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Aus: Ausgabe vom 10.05.2024, Seite 11 / Feuilleton
Jazz in der jW-Maigalerie

Wie es sprudelt

Hannes Zerbe und Jürgen Kupke brillieren in der neuen Reihe »jW geht Jazz« in der Maigalerie in Berlin
Von Gisela Sonnenburg
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Ein Fest: Jürgen Kupke (l.) und Hannes Zerbe

Jazz stimuliert. Das Hirn, das Herz, das Gemüt, sogar den Trotz. So ist es kein Zufall, dass die gemeinsame Veranstaltungsreihe von Jazzpianist und Komponist Hannes Zerbe und der jungen Welt dem Jazz gewidmet ist: »jW geht Jazz« startete am vergangenen Dienstag abend in der Maigalerie in Berlin-Mitte, dem Veranstaltungssaal der Tageszeitung. Pianist Hannes Zerbe und Klarinettist Jürgen Kupke boten einschmeichelnde Sounds, herbe Rhythmen, sanften Swing und aufbegehrende Grooves, stets mit Bezug zu einem Klassikkomponisten. Und der Jazz hat fortan eine neue Heimat: Jeden ersten Dienstag im Monat wird Zerbe hier ein Konzert präsentieren.

Der Hintergrund ist allerdings traurig. Denn bisher jazzte Zerbe dank städtischer Förderung im Berliner Musikinstrumentenmuseum. Siebzehn Jahre lang. Dann stellte der Berliner Senat seine Zuschüsse ein. Dabei erhielt Hannes Zerbe erst 2021 den Berliner Jazzpreis. Mittlerweile konnte er die Fortführung seiner Konzerte im Museum organisieren, aber ohne Senatsknete.

Die ersten Lorbeeren erntete der heute 82jährige in der DDR. Nach einem Elektrotechnik-Studium begann Zerbe ein zweites Leben – und studierte Klavier und Komposition in Dresden und Berlin. Eloquent und mit viel Flair führt er seither durch seine Konzerte. »Balladen um die Mona Lisa« – so poetisch hieß sein Auftaktkonzert am Dienstag.

Als Ouvertüre für Hanns Eisler war das erste Stück fast sentimental, bis es sich frech und wild verwandelte. »Chronos«, an die vergehende Zeit mahnend, enthielt dann Bela Bartók entlehnte Rhythmen, heiter und neugierig wirkt die Melodie, von der Klarinette kommend.

Die Klarinette, das ist Jürgen Kupke. Jahrgang 1960, verkörpert er eine andere Generation als Zerbe. Aber die beiden harmonieren als Charakterköpfe, die das Herz am richtigen Fleck haben, also links. Ihre Impro für David Bowie ist allerdings noch verträumter als der Mann, der vom Himmel fiel. Und dabei so melancholisch wie ein Spaziergang durch eine neblige Landschaft.

Witold Lutosławski stand auch mal Pate: Schnell und griffig purzeln die Töne bergab, werden flugs hinaufgeworfen, um erneut hinabzupoltern. Vogellaute kommen von der Klarinette – der gedachte Spaziergang führt durch einen hügeligen Wald.

»Aufwärts und anders« geht es weiter. Ein Wasserfall an Klängen sprudelt, vital überstürzen sich Klanglinien. Bis ein Tirilieren den Schlussakkord schmückt. Auch an Bertolt Brecht darf man später denken, sowie an Schostakowitsch einerseits und Coleman andererseits. Dessen »Lonely Woman« beantwortet das Duo celeste, das himmlische Zerbe-Duo, mit dem »Einsamen Mann«. Dabei segelt man gedanklich auf dunklen Tönen wie auf einem fliegenden Teppich.

Die »Mahlerei« nimmt ein Motiv aus Mahlers vierter Sinfonie auf. Ach, so keck! Das Titelstück »Mona Lisa« ist hingegen ihrem hintergründigen Lächeln gewidmet. Und das ist jetzt ein Scherz: »Lydische Balladen« kämen aus »Lydien«, wo die Leute so »eigenwillig« seien. Es geht natürlich um die lydische Kirchentonart. Schräg und skurril klingt Jazz in ihr, und weil Jürgen Kupke lydisch zu sprechen vermag (wer spricht ihm das ab?), muss man lachen.

Dmitri Schostakowitschs zweites Streichquintett in jazziger Interpretation ist eine Uraufführung, bevor »Für Bela« ganz für Bartók spricht. Meine Klavierlehrerin ließ mich bevorzugt Bartók spielen, aber eigentlich strebte ich immer zum lyrischen Chopin. Ähnlich ist es in der Zugabe: Schnell und zackig beginnend, bringt sie am Ende eine Referenz an Beethovens Töchter aus Elysium. Ach, schon vorbei? Aber bald wieder da.

Weiter geht es mit »jW geht Jazz« am 4. Juni mit dem Duo Matsch & Schnee – Silke Eberhard (Altsaxophon) und Maike Hilbig (Kontrabass). Maigalerie, Torstraße 6, 10119 Berlin, Beginn: 19.30 Uhr, Eintritt: 10 Euro (ermäßigt 5 Euro)

Das Ohr für den Jazz öffnet auch der südafrikanische Musiker und Künstler Garth Erasmus, der seine Ausstellung »XNAU DRAWINGS« mit einem Konzert in der Maigalerie am 16. Mai ebenda eröffnet. Dabei sind Ben Watson (Keyboard) und Peter Baxter (Schlagzeug). Beginn: 19 Uhr, Eintritt: 10 Euro (ermäßigt 5 Euro)

Mit der Bitte um Voranmeldung für beide Veranstaltungen unter 0 30/53 63 55-54 oder unter maigalerie@jungewelt.de

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