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Aus: Ausgabe vom 18.05.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Palästina-Solidarität

»Die Zukunft von Frieda ist die Zukunft der sozialen Arbeit«

Repression: Berliner Bezirksstadtrat lässt Jugendzentren schließen. Ein Gespräch mit Shokoofeh Montazeri
Von Yaro Allisat
Angehende Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der Alice-Salomon-Hochschule fordern ein Ende des Kriegs in Gaza und der Besatzung durch Israel (Berlin, 29.4.2024)
Zahlreiche Demonstrantinnen und Demonstranten erklären sich solidarisch mit Frieda e. V. (Berlin, 29.4.2024)
Wollen sich die Kündigung nicht so einfach gefallen lassen: Solidaritätskundgebung für Frieda e. V. (Berlin, 29.4.2024)
Streiten für den Erhalt der Frieda-Mädchen*zentren: Demonstrierende in Berlin (29.4.2024)

Das Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg hat Ende April fristlos den Trägervertrag für die Mädchenzentren Alia und Phantalisa gekündigt. In der Konsequenz sind Sie vom Verein Frieda-Frauen*zentrum gekündigt worden. Was genau wird Ihnen vom Bezirksamt vorgeworfen?

Das Jugendamt denkt, dass uns demokratische Ansätze für die Kinder- und Jugendarbeit fehlen. Sie erheben einen Antisemitismusvorwurf gegen mich, weil ich am »Palästina-Kongress« teilnehmen wollte. Ich hätte auf einem Panel über imperialistischen Feminismus und deutsche Außenpolitik gesprochen, darüber, wie Pinkwashing schon immer von den imperialistischen Mächten genutzt wurde und wie überall auf der Welt deutsche Waffen in Konflikten eingesetzt werden. Es ist unglaublich, dass durch die Kongressabsage versucht wird, unsere Stimmen zu verbieten.

Außerdem werden ein Bericht der Bild, die Teilnahme an Demonstrationen für die Freiheit Palästinas und Instagram-Posts und -Likes von mir und von Mitarbeitenden von Alia und Phantalisa angeführt, obwohl diese Accounts privat sind. Dass unsere Beschäftigten auf ihren Instagram-Profilen überwacht und die Teilnahmen an Demonstrationen geprofiled und offenbar kriminalisiert werden, ist besorgniserregend. Wir erwarten eine Antwort, woher das Jugendamt diese Informationen hatte.

Was denken Sie über diese Vorwürfe?

Diese Vorwürfe haben keine Basis, es sind schlicht Anschuldigungen. Ich verstehe nicht, wie das Menschen nicht an die 1930er Jahre erinnern kann. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich Sozialarbeitende in diesem Land zusammengesetzt, um eine soziale Arbeit zu definieren, die nie wieder an der Seite des Faschismus stehen kann und die unabhängig vom Staat funktioniert.

Gleichzeitig macht eine Gruppe wie »Sozialarbeiter*innen gegen Antisemitismus« eine Story über mich auf ihrem Instagram-Profil, stellt mich und meine Kolleginnen als gefährlich dar und kriminalisiert uns. Ähnliches haben sie nicht nur in meinem Fall, sondern auch schon vorher gemacht. Dass eine solche Gruppe Hand in Hand mit dem Staat arbeitet und Kolleginnen wie mich, deren Existenz davon betroffen ist, in die Hände der staatlichen Repression bringt, finde ich unglaublich. Sie nutzen Methoden wie die faschistischen Sozialarbeitenden in den 30ern und 40ern, die Roma und Sinti oder sogenannte Asoziale in Lager geschickt haben.

Wie geht es für Sie als Sozialarbeiterin weiter?

Das Jugendamt wollte, dass der Verein Konsequenzen zieht. Deshalb wurde mein Arbeitsverhältnis bei Frieda e. V. beendet, damit weiterer Schaden und Hetze vom Verein abgewendet werden können. Ich sehe das als eine Repression, und ich mache mir Sorgen, wie weit die BRD gehen will.

