttert. Im Juli wird einer ihrer Kameraden ermordet. »Das war zu viel.« Die 19jährige erschießt am hellichten Tag einen Naziunteroffizier.

Sie wird verhaftet und von der französischen Miliz und der Gestapo im berüchtigten Gestapo-Verhörkeller Rue de Saussaies und im Gefängnis Fresnes, »das Vorzimmer des Todes«, gefoltert. Das Gedichtschreiben hilft ihr, Ängste zu besiegen. Zum Tode verurteilt, wird sie erneut gefoltert, zwei Wochen lang auf einen Stuhl gefesselt. Nase und Unterkiefer werden ihr gebrochen. Sie verrät keinen Namen. Und schreibt: »Selbst in den schlimmsten Momenten – zum Beispiel als uns die Deutschen für ein Stück Brot weinen, ja kriechen sehen wollten – muss man sich sagen: Ich bin kein Opfer! Ich bin eine Kämpferin! Das ändert alles!«

Mitte August soll sie in das KZ Ravensbrück deportiert werden. Eine Kameradin springt mit ihr aus dem Zug – von der SS »empfangen«, wird sie nach Fresnes zurückgebracht. Bei einem Gefangenenaustausch vom Roten Kreuz kommt sie frei. Nach 36 Stunden »Ruhepause« im Krankenhaus steht sie beim Pariser Aufstand auf den Barrikaden. Am 23. August 1944, an ihrem zwanzigsten Geburtstag, befehligt die Offiziersanwärterin Partisanen auf einem Panzer und bringt mit ihnen einen Panzerzug flüchtender Nazisoldaten zum Stillstand. Paris ist befreit. Die Rückkehr zum Leben, zunächst zum Überleben, ist schwer. Riffaud: »Ich war lebendig, aber zerstört … Ich musste mein Leben rechtfertigen, vor mir mehr als vor den anderen, … weil ich nicht erschossen wurde. Davon werde ich nie geheilt sein.«

Die Literatur wird Zuflucht, die Feder zur Waffe. Die Dichter Paul Éluard und Louis Aragon ermutigen sie zum Schreiben. »Éluard hat mich gerettet.« Picasso widmet ihr ein Porträt. Ihre Gedichte werden veröffentlicht. Sie schreibt für die kommunistische und gewerkschaftliche Presse ihre ersten Reportagen über die Streiks der Bergarbeiter 1947/48. Sie berichtet über die Weltfestspiele der Internationalen Föderation der Demokratischen Jugend in Berlin 1951. Dort lernt sie den vietnamesischen Dichter Nguyen Dinh Thi kennen, ihre große Liebe.

Als antikolonialistische Kriegsreporterin in Algerien und Vietnam ist sie auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit. 1962 entkommt sie, schwer verletzt, einem Attentat der militärischen kolonialistischen Geheimorganisation OAS, später den US-Bomben in Vietnam. Als Undercoverjournalistin arbeitet sie mehrere Monate als Pflegehelferin in einem Pariser Krankenhaus und veröffentlicht 1974 ihren Bestseller »Nachtwäsche« über die dortigen katastrophalen Zustände – eine Million verkaufte Exemplare. Als Zeitzeugin der Résistance tritt sie ab 1994 in Versammlungen und Schulen auf. Bis vor wenigen Jahren war sie unterwegs – sie habe eine Erinnerungspflicht.

Band eins (2022) und Band zwei (2024) von »Madeleine, die Widerständige« sind auf deutsch beim Avant-Verlag, Berlin, erschienen

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