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Aus: Ausgabe vom 11.05.2024, Seite 15 / Geschichte
Deutsche Revolution 1848/49

Blutige Hand über Baden

Vor 175 Jahren tobte im Südwesten die Schlacht um die Republik
Von Rüdiger Binkle
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»Schlaf, mein Kind, schlaf leis, dort draußen geht der Preuß! / Deinen Vater hat er umgebracht, / deine Mutter hat er arm gemacht, / und wer nicht schläft in guter Ruh, / dem drückt der Preuß die Augen zu.«

Im »Badischen Wiegenlied«, beschrieb der Lyriker und Revolutionär Ludwig Pfau das Wüten der konterrevolutionären Truppen, die im Juni 1849 von Norden in das kleine Herzogtum eindrangen, um auch die dritte demokratische Volkserhebung, die sogenannte Reichsverfassungskampagne, im Keim zu ersticken. »Die Chronik der Seuchen lehrt uns, dass nicht nur leibliche Krankheiten, wie z. B. der schwarze Tod, die Cholera, sondern auch geistige Krankheiten, Tollheiten aus der Ferne herkommen, sich über Deutschland epidemisch verbreiten. Im Jahr 1848 verbreitete sich im Monat März von Frankreich herkommend über Deutschland eine eigenthümliche ansteckende Tollheit, die sie den politischen Veitstanz nannten.« Im vergleichsweise liberalen Baden war man über die bewaffneten Aufstände der Demokraten derart schockiert, dass die konservative Neue Freiburger Zeitung in der Rückschau auf Begriffe der Psychopathologie und die gut eingeführte Franzosenfurcht zurückgreifen musste.

Dass die linksrheinischen Ereignisse – in Paris hatten im Februar 1848 Studenten, Arbeiterinnen und Arbeiter das Wahlrecht verlangt und den König verjagt – als Katalysator für die demokratischen Erhebungen in Baden und an anderen Orten im Deutschen Bund wirkten, steht außer Zweifel. Die Wucht und Gewalt der revolutionären Erhebungen lassen sich jedoch vielmehr mit den sozioökonomischen Verhältnissen im badischen Großherzogtum erklären.Von den 1,3 Millionen Untertanen des Monarchen Leopold I. von Baden lebten nur 322.000 in Städten. Die Aufhebung der Leibeigenschaft war mit hohen Ablösesummen verbunden, die zahllose Bauern in Verschuldung und Elend führten. Hinzu kamen Ernteausfälle, die Kartoffelfäule und Pestkrankheiten. Eine sich rasch ausbreitende Unterschicht aus landlosen Bauernfamilien verdingte sich notdürftig in der Saisonarbeit oder war dem Verhungern preisgegeben. Der Pauperismus – die Verelendung großer Teile der Bevölkerung – hatte eine Auswanderungswelle von Kleinbauern nach Amerika zur Folge.

Hungerunruhen, Brotkrawalle und blutige Barrikadenkämpfe erschütterten zahlreiche Orte in der Eifel, der Lausitz, Dessau und Elberfeld, doch Baden sollte der einzige deutsche Flächenstaat bleiben, wo es während der gesamten revolutionären Phase vom Frühjahr 1848 bis Sommer 1849 radikaldemokratische und sozialrevolutionäre Bestrebungen gab. Dort hatte sich im sogenannten Vormärz trotz Zensur und Einschränkung der Versammlungsfreiheit eine politische Bewegung herausgebildet. Die Reden von Landtagsabgeordneten mit freiheitlicher Gesinnung wurden durch Mund-zu-Mund-Propaganda hinaus ins Ländle getragen, zahlreiche bürgerliche Lesegesellschaften, Turnerbünde und Gesangsvereine pflegten liberales und republikanisches Gedankengut. Im März 1848 fanden landesweit Volksversammlungen statt, bei denen bereits »Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle Klassen ohne Unterschied der Geburt und des Standes« gefordert wurden. Die Radikaldemokraten um den Abgeordneten und Rechtsanwalt Friedrich Hecker wollten das große Ganze: freie Wahlen und ein Parlament, das die Regierung kontrollieren sollte.Als das Frankfurter Vorparlament die republikanischen Forderungen zurückwies, platzte Hecker, der auch den badischen Volksvereinen vorstand, der Kragen. Von Konstanz aus, ausgestattet mit revolutionärem Eifer, aber ohne jede militärische Erfahrung, rief er zum bewaffneten Umsturz der Monarchie auf. Heckers Hoffnung auf ein Überlaufen der Regierungstruppen zerschlug sich jedoch bald. Die schlecht gerüstete Freischar wurde im April 1848 nach kräftezehrendem Marsch durch teils verschneite Schwarzwaldberge auf einer Passhöhe bei Kandern vernichtend geschlagen.

