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Aus: Ausgabe vom 07.05.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
»Safe Harbour«-Gesetz

Fortgesetzte Kolonialpraxis

Private Gläubiger durchkreuzen internationale Entschuldungsinitiativen für globalen Süden. Bündnis Erlassjahr.de fordert Bundesregierung zum Handeln auf
Von Ralf Wurzbacher
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In die Armut getrieben: Der Fall Sambia zeigt, welche Auswirkungen die Praktiken privater Gläubiger auf die Bevölkerung haben

Riesige Verbindlichkeiten der Länder des globalen Südens gegenüber dem reichen Norden machen eine gedeihliche ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung häufig unmöglich. Abhilfe müssten eigentlich weitreichende Entschuldungsprogramme leisten, die alle Gläubiger mit einschließen: Staaten, multilaterale Finanzinstitutionen sowie nicht zuletzt private Geldgeber, also Banken, Investmentfonds und Versicherungen. Gerade letztere schaffen es aber immer wieder, entsprechende Initiativen zu unterlaufen. Das beklagte das Entschuldungsbündnis Erlassjahr.de am Montag.

Die gleichwertige Beteiligung der Privaten an Schuldenrestrukturierungen sei »eine der größten Herausforderungen« beim Unterfangen, die aktuellen Schuldenkrisen »zeitnah und fair zu lösen«, äußerte dessen politische Referentin, Malina Stutz, in einer Mitteilung. Hier sieht sie im speziellen die Bundesregierung in der Bringschuld. Denn alle drei Ampelparteien hatten dieses Ziel benannt und in ihrem Koalitionsvertrag verankert. Darin heißt es: »Wir unterstützen eine Initiative für ein kodifiziertes internationales Staateninsolvenzverfahren, das alle Gläubiger miteinbezieht und Schuldenerleichterungen für besonders gefährdete Ländergruppen umsetzt.«

Unternommen haben SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen bisher aber noch nichts, um dem beschworenen »neuen internationalen Schuldenmanagementkonsens« näher zu kommen. Die Tatenlosigkeit spiele denen in die Karten, die sich ungebremst am Leid der Ärmsten bereichern. Tatsächlich würden private gegenüber öffentlichen Gläubigern vielfach »bevorteilt behandelt und private Gewinne dadurch letztlich durch öffentliche Gelder subventioniert«, monierte Stutz und verwies beispielhaft auf Sri Lanka. Dort habe sich ein privater Gläubiger den Verhandlungen direkt entzogen und versuche nun, seine Forderungen über den Rechtsweg einzuklagen. Auch die Fälle Sambia und Suriname zeigten, dass die Weigerung der Privaten, Erleichterungen zu gewähren, den Abschluss von Schuldenrestrukturierungen »erschwert und verzögert«. Dies habe unmittelbare Folgen für die Sozialsysteme vor Ort und »geschieht damit auf Kosten der vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen«.

Wie aus dem von Erlassjahr.de und dem katholischen Hilfswerk Misereor veröffentlichen »Schuldenreport 2024« hervorgeht, weisen mehr als die Hälfte der untersuchten Staaten einen »kritischen« oder »sehr kritischen« Verschuldungsstand auf. Allein die Ausgaben für Tilgung und Zinsen beliefen sich vor zwei Jahren auf 478 Milliarden US-Dollar, womit täglich weit mehr als eine Milliarde US-Dollar aus den Armenhäusern der Erde in die Taschen der einstigen Kolonialherren wanderten.

Dies untermauert auch eine am Freitag von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) vorgelegte Studie. »Die zögerliche und bruchstückhafte Beteiligung des Privatsektors zählt seit drei Jahrzehnten zu den zentralen Hindernissen für die effiziente und nachhaltige Restrukturierung ausländischer Staatsschulden«, schreiben die Autoren. Als Gegenrezept und »effizienteste staatliche Maßnahme« erachten sie eine »gesetzliche Begrenzung zivilprozessualer Durchsetzungsmöglichkeiten für ausländische Staatsschulden«. Das könne die »vergleichbare Behandlung aller Gläubigergruppen im Geltungsbereich des Grundgesetzes weitgehend sicherstellen«.

Das fragliche Instrument firmiert unter der Bezeichnung »Safe Harbour« und beschränkt die auf dem Rechtsweg einklag- und vollstreckbare Schuldenlast auf den Umfang, der in internationalen Schuldenrestrukturierungen vereinbart wurde. Vor vier Wochen hatte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) mit Blick auf den »Schuldenreport 2024« erklärt, sie prüfe verschiedene Optionen, private Gläubiger in die Pflicht zu nehmen. Ein »deutsches ›Safe Harbour‹-Gesetz« sei das hierfür am »besten geeignete« Mittel, konstatiert die GIZ. »Nachdem die Studie rechtliche Bedenken aus dem Weg geräumt hat, sollte sich die Bundesregierung nun unverzüglich daran machen, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag auf den Weg zu bringen und damit ihren Auftrag aus dem Koalitionsvertrag zu erfüllen«, betonte Stutz von Erlassjahr.de. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob deutsche Gläubigerbanken das mit sich machen lassen.

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