Soziale Arbeit ist eine politische Arbeit. Ich habe diese Arbeit gewählt, und keine Kraft in der Welt kann mir sagen, dass ich sie nicht mehr machen soll. Ich bin damit nicht allein, und ich glaube daran, dass wir als Menschen gemeinsam etwas verändern können. Ich werde nicht aufgeben, meine Stimme gegen Apartheid, Kolonialismus und den Genozid an den Palästinenserinnen und Palästinensern zu erheben. Ich lebe nicht seit 20 Jahren im Exil, um das gleiche noch einmal zu erleben. Jedes Regime, das Jugendarbeit angreift, hat ein Autoritarismusproblem. Es geht nicht, dass Pädagogen keine kritische Perspektive mehr haben dürfen oder ihre politische Arbeit begrenzen, weil sie Angst vor Repressionen haben. Wenn das weitergeht, dann steuern wir in eine Katastrophe.

Sie leben seit 20 Jahren im Exil?

Ich bin in Iran groß geworden. Mit 21 Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. Mein Vater war Kommunist und wurde in dem Massaker von 1988 mit Tausenden von seinen Genossinnen und Genossen in Iran hingerichtet. Das Massaker war der Höhepunkt der Verfolgung sozialistischer Kräfte in Iran nach der Revolution. Bis heute werden Menschen, die versuchen, das an die Öffentlichkeit zu bringen, als »Terroristen« bezeichnet. Uns wurde als Kindern beigebracht, in der Schule nicht darüber zu reden. Ich durfte nicht über meinen Vater sprechen, nicht sagen, wer ich bin. Meine Mutter wurde zweimal zwangsgekündigt und war im Gefängnis. Sie war Lehrerin und bekam ein Lehrverbot, weil sie politisch aktiv war.

Als ich nach Deutschland kam, habe ich mitbekommen, dass hier das Leid von palästinensischen Menschen nicht anerkannt wird – genauso wie ihr Land nicht anerkannt wird. Seit dem 7. Oktober sehen wir eine nackte Form dieser Repression. Auch die Antideutschen haben jetzt keine Scham mehr, Hand in Hand mit der Polizei zu arbeiten, zum Beispiel, wenn Aktivisten aus der Humboldt-Uni geprügelt werden. Das erinnert mich an Iran.

Hier sagen alle immer, wie wichtig es ihnen ist, sich für Demokratie einzusetzen oder auch wie wichtig die Aufstände in Iran sind – Bullshit! Niemand von ihnen steht hinter den Aufständischen in Iran, niemand steht hinter der Arbeiterbewegung, die die Korruption anprangert. Die westlichen neoliberalen Mächte kritisieren die Politik Irans; gleichzeitig läuft der Handel mit dem schwarzen Gold, der Ölhandel, weiter.

Es gab schon früher Gespräche zwischen Frieda e. V. und dem Jugendamt. Warum?

Seit 2020 greift ein Nachbar die Mädchen und Beschäftigten rassistisch an. Das Ganze wurde von der Polizei und dem Jugendamt nicht ernst genommen. Die Polizei hat dann bei einer Hausdurchsuchung des Mannes Waffen entdeckt. Wir waren schockiert und traumatisiert. Wie oft muss Hanau passieren, damit wir endlich ernst genommen werden? Wir haben Gespräche mit dem Jugendamt gesucht. Wir haben auch die Frage gestellt, ob es nicht einen Interessenkonflikt gibt, wenn der Bezirksrat und Jugendbeauftragte Max Kindler von der CDU Polizist ist und wir mit ihm über Kritik an der Polizei reden sollen.

Kindler hat uns damals schon kündigen wollen, weil es keine »Vertrauensbasis« mehr gäbe. Nur weil wir Kritik geäußert haben? Oder nur weil unsere Beschäftigten traumatisiert sind und eben nicht auf die Art und Weise mit ihm reden können, wie er das will? Es wurde vom Jugendamt so hingestellt, als hätte es schon immer Probleme mit uns gegeben, was nicht der Fall war. Das ist Täter-Opfer-Umkehr.

Aus den Medien habe ich mitbekommen, dass das Jugendamt meinte, dass wir »Probleme in den pädagogischen Konzeptionen der Einrichtungen« hätten. Es wurde so gelesen, als ob nur nicht-weiße Mitarbeitende dort arbeiten dürften, was nicht der Fall ist. Das Absurde daran: Warum sollen wir uns rechtfertigen, während Projekte, wo nur weiße Personen arbeiten, nicht für fehlende Inklusion kritisiert werden?

