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Aus: Ausgabe vom 02.05.2024, Seite 2 / Ausland
Guatemalas neue Regierung

»Substantielle Veränderungen sind schwer«

Guatemala: Neuer sozialdemokratischer Präsident kündigt Reformen an, aber setzt USA-freundlichen Kurs fort. Ein Gespräch mit Eduardo Vital
Interview: Thorben Austen, Quetzaltenango
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Guatemalas Präsident Bernardo Arévalo begrüßt US-Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas (Guatemala-Stadt, 21.3.2024)

Guatemalas neuer Präsident, Bernardo Arévalo, hat seit dem 24. April seine ersten 100 Tage im Amt hinter sich. Was hat die von seiner Partei Movimiento Semilla angeführte Regierung in dieser Zeit erreicht?

Es kann nicht erwartet werden, dass Bernardo Arévalo viel erreicht in 100 Tagen. Seit 1954 (dem Putsch gegen Jacobo Árbenz, jW) haben sich in Guatemala ein Netzwerk und Mechanismen der Korruption etabliert, in den Militärregierungen ebenso wie später in den zivilen Regierungen. Die Staatseinnahmen werden zur Bereicherung der dominierenden Klasse, der Oligarchie und einer Klasse Neureicher aus korrupten Politikern und Militärs genutzt. Hier kann Arévalo kurzfristig maximal kosmetische Veränderungen erreichen.

100 Tage mögen keine lange Zeit sein. Aber wie blicken Sie auf die kommenden vier Jahre, beispielsweise in der Sozialpolitik?

Ein wichtiger Faktor ist die anhaltende Kontrolle des Justizsystems durch den sogenannten Pakt der Korrupten. Es gibt die wirtschaftliche und politische Macht der guatemaltekischen besitzenden Klasse, der transnationalen Konzerne und der Einfluss der Drogenkartelle. Diese drei Faktoren stehen gegen Arévalo und werden substantielle Veränderungen schwer bis unmöglich machen. Diese Kräfte wollen ihre Privilegien behalten. Arévalo ist Sozialdemokrat, eine offensive Politik gegen die Oligarchie, gegen die wirtschaftlich Mächtigen ist in seinem Programm nicht vorgesehen. Für die armen Volksklassen wird es aber vielleicht einzelne Verbesserungen geben. Arévalo hat den Rückenwind aus den USA, er hat auch Verpflichtungen gegenüber der Oligarchie. Im Verwaltungsapparat gibt es kaum Veränderungen, was auch daran liegt, dass seine Partei kaum dafür geschulte Kader hat.

Anlässlich der überstandenen ersten 100 Tage hielt der Präsident eine Rede. Wie beurteilen Sie, was er zu sagen hatte?

Was Arévalo angesprochen hat, ist der Kampf gegen Erpressungen durch kriminelle Banden, die aus den Gefängnissen gesteuert werden. Außerdem erklärte er den sogenannten Plazas Fantasmas, also den Pseudoposten im öffentlichen Dienst und der Politik den Kampf. Damit sind Stellen gemeint, für die Gehälter bezahlt werden, ohne dass tatsächlich irgendeine Arbeit geleistet wird. Der Präsident kündigte außerdem Verbesserungen im öffentlichen Bildungssystem an. Zuletzt hatte es große Bauvorhaben für neue Schulen gegeben, die aber wegen Korruption in den vergangenen Jahren eingestellt worden waren.

Zu Plänen der Regierung für den rohstoffreichen Nordosten des Landes gibt es widersprüchliche Angaben. Einerseits plant man offenbar, Kleinbauern ehemaliges Gemeindeland zurückzugeben, das im Bürgerkrieg enteignet worden war und das sich Militärs angeeignet hatten. Auf der anderen Seite hat sich Arévalo verpflichtet, weiter Bergbaukonzessionen zu vergeben – vermutlich auch auf Druck der USA. Es wird auch in der Regierung Arévalo viele Konflikte um Land und Ressourcen geben.

Nun gab es von Anfang an Kritik an der neuen Regierung. Inwiefern schließen Sie sich dieser Kritik an?

Kritik gibt es von links und rechts. Die Kritik von rechts dürfte sich auf die mangelnden Erfolge konzentrieren, aber mit dem Ziel, diese noch zu minimieren. Die Kritik von links legt eine klassisch linke, antikapitalistische Agenda als Messlatte an. Dies führt aber in die Irre. Arévalo ist Sozialdemokrat. Die internationale Sozialdemokratie kämpft nicht gegen den Kapitalismus und Imperialismus, sondern ist Teil davon. So ist auch seine teilweise kritisierte Außenpolitik zu sehen, die Treffen mit dem US-Präsidenten und der Besuch einer Vertreterin vom Kommando Süd der US-Streitkräfte in Guatemala. Von einem Sozialdemokraten ist keine antiimperialistische Politik zu erwarten.

Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass der vor der Amtsübergabe versuchte Staatsstreich der Gegner Arévalos doch noch erfolgt?

Ziel der gesamten Rechten ist es, Arévalo so weit wie möglich nach unten zu drücken und so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Selbstverständlich werden sie versuchen, auf juristischem und politischem Weg weiter Druck aufzubauen. Die Justizorgane werden wie gesagt weiterhin vom Pakt der Korrupten kontrolliert. Die Gefahr, dass Arévalo seine Amtszeit in Haft oder im Exil beendet, ist durchaus real.

Eduardo Vital ist Professor an der staatlichen Universität San Carlosin Quetzaltenango

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