Nach dem Scheitern dieser ersten badischen Volkserhebung ließen Gustav und Amalie Struve einige Monate später auf dem Marktplatz im südbadischen Lörrach eine rote Fahne aufziehen, proklamierten das Ende der feudalen Lasten und die »Deutsche Republik«. Doch bereits im nahen Örtchen Staufen wurden die Revolutionäre von Regierungstruppen aufgerieben, die Struves landeten im Freiburger Gefängnisturm. Zwischen den Anhängern der konstitutionellen Monarchie und den Republikanern tobte indessen der erbitterte Meinungskampf. Erstere, in den »Vaterländischen Vereinen« zusammengeschlossen, warfen ihren radikaldemokratischen Gegnern vor, die »rothe Republik« anzustreben, kein Vaterland zu haben und sich die Ideen aus Paris zu holen.

Im März 1849 verabschiedete die Frankfurter Nationalversammlung eine Reichsverfassung, dem preußischen König Wilhelm IV. diente das Parlament die Kaiserkrone an. Eine Vielzahl der deutschen Königreiche und Fürstentümer lehnte die Reichsverfassung ab, und der preußische Monarch hielt es für einen schlechten Witz, die Krone ausgerechnet von Parlamentariern verliehen zu bekommen. In Dresden kam es zum bewaffneten Aufstand für die Reichsverfassung, der nach sechstägigem Kampf der Übermacht hochgerüsteter königlicher Truppen erlag. Die demokratischen »Volksvereine« in Baden verkündeten nun: »Der Kampf zwischen den Fürsten und den Völkern ist aufs neue eröffnet.« Das großherzogliche Militär wechselte die Seiten. Bei einer Soldatenversammlung in Freiburg gelobte man am 10. Mai 1849, nicht mehr aufs eigene Volk zu schießen. Bereits am nächsten Tag meuterten die Garnisonen in Bruchsal, Karlsruhe, Lörrach und anderen Städten. Auch in der benachbarten Pfalz kam es zum Aufstand. Der erste revolutionäre Akt in der weinseligen Region war die Herstellung der Kneipfreiheit. In der Bundesfestung Rastatt, strategisch an der Engstelle des badischen Landes plaziert, wechselte die gesamte Besatzung die Fronten. Bereits im April hatte der Großherzog das Hasenpanier ergriffen und sich ins nahe Elsass abgesetzt, von wo er die preußischen Interventionstruppen bat, den Aufstand im eigenen Hause niederzuschlagen.

Im Juni 1849 trafen die Truppen unter dem Befehl des Prinzen Wilhelm in Nordbaden ein. Der Preuße war als Konterrevolutionär bereits bestens eingeführt. In Berlin hatte er sich den Beinamen »Kartätschenprinz« verdient, weil er dort im Jahr zuvor Aufständische und Unbeteiligte mit Kanonen- und Gewehrfeuer niederschießen ließ. Der polnische Oberbefehlshaber der Revolutionsarmee Louis von Mierosławski versuchte, den Einmarsch am Ufer der Murg zu stoppen, scheiterte aber an der haushohen militärischen Überlegenheit der preußischen Interventionstruppen. Die Hoffnung der Demokraten, der revolutionäre Funke möge auch auf die benachbarten Staaten Hessen und Württemberg übergreifen, zerschlug sich bald. In Rastatt wurden Soldaten der Bürgerwehr und Freischärler, die aus zahlreichen europäischen Staaten der Revolution zu Hilfe geeilt waren, eingeschlossen und zur Kapitulation gezwungen. Viele von ihnen starben eingekerkert in den feuchten Kasematten an Krankheiten oder vor den Erschießungskommandos der preußischen Siegerjustiz. Wer konnte, floh über den Hochrhein in die Schweiz oder wanderte nach Amerika aus, wo sich einige als »Fourty-Eighters« auf seiten der Nordstaaten im Bürgerkrieg engagierten.

Der zurückgekehrte Großherzog Leopold behängte die Heerführer der preußischen und hessischen Konterrevolution mit einem eigens eingeführten Gedächtnisorden, dem man hinter vorgehaltener Hand bald den Namen »Brudermordmedaille« verpasste.

Engels: »Mehr oder minder blutige Posse«

»In Baden bestanden, wie wir sehen, vor der Insurrektion fast gar keine Klassengegensätze (…) Sobald aber die Insurrektion ausgebrochen war, traten die Klassen bestimmt hervor, schieden sich die Kleinbürger von den Arbeitern und Bauern.« Friedrich Engels, selbst Teilnehmer des republikanischen Feldzuges und Korrespondent der Neuen Rheinischen Zeitung, urteilte scharf über die Rolle des badischen Bürgerstandes, der sich in der Stunde der Entscheidung dem Adel an den Hals warf, anstatt mit der republikanischen Bewegung den Entscheidungskampf zu suchen. Die Kleinbürgerschaft habe mit der Reichsverfassung den unmöglichen Ausgleich mit den Herrschern angestrebt und somit die Kampagne zu einer »mehr oder minder blutigen Posse« werden lassen. Den Kampfesmut der Badener und die Trinkfreudigkeit der Pfälzer behielt der Berichterstatter hingegen in guter Erinnerung.

(rb)

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