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Aus: Ausgabe vom 18.05.2024, Seite 4 / Inland
Ideologieproduktion

Voll auf Linie

Tübingen: Apologet der »Zeitenwende« ausgezeichnet. Proteste ausgesperrt
Von Matthias Rude, Tübingen
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Nein zu Aufrüstung und Krieg: Demonstranten am Mittwoch in Tübingen

Am 15. Mai, der auch der Internationale Tag der Kriegsdienstverweigerung ist, hat die Universität Tübingen einem der vehementesten deutschsprachigen Befürworter von Aufrüstung und Waffenlieferungen einen Preis für »innovative und erfolgreiche Wissenschaftskommunikation« verliehen. Ausgezeichnet wurde Klaus Gestwa, Direktor des Tübinger Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, vor allem für ein als »Thesencheck« bezeichnetes Youtube-Video, das fast eine Million Mal angeklickt wurde. Darin schwärmt er unter anderem vom »Epochenumbruch«, den die »Zeitenwende« mit sich bringe. Angekündigt gewesen war die Preisverleihung zunächst als »öffentliche Feierstunde«; als sich abzeichnete, dass es Protest geben würde, wurde die Veranstaltung für die Öffentlichkeit geschlossen.

Dass an den bewachten Türen des Festsaals Schilder mit der Aufschrift »Geschlossene Gesellschaft – Zugang nur für geladene Gäste« prangten, hielt Monique Scheer, »Prorektorin für Internationales und Diversität« und Vorsitzende der Jury, die die Preisträger auswählt, nicht davon ab, in ihrer Begrüßungsansprache zu betonen, dass es der Universität seit langem ein besonderes Anliegen sei, »der interessierten Öffentlichkeit einen Einblick in ihre Forschungstätigkeiten geben zu können«. Der »Brückenschlag in die breite Öffentlichkeit« sei auch »die Grundlage« dieser Preisverleihung.

Der Slawist Tilman Berger hielt die Laudatio auf Gestwa. Der Historiker sei »ein Gesamtkunstwerk«, außerdem ein »sehr emotionaler Mensch«. Ein »Mensch der leisen Töne« sei er nicht. Aus dieser Eigenart resultierten »Konflikte«; davon sei »draußen auch etwas zu sehen«. Vor den verrammelten Türen hatten sich nämlich rund 70 Kriegsgegner versammelt, deren Sprechchöre im Saal immer wieder zu hören waren.

Zur Kundgebung aufgerufen hatte die Tübinger Informationsstelle Militarisierung. In ihrem Redebeitrag übte sie Kritik an der Universität. Diese feiere sich selbst, verleihe »ihren eigenen Flaggschiffprojekten Preisgelder«. Gestwas Darstellungen seien »an vielen Stellen grob vereinfachend«, einseitig und »voll auf Linie der Regierungspolitik«. Er vermittle »auch nur ein Narrativ, oder eben: Propaganda«. Weitere Beiträge gingen in eine ähnliche Richtung. In einer längeren Rede führte die SDAJ aus, wie Wissenschaftler sich in den Dienst der Herrschenden stellen. Die Demonstranten hielten Transparente mit Schriftzügen wie »Kein Preis für Kriegspropaganda« oder »Zivilklausel verteidigen«. Seit 2009 ist in der Grundordnung der Universität verankert, dass Lehre, Forschung und Studium »friedlichen Zwecken« dienen sollen.

In seiner eigenen Rede forderte der Preisträger derweil »Solidarität mit der Ukraine« und ließ sich über die »Naivität« gewisser »politischer Milieus« aus. Er scheuche »diejenigen auf, die den Zumutungen der ›Zeitenwende‹ mit einem wohlfühligen Wunschdenken ins Wolkenkuckucksheim entfliehen«. Wenn er sich anschaue, wen er »auf die Palme gebracht« habe – etwa »die stalinistisch-maoistische MLPD« –, dann dränge sich der Eindruck auf, dass seine öffentlichen Interventionen »nicht so ganz schlecht und falsch gewesen sein können«.

Er erhalte auch viel Zuspruch. Menschen versicherten ihm, seine Beiträge seien ihnen behilflich, »sich gegen die Moskauer Desinformationspolitik zu wappnen und geschäftstüchtigen Scharlatanen und politischen Traumtänzern nicht auf den Leim zu gehen«. Es müsse nun darum gehen, die Ukraine, die »für uns alle die heißen Kohlen aus dem von Moskau voll entfachten Kriegsfeuer holen muss«, in eine starke Position zu bringen – auch militärisch. Dafür bedürfe es »robuster Ge- und Entschlossenheit«. Wer dies, wie Gestwa, offen thematisiere, sei »kein Bellizist, kein Kriegspropagandist, sondern ein verantwortungsvoller Realist«.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von B. S. aus Ammerland (20. Mai 2024 um 16:18 Uhr)
    Einer der Hardliner und Geschichtsbestatter Erster Güte ist der Direktor des Tübinger Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde hat in Tateinheit mit Monique Scheer, Prorektorin für Internationales und Diversität und Vorsitzende der Jury, die die Preisträger auswählt, den Wissenschaftsstandort gewaltig nach rechts (!) verlagert. Zwei unbedeutende Wichtigtuer plus einem Laudator namens Berger bekommen eine, wenn auch unter »Artenschutz« gestellte, Festveranstaltung der Unheimlichen Art. Aus dem Heer der Emporkömmlinge treten drei weitere Charaktere hervor und posaunen ihre Gesinnung lauthals heraus. Dass sie anglo-amerikanische Propaganda unverhohlen bedienen, lässt tief blicken. Aber es scheint in jeder Hinsicht karrierefördernd zu sein und Zuwendungen dürften sich auch bald einstellen. Die Kumpaneien von Unis, ihres rechten akademischen Personals mit der Wirtschaft, besonders der Rüstungsindustrie, kommt nicht von ungefähr. Gestwa – eher ein auf dem rechten Auge besonders Blinder, ist da keine Ausnahme mehr. Diese Bellizisten-Riege alter Schule hat die berühmt-berüchtigten zwölf Jahre Deutscher Geschichte völlig vergessen – na, bei dem Kanzler auch kein Wunder –, aber nachher wollen sie es, wie ihre Vorgänger nicht gewesen sein. Solche »Jubel-Perser-Veranstaltungen« sind strikt abzulehnen und haben nur ein Ziel, den Tod auf dem Schlachtfeld zu verharmlosen. Mein Tipp an diese obskuren Herrschaften – wie einst zu CDU/CSU Zeiten gern verwandt: »Dann geht doch rüber!« Aber da kommt ja bekanntlich immer etwas dazwischen.

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