Zeitung unterm Stiefel
Von Annuschka EckhardtWenn die Berliner Polizei mit dem Ziel in die Spur geschickt wurde, das Gedenken an die Befreiung vom Faschismus zwar nicht zu verhindern, aber doch möglichst weitgehend zu behindern, dann waren die eingeleiteten Maßnahmen ein Erfolg. Während das sowjetische Ehrenmal im Treptower Park am 8. Mai noch ohne größere Behinderungen betreten werden konnte, zog die Polizei am 9. Mai, der in Russland – und von vielen in Berlin lebenden Menschen aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion – als Tag des Sieges begangen wird, die Zügel an.
Wegen der strikten Kontrollen bildeten sich am Vormittag lange Schlangen vor den Zugängen zum Ehrenmal im Treptower Park. Zahlreiche Menschen – viele nicht mehr ganz jung – warteten in der prallen Sonne auf Einlass, denn die Beamten kontrollierten jede Person einzeln, schauten in Rucksäcke und Handtaschen. Auch Hosentaschen waren vor Kontrollen nicht sicher. Die Liste der verbotenen Fahnen und Symbole ist lang, gefahndet wurde nach allem, was einen Bezug zur Sowjetunion oder zu Russland hat. Ohne solche Symbole, mit Nelken in der Hand, liefen diejenigen, die es durch die Kontrolle geschafft hatten, zwischen den Birken zum Mahnmal. Nur die Delegation der russischen Botschaft mit Botschafter Sergej Netschajew an der Spitze sowie Vertreter der chinesischen, belarussischen und kubanischen Botschaft mussten sich keiner Leibesvisitation unterziehen.
Besonders bizarr: Menschen, die eine vor den Eingängen verteilte jW-Ausgabe vom 8./9. Mai bei sich führten, konnten das Gelände damit nicht einfach betreten. Als Grund wurde von Polizeibeamten genannt, dass auf der Titelseite die weltberühmte Aufnahme der sowjetischen Flagge auf dem Reichstagsgebäude am 2. Mai 1945 zu sehen ist. Menschen, die die Zeitung in der Hand hatten, bekamen zu hören: »Sie haben die Möglichkeit, die Zeitung zurück zum Stand zu bringen, damit sie nicht weggeschmissen wird.« Doch kaum jemand mochte sich noch einmal in der Warteschlange anstellen, und so sammelten sich neben dem Torbogen Ausgaben von junge Welt, auf denen die Polizisten herumtrampelten. Manche Menschen rissen die Fahne bzw. Hammer und Sichel aus der Titelseite und durften dann mit der Zeitung eintreten. Gegen Mittag dann verbot die Polizei das Verteilen der Zeitung vor dem Eingang an der Puschkinallee und verbannte den jW-Stand auf die andere Straßenseite.
Auch eine Gruppe türkischer und griechischer Kommunisten durfte das weitläufige Gelände nicht mit den mitgeführten Parteifahnen betreten: »Hammer-und-Sichel-Symbolik« wurde von den Beamten vor Ort nicht zugelassen, obwohl das durch die einschlägige »Allgemeinverfügung« der Berliner Polizei nicht gedeckt ist. »Wir dürfen hier heute nicht rein, weil unsere Flagge an die Sowjetfahne erinnert. Dieser Staat will anscheinend die Geschichte umschreiben«, sagte ein junges Mitglied der TKP sichtlich konsterniert jW.
Am Ehrenmal im Tiergarten war die Lage keine andere. Ein älteres Ehepaar berichtete empört von Absperrungen, die es erschwerten, dass Personen, die sich nicht auskennen, überhaupt bis zum Ehrenmal vordringen konnten. Was er im Tiergarten erlebt habe, sei »die Inkarnation von Respektlosigkeit gegenüber denjenigen, die die Helden der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus ehren wollen«, sagte der Mann, der zur Feier des Tages in einem Anzug zum Ehrenmal gekommen war. »Schikane, Willkür und unsinnige Absperrungen ohne Hinweisschilder« hätten nur das Ziel, »ein würdevolles Gedenken zu unterbinden«.
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Bereits am Eingang empfing uns Polizei. Taschen, Rucksäcke, alles wurde kontrolliert. Ich frage mich, welchen Grund gibt es, Menschen zu kontrollieren, die Toten ihre Ehre an diesem besonderen Tag, dem »Tag der Befreiung«, erweisen wollen? Ich erfahre: Das Mitführen von Nationalfahnen wie auch von Losungen in russischer Sprache sei unerwünscht. Die Polizei war auch auf der Straße, die zum Ehrenmal führt und an deren Seiten Stände von Parteien und Vereinen Flyer und Lesestoff zum Thema Krieg und Frieden anboten. Wurde an einem Stand eine Losung in russischer Sprache entrollt, war die Polizei sofort mit einem Verbot zur Stelle. Das erinnert mich an die Situation in der Ukraine, die russische Kultur steht dort unter Strafe, die russische Sprache ist verpönt. Sind wir nun auch auf diesem Weg? Allmählich muss ich mich sich schämen, eine Deutsche zu sein.
So zutreffend der o. g. Bericht, so ist dennoch dem Eingangsstatement zu widersprechen, dass die eingeleiteten polizeilichen Maßnahmen ein Erfolg bei der Behinderung des Gedenkens an die Gefallenen im Großen Vaterländischen Krieg waren. Denn die zuvor angekündigten Verbote führten dazu, dass am Tag des Sieges sich so viele Teilnehmer einfanden, wie selten in den vergangenen Jahren. Nie zuvor sah man so viele Blumen, verteilt auf dem Gelände des Ehrenmals. Sowjetische und russische Fahnen fanden, trotz entwürdigender Polizeikontrollen, ihren Weg in das bekannteste Ehrenmal Berlins. Auch die junge Welt vom 9. Mai lag in mehreren Exemplaren im Mausoleum aus.
Um nicht missverstanden zu werden, als Sohn Berliner Antifaschisten protestiere ich gegen die von der Senatsinnenverwaltung ergriffenen Maßnahmen, deren Wiederholung ich 2025 nicht erleben möchte.