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Aus: Ausgabe vom 23.05.2024, Seite 4 / Inland
Künstliche Intelligenz

Datenschutz und »Digitalzwang«

Berlin: Diskussion mit Lobbyisten auf Datenschutzkongress. Verein fordert Recht auf analoges Leben
Von David Maiwald
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Der Verein warnt in Zusammenhang mit der verstärkten Umstellung auf digitale Dienstleistungen vor »umfassender sowie kommerzieller Überwachung aller Lebensbereiche«

Innovationen vorantreiben, Effektivität steigern, Kosten senken oder Bedrohungen durch Cyberattacken erkennen: Der bis diesen Donnerstag laufende »Datenschutzkongress 2024« der Handelsblatt-Tochter Euroforum widmete sich am Mittwoch in Berlin insbesondere dem Umgang mit »künstlicher Intelligenz« (KI). Pünktlich mit Inkrafttreten der Regulierungsverordnung durch den Rat der Europäischen Union am Dienstag kamen zum Auftakt sowohl der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sowie einige seiner Landeskolleginnen und -Kollegen zusammen.

Für schlappe 1.550 Euro konnten Interessierte sich anhören, »wie die Digitalisierung die Wirtschaft umkrempelt und welche zentrale Rolle Datenschutzbeauftragte dabei spielen«. Die angekündigte Podiumsdiskussion mit Vertretern der deutschen KI-Hoffnung Aleph Alpha und Siemens mit dem Rheinland-Pfälzischen Datenschutzbeauftragten Dieter Kugelmann sowie Urheberrechtslobbyist und EU-Parlamentarier Axel Voss (CDU) dürfte so einige im Publikum »umgekrempelt« haben. Voss, der die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vor einigen Jahren noch als »Behinderungsinstrument für die digitale Wirtschaft in Europa« bezeichnet hatte, war am Mittwoch glücklicherweise als »Berichterstatter AI Act« angekündigt.

Wo die einen Effizienz und Innovation wittern, können andere gänzlich auf der Strecke bleiben, warnt der Verein Digitalcourage, der ab diesem Donnerstag eine Unterschriftensammlung, für ein Recht auf Leben »ohne Digitalzwang« durchführt. In einer sich verstärkt digitalisierenden Umwelt würden immer mehr analog zugängliche Dienste zurückgebaut »und durch Leistungen ersetzt, die an ein Smartphone, eine bestimmte App oder ein Onlinekundenkonto gebunden sind«, kritisierte der Verein am Dienstag mit einer Pressekonferenz.

Werde nach einer digitalen Umstrukturierung die Teilhabe am öffentlichen Leben durch Verzicht auf nur noch digital erreichbare Angebote eingeschränkt, liege »Digitalzwang« vor – insbesondere bei staatlichen Leistungen und der Grundversorgung, so die Definition von Digitalcourage. Ein Beispiel seien etwa Bahncards der Deutschen Bahn für ermäßigte Fahrscheine, die nur noch mit einem Onlinekonto bei der Bahn zu erhalten sind. »Digitalzwang« liege aber auch vor, wenn eine analoge Alternative zwar vorhanden, aber »so unattraktiv ist, dass sie faktisch nicht in Frage kommt«.

Im vergangenen Jahr hatte Digitalcourage den zusammen mit anderen Netzaktivisten wie dem Chaos Computer Club ausgerichteten Big-Brother-Award in der Kategorie Verbraucherschutz »für praktizierten Digitalzwang« an die Deutsche Post verliehen. Durch die Umstellung der Packstationen der Post könne ohne Smartphone und die Nutzung der »Post und DHL App« kein Paket mehr abgeholt werden, hieß es in der Begründung. Die App sende zudem »sofort nach dem Start ungefragt munter Daten an Trackingfirmen (…) das ist illegal«. Zudem versuche sich der ehemalige Staatskonzern »den Pflichten der Grundversorgung bei der Briefzustellung zu entziehen«.

Ein Smartphone oder andere digitale Geräte sowie Apps für bis dato allgemein verfügbare Dienste nutzen zu müssen, erzeuge neben Ausgrenzung zudem »neue detaillierte Datensammlungen«, was eine immer umfassendere sowie kommerzielle Überwachung aller Lebensbereiche ermögliche, kritisierte Digitalcourage. Nicht nur in Fragen der Teilhabe müsse daher immer ein »nichtdigitaler« Zugang zu Diensten und Leistungen möglich bleiben. »Wir wollen frei entscheiden, wann wir mit einem Smartphone unterwegs sein wollen – und ob wir überhaupt eines besitzen. Wir wollen auch frei entscheiden können, welche Software und welches Betriebssystem wir auf unseren Geräten installieren«, so die Forderung der Datenschützer.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren. Denn nicht allen lernen die junge Welt kennen, da durch die Beobachtung die Werbung eingeschränkt wird.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (23. Mai 2024 um 10:03 Uhr)
    Wir sitzen schon ganz schön tief in der digitalen Falle. Wie lange ich noch meinen Verzicht auf »soziale« Netze, einschließlich WhatsApp, durchhalten kann, ist fraglich. Frei entscheiden, welche Software und welches Betriebssystem? Pustekuchen! Letztes Jahr, zwei Tage vor Urlaubsantritt, hat mir meine Bank ohne Vorwarnung mitgeteilt, dass ihre neue Secure-Go-App-Version nicht mehr auf meinem alten Tablet läuft – zu altes Android. Zufällig war das Betriebssystem des Mobiltelefons aktuell genug, aber Hektik war trotzdem. Zu Web-Browsern unter Windows oder zu Cortana will ich mich garnicht äußern. Wie schaut es mit dem digitalen Rezept aus? Smart Home und sonst noch alles Mögliche in der Cloud? Moderne Messeinrichtung (mME) / intelligentes Messsystem: Die bei mir installierte mME kann etwa im Sekundentakt für jede Phase Strom, Spannung und Leistungsfaktor ausspucken. Die Stromwerte sind auf 10 Milliampere genau. Wäre sie durch eine Kommunikationseinrichtung »intelligent«, könnte der Messstellenbetreiber diese Daten lesen. Das Stromprofil beantwortet diese Fragen: Läuft gerade die Kaffee-, Spül-, Waschmaschine oder der aktuelle Tatort? Da brauchste fast keine Gesichtserkennung mehr.

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