Neuer Maidan im Entstehen
Von Jörg Tiedjen![2 aufmacher.jpg](/img/450/194967.jpg)
Die EU und die USA sind ungehalten. Sie bestehen darauf, dass das Ende vergangenen Jahres zum EU-Beitrittskandidaten gekürte Georgien ein als »russisch« apostrophiertes »Gesetz zur Transparenz ausländischen Einflusses« wieder fallenlässt. Dessen Verabschiedung wirke sich »negativ auf die Fortschritte Georgiens auf dem Weg in die EU aus«, drohten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und der EU-Kommissar Olivér Várhelyi am Mittwoch in einer Erklärung. Ebenso Washington: »Unserer Ansicht nach muss die georgische Regierung den Kurs, auf dem sie sich befindet, ändern«, sagte US-Außenministeriumssprecher Vedant Patel schon am Dienstag.
Denn Georgiens Parlament hat die Regelung allen Protesten und Warnungen zum Trotz am Dienstag abgesegnet. Die Mehrheit im von der als »russlandfreundlich« geltenden Partei »Georgischer Traum« dominierten Volksvertretung war komfortabel: 84 Abgeordnete stimmten für die Vorlage, 30 dagegen. Nichtregierungsorganisationen und auch Medien müssen sich demnach in Zukunft offiziell als »ausländische Agenten« registrieren lassen, die fremde Interessen vertreten, wenn 20 Prozent oder mehr ihrer Mittel ausländischen Ursprungs sind. Zwar hat die prowestliche Staatspräsidentin Salome Surabischwili angekündigt, dagegen ein Veto einzulegen. Aber das Parlament kann dieses wieder überstimmen.
Gegen das Gesetz warten EU-Befürworter seit Wochen mit einer an den Maidanputsch in Kiew erinnernden Massenmobilisierung auf. Am Wochenende sollen in ganz Georgien Hunderttausende gegen die Regelung protestiert haben. Auch am Dienstag abend gingen in Tbilissi Tausende auf die Straßen und umlagerten das Parlament. Wie seinerzeit in der Ukraine mischen Vertreter westlicher Politik persönlich bei den Protesten mit. So traf am Montag der SPD-Außenpolitiker Michael Roth gemeinsam mit Kollegen aus Litauen, Polen, Tschechien und Finnland vor Ort ein, um sich mit einer Rede über Tbilissi als gegenwärtige »Hauptstadt Europas« an die Spitze der Kundgebungen zu setzen.
Seinen Schimpfnamen »russisches Gesetz« hat die Vorlage, weil auch Moskau eine entsprechende Regelung erlassen hat, die von Politikern wie dem verstorbenen Alexej Nawalny kritisiert wurde, der selbst aus westlichen Quellen gefördert wurde. Weitgehend unbekannt ist dabei, dass die EU ebenfalls über eine entsprechende Vorschrift verfügt – sie wurde erst im Dezember vom EU-Parlament in Strasbourg verabschiedet und soll genau wie das georgische Vorhaben dafür sorgen, dass fremde Kräfte nicht mehr verdeckt die öffentliche Meinung in eine ihnen genehme Richtung lenken können. In Georgien ist das Problem aber gravierender als in der EU. Schließlich ist die ehemalige sowjetische Teilrepublik aufgrund ihrer Frontstellung gegenüber Russland seit langem ein Hauptempfänger westlicher »Demokratieförderung«. Medienberichten zufolge sollen in Georgien mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern 4.500 bis 5.000 NGOs aktiv sein.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren. Denn nicht allen lernen die junge Welt kennen, da durch die Beobachtung die Werbung eingeschränkt wird.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinz K. aus München (16. Mai 2024 um 08:21 Uhr)Betr. »russisches Gesetz«: Sie schreiben, dass es »weitgehend unbekannt« sei, dass die EU über ein ebensolches Gesetz verfügt. Unbekannt scheint selbst der jungen Welt zu sein, dass auch Russland sein entsprechendes Gesetz von den USA abgeschrieben hat, wo bereits seit 1938 (!) mit dem FARA-Act ein solches existiert, das bis heute sehr restriktiv gehandhabt wird. Von der jW hätte ich eigentlich erwartet, dass sie darauf hinweist.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. Mai 2024 um 21:22 Uhr)Da kommt also auf 740 bis 822,2 GeorgierInnen eine NGO. Aus wievielen GeorgierInnen besteht eine georgische NGO? Tunlichst sollten es nicht mehr als 822,2 sein...
Ähnliche:
- Davit Kachkachishvili/Anadolu/picture alliance14.05.2024
Georgien macht blau
- Irakli Gedenidze/REUTERS08.05.2024
Her mit der Westknete
- Laszlo Balogh/REUTERS04.05.2024
Expansiver Ehrgeiz
Mehr aus: Ausland
-
Vom Rand an die Regierung
vom 16.05.2024 -
Vertreibung geht weiter
vom 16.05.2024 -
Noch mehr Waffen für Israel
vom 16.05.2024 -
»Der Respekt, den sie bei uns genießen, macht viel aus«
vom 16.05.2024