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Aus: Ausgabe vom 11.05.2024, Seite 8 (Beilage) / Wochenendbeilage

Žito

Von Maxi Wunder

Die Polizei, pardon, die Poli-ei, hat für den 8. und 9. Mai wieder den Buchstaben Z verboten, weil er auf russischen Panzern steht. »Z« war die Losung der Anhänger des linken Oppositionspolitikers Grigoris Lambrakis, der 1963 in Thessaloniki ermordet wurde. Im Griechischen bedeutet Zεí, gesprochen Zi, »er lebt«. 1969 drehte der Regisseur Costa-Gavras nach der Romanvorlage »Z« von Vassili Vassilikos einen gleichnamigen Film mit Yves Montand und Jean-Louis Trintignant. Cineasten schätzen den Film als genrebildend für das politisch engagierte Kino. Die griechischen Militärs verboten das antifaschistische »Z« genau wie die Musik von Mikis Theodorakis, der u. a. für »Z« die Filmmusik schuf.

Ein V darf man am Tag der Befreiung am sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow ebenfalls nicht tragen. »Das unterlaufen wir, indem wir einfach unsere V-Ausschnitte rot färben!«, schlägt Roswitha vor. Ich habe nichts mit V-Ausschnitt. Im Spiegel überprüfe ich mein selbstbeschriftetes Hemd. Darauf steht mit Edding vorne: »Ich mag Russland lieber als USA, weil …« Und dann geht’s auf dem Rücken weiter: »USA seit 1978 469 Kriege geführt hat, Russland 5 – inkl. Afg. und Syr.« (Musste abkürzen, weil Rücken zu schmal). Udos umfangreiche Statur eignet sich viel besser für sprechende Kleidung, aber er will partout seinen blau-weißen Matrosenringelpulli anziehen, obwohl der ihm seit der letzten Wäsche nur noch bis zum Bauchnabel geht. Doris ist am schicksten: Sie trägt ein rotes Oberteil, das mit den goldenen Worten »Hammer & Sichel« bedruckt ist.

Wer glaubt, damit sei die Plauener Modenschau vorbei, kennt unsere Kommune nicht. Rossis unzufriedener Blick in den Spiegel verrät: Abfahrt frühestens in zwei Stunden. »Das sieht doch scheiße aus«, motzt sie und reißt sich ihr V-Ausschnitt-Teil wieder vom Leib. »Ich geh’ nackt in einer Sowjetfahne!« Sie wickelt sich in das schillernde rote Tuch, aber jetzt passen die ausgelatschten Straßenschuhe nicht mehr dazu. Um die Sache abzukürzen: Falls sie von der Berliner Polizei aufgefordert wird, ihre Garderobe abzulegen, reicht Udo ihr gentlemanlike eine DDR-Fahne zum Verhüllen – so der Plan. Wenn die auch konfisziert wird, eine Kufija, und dann wird Udo seinen Matrosenbikini abstreifen und zu arabischen Klängen einen Bauchtanz aufführen – »Swjaschtschennaja woina« singen ist ja leider auch verboten. Doris und ich offerieren derweil interessierten Passanten serbischen Puddingkuchen:

Žito

500 g Weizenkörner waschen und zwei Stunden in Wasser quellen lassen. Abseihen und in kochendes Wasser geben, zehn Minuten kochen. Das erste Wasser wegschütten, Körner in frischem Wasser neu aufkochen und zwei Stunden bei schwacher Hitze weiter kochen. Danach die Körner gut abtropfen lassen und zweimal durch den Wolf drehen. Die Masse mit Puderzucker, 500 g gehackten Walnüssen, etwas Muskatnusspulver und Zimt vermengen, ziehen lassen und in kleinen Bechern servieren. Dazu Zlibowitz. In Serbien wird die Leckerei an hohen Feiertagen von einem orthodoxen Priester gesegnet, in Berlin macht das am 9. Mai der Udo – es ist schließlich Himmelfahrt.

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