»Sie will indigene Gemeinden zerstören«
Interview: Barbara EderSie sind seit Jahren in der zapatistischen Solidaritätsarbeit aktiv. Wie hat sich die Situation in den einschlägigen Gemeinden Mexikos seit der jüngsten Strukturreform verändert?
Es gibt einen nicht-offiziellen, aber deklarierten Krieg gegen die indigenen Völker Mexikos – unmittelbar vor den Präsidentschaftswahlen 2024. Die mexikanische Regierung geht mit Paramilitärs, der föderalen Polizei und der staatlichen Armee gegen die zapatistischen Gemeinden in den Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca vor. Die Sinaloa und andere Kartelle haben Gemeinden im Bundesstaat Guerrero und die Stadt Waka im Westen Mexikos in den vergangenen zwei Jahren fast gänzlich unter Kontrolle gebracht, Organ- und Waffenhandel blühen. Der aktuelle Rückzug der Zapatistas ins Landesinnere ist von Schmerz und Trauer begleitet. Alle zwölf Schnecken, »Caracoles« genannt, wurden geschlossen und abgebaut, pro Schnecke gab es hundert Dörfer. In diesen »Caracoles« spielen Frauen – auch in ihrer Verteidigung – traditionell eine wichtige Rolle. Vor Ort arbeiteten sie täglich zwischen 16 und 19 Stunden.
Sexualisierte Gewalt ist ein Machtmittel im aktuellen Konflikt. Wie setzten sich die Zapatistinnen dagegen zur Wehr?
Sexualisierte Gewalt gegen Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft wie der mexikanischen kommt nicht nur im Kontext von Konflikten vor. Sie ist nahezu alltäglich – vom Vorarbeiter bis zum Großgrundbesitzer. Es gibt in Mexiko eine Kultur der Vergewaltigung, ebenso in ganz Lateinamerika und der Karibik. Sie zielt auch auf die Zerstörung von indigenen Gemeinden ab. Meine Erfahrungen mit fast vier Generationen zapatistischer Frauen ist es dennoch nicht, dass diese einen feministischen Sonderweg einschlagen würden. Die Zapatistas kritisieren zwar die patriarchalen Elemente der männlichen Führung, stärken aber das Gemeinsame zwischen den Geschlechtern – in- und außerhalb der Bewegung und der Gemeinden. Seit den 90er Jahren spielt der Marxismus in Mexiko eine wichtige Rolle und die Zapatistas haben viel davon aufgegriffen. Es gibt das Revolutionäre Frauengesetz von 1993 und mehr als 30 Paragraphen zum Schutz von Frauen – so auch das Recht, sich gegen Zwangsverheiratung zu wehren.
Sie beschäftigen sich mit der Rolle der »Defensoras« in der zapatistischen Gemeinschaft. Was genau ist deren Aufgabe?
Defensoras sind Laienjuristinnen, die sich in den zapatistischen Gemeinden für die Rechte von weiblichen Gewaltopfern einsetzen. Unterstützung finden Frauen in Notlagen bei einer Selbsthilfegruppe, die Defensoras klären sie über ihre Rechte und mögliche Schritte gegen die Täter auf. Sie begleiten auch bei Behördengängen und vor Gericht. Die erste Defensora nahm ihre Arbeit 1983 als einzige Frau in einer Gruppe von sechs Guerilleros auf. Sie heißt Kommandantin Ramona und fing an, mit Frauen in den kleineren Dörfern über ihre jeweiligen Situationen zu sprechen. 1993 begannen sich die ersten Zapatistinnen zu organisieren – das war eine kleine Revolution innerhalb der größeren. Sie erkannten, dass sie diskriminiert und zu Menschen zweiter Klasse gemacht werden. Defensoras sind zudem auch Multiplikatorinnen geschlechterbezogenen Wissens. Sie sorgen für die medizinische Versorgung von Frauen, auf ihre Initiative geht etwa die Errichtung einer gynäkologischen Station in La Garrucha zurück.
Wie sieht der Alltag der Defensoras aus?
Derzeit finden schwere Menschenrechtsverletzungen statt. In Zusammenarbeit mit dem San-Bartolomé-de-las-Casas-Menschenrechtszentrum in Chiapas machen die Defensoras diese öffentlich. Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt ist eines ihrer Hauptanliegen, die geht auch von Vertretern der mexikanischen Regierung aus. Defensoras gibt es im übrigen auch in West- und Osteuropa; ich selbst bin nach meiner Begegnung mit ihnen zu einer solchen geworden. Als solche habe ich auch die Aufgabe, das Wort – »la palabra« – weiterzugeben.
Zoraida Nieto ist Kultur- und Sozialanthropologin. Sie war Mitorganisatorin der zapatistischen »Reise für das Leben«, die 2021 in Wien begann
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