Wie muss Ihrer Ansicht nach eine queerfeministische soziale Arbeit aussehen?

Pädagogik muss auf Augenhöhe stattfinden. Das heißt in einen Austausch zu kommen und das Wissen der Menschen, auch wenn sie Jugendliche oder jünger als du sind, anzuerkennen und anzunehmen. Wir sind nicht da, um die Menschen zu erziehen. Wir leben in einer Welt, in der Worte wie Feminismus oder Queerness im akademischen Sinn oder als Aushängeschild benutzt werden. Oft werden sie sogar gegen marginalisierte Menschen eingesetzt. So werden sie oft benutzt, um Menschen aus anderen Ländern rassistisch zu attackieren und Europa und den Westen als »zivilisierten« Teil der Welt darzustellen. Dieses Pinkwashing sehen wir auch gerade bei Israel und Palästina, aber auch früher schon in bezug auf Irak oder Afghanistan.

Die Jugendlichen, mit denen ich gearbeitet habe, sind mit diesen Begriffen angegriffen worden. Deshalb müssen wir eine andere gemeinsame Grundlage finden, auf der wir trotzdem zu den Themen arbeiten können. Das geht nur durch jahrelange Beziehungsarbeit. Es geht hier nicht um eine individuelle Befreiung, sondern um einen gemeinsamen Kampf gegen Diskriminierung, die auch Repression bedeuten kann. Rassismus ist hier in Deutschland das größte Repressionsinstrument.

Wie geht es jetzt weiter?

Im Jugendhilfeausschuss wurde beschlossen, dass der Alleingang von Kindler missbilligt wird und er künftig keine solchen Schritte mehr unternehmen sollte. Es wurde ein Beschluss mit vielen Auflagen für Frieda e. V. und die Beschäftigten der Jugendzentren Alia und Phantalisa verabschiedet. Dieser Beschluss beinhaltet die Neuaufsetzung der Leistungsverträge, die ermöglichen würden, die Arbeit wie zuvor weiterzuführen. Allerdings liegt die Verantwortung für die Umsetzung bei Kindler und der Jugendförderung. Dieser hat bereits angekündigt, diese Entscheidung rechtlich prüfen zu lassen. Somit bleibt die Situation vorerst unverändert, während die rechtliche Klärung noch aussteht.

Die Entscheidung des Jugendhilfeausschusses ist eine Entscheidung für die gesamte pädagogische und soziale Arbeit. Viele Menschen sind auf unseren Fall aufmerksam geworden und wissen, dass auch sie früher oder später betroffen sein werden. Die Zukunft von Frieda e. V. ist auch die Zukunft der Kolleginnen und der Jugendlichen.

Shokoofeh Montazeri ist Sozialarbeiterin und war Projektkoordinatorin bei Frieda e. V.

Solidarität und Repression: Bleiben die Frieda-Mädchen*zentren?

Ende April kündigte das Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin fristlos die Verträge für die beiden Mädchen*zentren Alia und Phantalisa, die der Kinder- und Jugendhilfeträgervereins Frieda-Frauen*zentrum betreibt. Der Vorwurf: die Teilnahme von Geschäftsführungsmitgliedern an palästinasolidarischen Demonstrationen, darunter auch der der – nun: ehemaligen – Projektkoordinatorin Shokoofeh Montazeri. Montazeri wurden zudem die geplante Teilnahme als Rednerin beim vorzeitig aufgelösten »Palästina-Kongress« – in der Kündigung schreibt der Bezirksstadtrat für Jugend, Familie und Gesundheit, Polizist Max Kindler (CDU), unter Bezugnahme auf die Springer-Boulevardpresse vom »Israelhasser-Kongress« – sowie private Instagram-Posts zum Thema vorgehalten.

Die beiden Zentren Alia und Phantalisa mussten seitdem schließen. Trotz der Rücknahme der Kündigung durch den Jugendhilfeausschuss am vergangenen Dienstag halten die Mitarbeitenden eine sofortige Wiedereröffnung für fraglich. Verfügt hatte Kindler die Kündigung ohne Abstimmung mit dem Jugendhilfeausschuss oder vorherige Gespräche mit Frieda e. V., wie er gegenüber jW erklärt hatte. Die privaten Instagram-Informationen habe Kindler aus einer anonymen Quelle, betonte er im Jugendhilfeausschuss.

