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Aus: Ausgabe vom 07.05.2024, Seite 4 / Inland
Neuausrichtung der Union

Unchristliche Leitkultur

CDU: Parteitag eröffnet. Wiedergewählter Parteichef Merz will mehr Aufrüstung und neoliberale Ausrichtung der Wirtschafts- und Sozialpolitik
Von Kristian Stemmler
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Sieht Licht am Ende des Tunnels: Friedrich Merz am Montag in Berlin

Es gab schon belanglosere CDU-Parteitage. Der dreitägige Bundesparteitag, der am Montag im Berlin Hotel Estrel begonnen hat, soll die Weichen für eine Ablösung der Ampelkoalition stellen. »Die CDU ist wieder da«, rief Parteichef Friedrich Merz, der am späten Nachmittag mit 873 von 972 abgegeben Stimmen – also knapp 90 Prozent – im Amt bestätigt wurde, in seiner Auftaktrede den Delegierten zu. Mit dem neuen Grundsatzprogramm, das am Dienstag beschlossen werden soll, sei man »sofort oder spätestens im Herbst des nächsten Jahres« bereit, wieder Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das Land müsse »endlich wieder gut regiert werden«. Von dem Parteitag solle fünf Wochen vor der EU-Parlamentswahl »ein kraftvolles Signal der Zuversicht« ausgehen, befand der Parteichef.

Vor zwei Jahren war Merz bei einem digital durchgeführten Parteitag von 94,62 Prozent der Delegierten zum Parteichef gewählt worden – nach mehreren erfolglosen Anläufen in den Jahren zuvor. Ein merklich schlechteres Ergebnis diesmal hätte seine Position im Rennen um die Kanzlerkandidatur 2025 schwächen können. Hier muss Merz weiterhin nicht nur mit CSU-Chef Markus Söder rechnen. Auch die CDU-Landesfürsten Hendrik Wüst (NRW), Boris Rhein (Hessen) und Daniel Günther (Schleswig-Holstein) scharren mehr oder weniger vernehmlich mit den Hufen.

Günther hatte im Vorfeld des Parteitags versucht, sich als politischer Erbe von Exkanzlerin Angela Merkel, die übrigens dem Vernehmen nach einer Einladung zum Parteitag nicht folgen will, zu inszenieren. Zum einen hatte er vorgeschlagen, die Partei solle sich wieder an Merkels »Kurs der Mitte« orientieren, zum anderen für einen offeneren Umgang mit der Linkspartei, die man nicht mit der AfD gleichsetzen könne, plädiert. Das sorgte für Unmut im Merz-Lager. Johannes Winkel, Chef der Jungen Union, schrieb Günther in einem offenen Brief, aus dem Bild zitierte, dieser sei ihm bisher nicht als Politiker aufgefallen, »der rückwärtsgewandt denkt und im Gestern lebt«.

In seiner Rede ließ Merz keinen Zweifel daran, dass eine Rückkehr der Unionsparteien an die Macht mit einer strikten Ausrichtung der Regierungsarbeit auf den altbekannten Neoliberalismus verbunden wäre. Er bekräftigte das Ziel, das Bürgergeld wieder abzuschaffen, und forderte eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, »die verlässlich ist und die vor allem die Fleißigen nicht bestraft, sondern belohnt«. Die CDU widerspreche allen, die »von einem Schlaraffenland träumen, in dem höhere Löhne, mehr Freizeit und mehr Sicherheit gleichzeitig zu haben sind«.

Merz machte zudem klar, dass ihm die Milliarden, die die Ampel bereits für die Aufrüstung reserviert hat, nicht ausreichen. Man könne nicht einmal so eben 100 Milliarden Euro mehr Schulden machen, das ganze »Sondervermögen für die Bundeswehr« nennen »und dann zum gewohnten Gang der Dinge« zurückkehren. Merz sprach von einer »viele Jahre währenden Vernachlässigung unserer Streitkräfte – und daran waren wir nicht ganz unbeteiligt«.

Als eine Art ideologische Hülle für diese Prioritäten passt das neue Grundsatzprogramm – das vierte in der Geschichte der Partei. Im knapp 70 Seiten langen Entwurf plädiert die CDU für einen »weltoffenen Patriotismus« und bekennt sich zu einer deutschen »Leitkultur«. Gefordert werden ferner eine Rückkehr zur Kernkraft und Verschärfungen in der Asylpolitik. Asylanträge und -verfahren sollen in »sicheren Drittstaaten« stattfinden. Scharfe Kritik an diesem Punkt üben mehr als 700 Vertreter beider großen Kirchen. »Die asylpolitischen Pläne der CDU sind unchristlich«, heißt es in einem Aufruf der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft »Asyl in der Kirche«. Nichts sei unchristlicher, »als Menschen in Not zurückzulassen und sich der eigenen Verantwortung billig zu entledigen«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (6. Mai 2024 um 21:17 Uhr)
    Was ist besser? Unchristliche Leitkultur oder christliche Leidkultur? Etwas anderes von CDU/CSU zu erwarten wäre Illusion.