Mit US-Hilfe
Von Ina Sembdner![7.jpg](/img/450/195920.jpg)
Die Bewohner von Nuseirat nördlich von Deir Al-Balah räumten am Montag noch immer Trümmer auf, nachdem Israel dort am Sonnabend bei einem Angriff vier Geiseln befreit hatte. Nach palästinensischen Angaben wurden dabei 274 Menschen getötet und knapp 700 verletzt, womit es sich um einen der verlustreichsten Angriffe des Krieges handelte. Zu der von israelischer Seite als außerordentlicher Erfolg eingestuften Geiselbefreiung blieben auch zwei Tage später noch viele Frage offen – vor allem jene nach Unterstützung von US-Seite.
Am Wochenende waren Meldungen dazu in sozialen Netzwerken hochgekocht, ein Video, das den Abflug eines Helikopters mit den vier befreiten Geiseln direkt neben dem von den USA gebauten »humanitären« Pier zeigte, befeuerte diesen Verdacht. Die Anlegestelle war erst am Sonnabend wieder in Betrieb genommen worden, nachdem sie Ende Mai nur wenige Tage nach Fertigstellung durch Stürme teilweise zerstört worden war. Sowohl das US- als auch das israelische Militär wiesen Vorwürfe zurück, dass der Einsatz über den US-Pier erfolgt sei. Verschiedene Medien, darunter die New York Times, bestätigten jedoch unter Berufung auf anonyme US-Offizielle, dass ein in Israel stationiertes und auf die Geiselrettung spezialisiertes US-Team das Militär bei seinem Einsatz unterstützt hat. Man habe »nachrichtendienstliche Informationen und andere logistische Unterstützung« bereitgestellt. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) bestätigte gegenüber dem US-Sender CBS, dass die Versorgung über den Pier aus Sicherheitsgründen vorerst eingestellt wurde. Die Exekutivdirektorin Cindy McCain berichtete auch von einem verletzten Mitarbeiter und davon, dass zwei WFP-Lagerhäuser von Raketen getroffen wurden.
Armeesprecher Daniel Hagari hatte am Sonnabend erklärt, dass das Militär die Operation mit Tausenden Beteiligten seit mehreren Wochen geplant und genaue Modelle der Wohnhäuser gebaut habe, um sie wiederholt zu trainieren. Die Spezialeinheiten brauchten etwa 25 Minuten, um von Israel nach Nuseirat zu fahren, berichtete die Washington Post. Wie sie dorthin gelangten, sei allerdings unklar. Eine Quelle sagte der israelischen Nachrichtenseite Israel Hayom, dass Premier Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Gallant den Plan am Donnerstag abend genehmigten, nachdem Stabschef Herzl Halevi und Shin-Bet-Direktor Ronen Bar die Operation im Detail mit Risiken und Auswirkungen vorgestellt hatten.
Man wollte die »ultimative Überraschung«, so Hagari zur Erklärung, warum die Infiltration mitten am Tag angesetzt wurde. Wie die Streitkräfte in das Zentrum von Nuseirat gelangten, wollte auch er nicht ausführen. Das ohnehin überfüllte, bebaute Flüchtlingscamp war in den vergangenen Wochen durch neu Vertriebene aus dem Süden noch voller geworden. Zeugen berichteten, dass einige Truppen in zwei Undercoverfahrzeugen angekommen seien, von denen eines den Lastwagen ähnelte, die Israel benutzt, um Handelsgüter nach Gaza zu bringen. Bei dem anderen habe es sich um einen weißen Mercedes-Lkw gehandelt, der mit Möbeln und anderen Habseligkeiten beladen war – wie sonst die Fahrzeuge vertriebener Familien. Das Militär wies den Einsatz ziviler Fahrzeuge zurück.
Kamal Benadschi, ein aus Gaza-Stadt vertriebener Palästinenser, berichtete der US-Agentur AP, wie Kommandos aus einem Lastwagen gesprungen seien und eine Granate in ein Haus geworfen hätten. »Überall gab es Zusammenstöße und Explosionen«, sagte er. Die aus Deir Al-Balah für Al-Dschasira berichtende Maram Humaid schrieb, dass das Bombardement rund zwei Stunden angehalten habe. »Das Dröhnen der Panzer wurde von unerbittlichem Beschuss und dem Schweben von Hubschraubern, Quadcoptern und Drohnen begleitet.«
Kritik wurde am Montag unter anderem von der Hilfsorganisation Oxfam laut. Man begrüße die Befreiung der Geiseln, »das schreckliche Massaker, das Israel an mindestens 274 vertriebenen und hungernden Palästinensern während der Operation zur Befreiung der Geiseln verübte, war jedoch ein inakzeptabler und unverzeihlicher Preis, der zu zahlen war. Diese offensichtlich wahllose Tötung könnte einem Kriegsverbrechen gleichkommen und muss ebenfalls untersucht werden.«
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