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Aus: Ausgabe vom 11.05.2024, Seite 2 / Feuilleton
Kunst und Politik

»Es gibt ein vielschichtiges Trauma«

Über dekoloniale Kunst, Solidarität mit Palästina und seine Vernissage in der junge Welt-Maigalerie. Ein Gespräch mit Garth Erasmus
Interview: Andreas Hahn
GARTH ERASMUS - XNAU DRAWING (1) Kopie.jpg
Eine Xnau-Zeichnung von Garth Erasmus (undatiert)

Sie sind in erster Linie als bildender Künstler bekannt. Welche Verbindung gibt es zwischen Ihrer visuellen Arbeit und Ihrer Arbeit als Musiker?

Die Musik ist aus der bildenden Kunst hervorgegangen. 1985 war ich mit meiner Arbeit in eine Sackgasse geraten und brauchte eine Abwechslung vom politischen Charakter meiner damaligen Kunst. Das ging schon einige Jahre so, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Kunst für den einzelnen Künstler eine tiefere Bedeutung hat als nur die Erfüllung politischer Ziele, obwohl diese sehr wichtig waren. Nach reiflicher Überlegung beschloss ich, dass ich vielleicht mein Medium wechseln und mich von der Malerei wegbewegen sollte. Ich war einigermaßen gut in der Holzbearbeitung, und die Schaffung von Skulpturen oder die Arbeit mit dreidimensionalen Formen schien mir der beste Weg zu sein.

Zu dieser Zeit entwickelte ich ein besseres Verständnis der südafrikanischen Geschichte im Allgemeinen und der Geschichte der indigenen Völker im Besonderen. Ich beziehe mich auf das Volk der Khoisan, dessen Geschichte während der Apartheid unterdrückt wurde. Als ich meine Forschungen vertiefte, entdeckte ich, dass es da ein reiches musikalisches Erbe gibt. In diesem Moment fand ich die Inspiration für die Art von Skulptur, die ich machen wollte. Aber als ich mich von den Instrumenten inspirieren ließ, erforschte ich ihre Klänge, verliebte mich in sie mehr und mehr, damit änderte sich mein Ansatz an die Arbeit grundlegend. Ich habe auch begonnen, selbst zu musizieren.

In den 1960er Jahren war der Jazz ein wichtiger Teil der schwarzen Befreiungsbewegung. Sehen Sie sich in dieser Tradition?

Ja, aber nicht so sehr im Genre des Jazz, denn das Black Liberation Movement ist breit gefächert und umfasst viele Facetten und Ansätze. Außerdem entfachten die 60er Jahre einen Funken, der vieles kulturell inspiriert hat … ich gehöre zur Generation danach.

Sie sind Teil der Gruppe Khoi Khonnexion. Der Name ist eine Anspielung auf die Kolonialgeschichte Südafrikas. Was hat es damit auf sich?

Nun, Südafrika 1994 – das ist der Moment, in dem wir die Möglichkeit haben, eine neue Gesellschaft zu gestalten. Aber der Erfolg dieser Neugestaltung hängt davon ab, wie wir mit dem ererbten Trauma unserer komplexen Vergangenheit umgehen. Südafrika ist insofern einzigartig, als es mehrere Perioden der Kolonisierung und des Völkermords durchlaufen hat und dann auch noch die Apartheid. Es gibt einen vielschichtigen Traumazustand, der nicht leicht zu beschreiben ist. Ein Ansatz, damit umzugehen, ist die Aufarbeitung dieser Geschichte in dem Bestreben, unsere Gesellschaft anders zu verstehen und zu begreifen, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Hier kommt meine Arbeit mit Khoi Khonnexion ins Spiel … Der Dekolonisierungsprozess beginnt damit, verborgene Aspekte der Geschichte neu zu beleuchten, um so einen Weg für das Heilen jener Wunden zu schaffen.

Die südafrikanische Regierung ist derzeit sehr solidarisch mit Palästina. Sie sind ebenfalls sehr engagiert …

Unsere Solidarität mit den Palästinensern geht sehr tief und reicht bis in die Tage des Kampfes zurück. Ich selbst engagiere mich seit mehr als zehn Jahren in der Palästina-Solidarität. Die emotionalen Erfahrungen, die damit verbunden sind, stehen in direktem Zusammenhang mit der Erfahrung der Apartheid. Wir kennen das Gefühl der Entmenschlichung. Mit größerer Reife begann ich zu verstehen, was die Kolonialisierung für ein indigenes Volk bedeutet. Und das ist es wohl auch, was mich im Moment in meinem kreativen Leben am meisten interessiert …

Was kann das Publikum der jW-Maigalerie bei Ihrer Vernissage erwarten?

Nun, die Ausstellung ist eine sehr kleine und selektive Retrospektive von Arbeiten der letzten zehn Jahre oder so. Ich werde Beispiele zeigen für Werke, auf die ich stolz bin und die sich mit den Naturelementen befassen: Luft, Feuer, Wasser und Erde. Die hier gezeigten Zeichnungen repräsentieren die Elemente Wasser und Feuer, da sie die primären Medien sind, die ich zu ihrer Herstellung verwendet habe. Im Konzert werde ich dann wohl das Element Luft repräsentieren.

»XNAU DRAWINGS«. Vernissage mit Konzert: Do., 16.5., Maigalerie, Torstr. 6, 10119 Berlin, ab 19 Uhr, Eintritt: 10 Euro (erm. 5 Euro)

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