»Sichere Zone« Rafah
Von Wiebke DiehlLaut Entscheid des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom Freitag hätte Israel die Offensive auf Rafah sofort einstellen müssen. Statt dessen wurden in der Nacht zu Montag mindestens 45 Menschen bei einem Angriff auf Zelte für Binnenvertriebene in der Stadt im südlichen Gazastreifen getötet. Viele der Opfer sind Kinder und Frauen. In arabischen Fernsehsendern waren Bilder von verbrannten Körpern und schwerverletzten und toten Kindern zu sehen. Aufgehalten hatten sich die Opfer in einem von der israelischen Armee für Flüchtlinge ausgewiesenen Gebiet.
Die israelische Armee hingegen behauptete am Montag, man habe nicht Zivilisten, sondern ein Hamas-Gelände angegriffen. Es habe sich um »nach internationalem Recht legitime Ziele« gehandelt, der Einsatz sei »unter Verwendung präziser Munition« erfolgt. Der Sprecher des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas machte die US-Regierung mitverantwortlich. Auch zahlreiche arabische Regierungen verurteilten den israelischen Angriff. Nach Angaben der Gesundheitsbehörden im Gazastreifen sind seit Beginn des Kriegs im Oktober mindestens 36.050 Menschen getötet worden, mehr als 80.000 wurden demnach verletzt, unzählige konnten noch nicht aus den Trümmern geborgen werden. Dass Israel auch nach fast acht Monaten Krieg keines seiner militärischen Ziele erreicht hat, zeigte sich, als die Hamas am Wochenende – zum ersten Mal seit vier Monaten – Tel Aviv mit Raketen angriff. Am Montag kam es auch zu einem Schusswechsel zwischen israelischem und ägyptischem Militär, bei dem ein ägyptischer Soldat getötet worden sein soll.
Die oberste israelische Militärstaatsanwältin Jifat Tomer-Jeruschalmi bezeichnete den Angriff auf Rafah bei einer Konferenz der Anwaltskammer als »sehr schwerwiegend«, dass solche »Vorfälle« passierten, liege aber »in der Natur der Sache«. Sie gab zudem bekannt, dass der Tod von während des Gazakriegs gefangengenommenen Palästinensern sowie Misshandlungen und Plünderungen durch israelische Soldaten untersucht würden. 70 militärpolizeiliche Ermittlungen seien zu Vorfällen eingeleitet worden, »bei denen der Verdacht auf Straftaten bestand«. Dass Tomer-Jeruschalmi in Zusammenhang mit der Bekanntgabe betonte, es handele sich um Taten einzelner, weckt den Verdacht, dass es sich um den Versuch handelt, eine Ausstellung von Haftbefehlen gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Gallant zu verhindern. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) hatte diese vergangene Woche beantragt, Ermittlungen des IStGH sind aber nationalen Untersuchungen nachgeordnet. Tomer-Jeruschalmi wies außerdem die Vorwürfe von IStGH-Ankläger Karim Khan, namentlich das »Aushungern« und die »gezielte Tötung« von Zivilisten, explizit zurück. Allerdings hatte auch der IGH am Freitag verfügt, Israel müsse – neben der Beendigung der Rafah-Offensive – »wirksame Maßnahmen zur Gewährleistung des ungehinderten Zugangs zum Gazastreifen für Untersuchungs- und Fact-Finding-Missionen, die von den zuständigen Organen der UNO mit der Untersuchung von Völkermordvorwürfen beauftragt sind«, ergreifen.
Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, forderte Israel im Umfeld eines EU-Außenministertreffens in Brüssel am Montag auf, unverzüglich die Angriffe auf Rafah einzustellen. Ähnlich wie Borrell äußerte sich auch Außenministerin Annalena Baerbock, die zudem die Bereitstellung weiterer 39 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in Gaza ankündigte. Das Hauptproblem, der durch Israel blockierte Zugang für Hilfsgüter, wird dadurch allerdings nicht gelöst. Neben dem IGH-Entscheid stand auch die Frage einer Anerkennung des Staates Palästina in Brüssel auf der Tagesordnung. Norwegen, Spanien und Irland haben das für diesen Dienstag angekündigt. Auch Slowenien, Belgien und Malta zeigen sich offen dafür. Unterdessen wurde bekannt, dass das Genfer Internationale Friedensforschungsinstitut (GIPRI) und ein Juristenkollektiv aus Paris in der vergangenen Woche beim IStGH beantragt haben, Ermittlungen gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wegen Mittäterschaft an Kriegsverbrechen in Gaza aufzunehmen.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren. Denn nicht allen lernen die junge Welt kennen, da durch die Beobachtung die Werbung eingeschränkt wird.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (28. Mai 2024 um 18:39 Uhr)Der Völkermord geht ungehindert weiter. Und das verlogene Gequatsche von Menschenrechten und »westlichen Werten« ebenso.
Ähnliche:
- Amir Cohen/REUTERS24.01.2024
Kriegsspirale dreht weiter
- Thilo Schmuelgen/REUTERS13.01.2024
Ganz ohne Zensur
- Clotaire Achi/REUTERS11.11.2023
Almosen für die Verdammten