Spontan hatte sich Ende April das Aktionsbündnis »Solidarity Network Frieda« gebildet. Dutzende Menschen, darunter auch solidarische Sozialarbeitende, versammelten sich bei den Demonstrationen unter dem Motto »Hands off Frieda« vor den Jugendhilfeausschusssitzungen, um gegen die »intransparente, fragwürdige und weit über den Bezirk hinaus gefährliche Entscheidung von Stadtrat Kindler«, wie der Migrationsrat Berlin e. V. es in einem offenen Brief vom 24. April formulierte, zu protestieren. Der Protest richtete sich außerdem gegen die »anonyme Denunziation, Verleumdung und Hetze«, die einen »massiven Angriff auf das Berufsbild« der Sozialarbeitenden darstellten, so eine Bündnisvertreterin in einer Rede. Auch ehemalige Besucherinnen der beiden Jugendzentren erhoben ihre Stimmen und sprachen sich für das Weiterbestehen von Alia und Phantalisa aus. (ya)

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  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (21. Mai 2024 um 13:17 Uhr)
    Es mangelt wieder an der Wertschätzung für Jugendarbeit in Politik und Verwaltung, die ich nur als unerträglich bezeichnen kann. Dass sich ein CDU-Bezirksstadtrat und seine Ampel-Claqueure und auch Verwaltungsbürokraten dazu herablassen, nach dem Trumpschen Hire-and-Fire-Prinzip, Mitarbeitende ohne Rücksicht auf Arbeitnehmerinnenrechte »auf die Straße« zu setzten oder Projekten den »Stuhl vor die Tür« zu stellen, lässt fehlende Rechtskenntnis vermuten und ist ein Hinweis darauf, dass sich Vereine als Arbeitgeber zukünftig entsprechend absichern. Beispielsweise die Berücksichtigung des Beutelsbacher Konsens einfordern. Sie haften übrigens für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Die Frage ist, ob man überhaupt mit solchen politisch-behördlichen Hasardeuren zusammenarbeiten oder Geschäfte machen kann. Im Westen wurden aus Jugendzentren der 60er Jahre (Weiße Rose, G. von Rauchhaus, Fuchsbau) hochkomplexe Freizeiteinrichtungen und Kulturakademien mit großartigen Angeboten. Diese ähneln sehr jenen Kunstschulen, die Rockgruppen wie Beatles, Rolling Stones und vielen anderen als Basis erfolgreicher Karrieren dienten. Im Osten sicher auch. Das trifft bestimmt auf die noch junge, spezialisierte Fraueneinrichtung Frieda e.V. zu. Kinder- und Jugendarbeit ist ungeeignet als Pop-up-Einrichtung durch Städte und Gemeinden zu vagabundieren. Fehlende Jugendeinrichtungen, die heute oft ein »Wohnzimmer« für Menschen bis 27 Jahren anbieten, wurden in Baden-Württemberg durch kurzfristig agierende Streetworker ersetzt. Mangelnde Jugendarbeit führte dazu, dass immer wieder Schüsse in der Region Stuttgart fallen, es Verletzte und Tote gibt, gegen annähernd 550 Personen im Raum Stuttgart ermittelt wird. Ermittler mehrere tausend Personen kontrollierten, 30 Schusswaffen beschlagnahmten. Überwiegend Jugendliche haben einen lokalen Bezug zu kriminellen Gruppen, wohnen in der gleichen Nachbarschaft, kennen letztlich nur ihre Gruppe und möchten dabei sein. Auch bei der nächsten Schussserie.
  • Leserbrief von Christine Ullrich aus Berlin-Charlottenburg (21. Mai 2024 um 11:46 Uhr)
    Mir ist schleierhaft, dass ein Kriminalkommissar für die Abteilung Jugend, Familie und Gesundheit zuständig sein soll. Gerade in diesem Bereich ist Einfühlungsvermögen, eine gewisse pädagogische und soziale Grundlage nötig. Herr Kindler bewegt sich wie ein Elefant im Porzellanladen. Man könnte meinen, dass er mit seinen Verboten so handelt, wie es seiner beruflichen Ausbildung entspricht. Wie ging noch mal der Song: »Der Kommissar geht um.« Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sollte sich mal Gedanken über so weitreichende Entscheidungen von Herrn Kindler machen.

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