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Aus: Ausgabe vom 04.05.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Deutsche Staatsräson

»Deutsche Zionisten frönen philosemitischem Fetisch«

Von der Ausbeutung jüdischer Identitäten bis zur Hetzjagd. Ein Gespräch mit Dror Dayan
Interview: Susann Witt-Stahl
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Egal ob jüdisch oder nicht: Nach BRD-Lesart alles Hamas-Unterstützer (Berlin, 28.10.2023)

Ihrer Ideologiekritik an deutscher Politik wird mit aggressiver Abwehr begegnet – weil sie von einem Juden formuliert wird?

Ob jemand beschnitten ist oder nicht, sollte keine Rolle bei der Frage nach der Legitimität einer politischen Position spielen. Es ist eine gefährliche ideologische Falle der Postmoderne, dass der Wahrheitsgehalt einer Aussage anhand der Identität bestimmt wird. Durch die Fokussierung auf Juden wird in Deutschland auch absichtlich die Tatsache verschleiert, dass es im gegenwärtigen Krieg um den Völkermord an den Palästinensern geht und nicht um den Holocaust. Aber wir erleben tatsächlich auch ein wachsendes Bedürfnis nach Repression gegen antizionistische Juden. Aus einem einfachen Grund: Sie entlarven mit ihrer bloßen Existenz die Lüge, dass Ablehnung des israelischen Nationalismus etwas mit Judenhass zu tun haben muss, die Basis für die Rechtfertigung der mörderischen Unterstützung Deutschlands für Israel ist. Dazu gehört, dass die meisten deutschen Zionisten sehr wenig Ahnung vom Geschehen in Palästina haben, dafür aber um so mehr einem philosemitischen Fetisch frönen. Da tut es natürlich ihrem Ego weh, wenn ihnen ausgerechnet ein Jude erklärt, warum sie Quatsch reden.

Selbst ein Großteil der deutschen linken und linksliberalen Medien stellt sich auf die Seite der Netanjahu-Regierung oder verhält sich zumindest indifferent. Die Taz hat sogar das brutale Vorgehen der Polizei gegen die friedlichen Studentenproteste an der Columbia-Universität in den USA bejubelt – ist diese Haltung noch mit »Philosemitismus« zu erklären?

Sicher nicht. Wenn es gegen die Palästinenser geht, werden praktisch alle sogenannten progressiven deutschen Medien zum Springer-Sprachrohr. Mutige Studierende riskieren ihre körperliche Gesundheit, Freiheit und Karriere, weil sie wissen, dass die einzige humanistische Antwort auf einen Genozid, wie wir ihn gerade erleben, Widerstand ist, und der Taz fällt nichts Besseres ein, als der New Yorker Polizei zu applaudieren, die für ihre protofaschistischen Methoden berüchtigt ist. Dazu hat sie den Demonstranten noch »Judenhass« unterstellt. Worin unterscheidet sich so eine Hetze noch vom Krawallblatt Bild?! Hier geht es nicht einmal mehr um Scham wegen der Verbrechen vom Naziopa – sondern nur noch um knallharten Opportunismus.

Palästinenser werden von der Medienpropaganda entmenschlicht und das Feindstrafrecht gegen sie exekutiert – warum bekämpft man sie mit derart drakonischer Härte?

Palästinenser gefährden mit ihrem Widerstand die Interessen des deutschen Imperialismus in der Region. Deshalb wird so drastisch gegen sie gehetzt. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft ist rassistisch, daher kann man sie mit antimuslimischen Sentimenten gut beeinflussen.

Internationale Künstler und Intellektuelle schlagen Alarm wegen der unsäglichen deutschen Zustände. Was ist jetzt zu tun?

Es ist an der Zeit, dass Deutschland einen Preis für seine Beihilfe zu zionistischen Verbrechen zahlt. Dass Autoren wie China Miéville Deutschland boykottieren, macht mich sehr stolz und glücklich. Viele meiner Kollegen von der britischen Gewerkschaft University and College Union überlegen, ob sie weiter mit deutschen Institutionen zusammenarbeiten wollen. Aber wirkliche Veränderung muss aus der deutschen Gesellschaft kommen. Ich merke, dass sich immer weniger Menschen von der imperialistischen Staatsräson der BRD beeindrucken lassen und jetzt kämpfen. Diejenigen, für die immer alles »so furchtbar kompliziert ist«, stehen einmal wieder vor der Frage: Which side are you on? – Sag mir, wo du stehst!

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