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Aus: Ausgabe vom 27.04.2024, Seite 6 / Ausland
50 Jahre Nelkenrevolution

Auftrag für die Zukunft

Portugal: Hunderttausende feierten am Donnerstag den 50. Jahrestag der Nelkenrevolution. Kommunistische Partei stark vertreten
Von Fabian Linder, Lissabon
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Erinnerung an eine glückliche Revolution: Feier auf der Avenida da Liberdade am Donnerstag

Die zentrale Avenida da Liberdade in Lissabon gleicht sonst einer mehrspurigen Stadtautobahn. Am Donnerstag, zum 50. Jahrestag der portugiesischen Revolution, war davon nichts mehr zu spüren. Bereits vormittags fand zum 45. Mal ein »Lauf der Freiheit« statt. An dessen Ende präsentierte sich die Associação 25 de Abril mit einem der ikonischen Panzerwagen vom Typ »Chaimite«, die vor 50 Jahren auf seiten der Bewegung der Streitkräfte (MFA) im Einsatz waren. Die Assoziation sucht die Werte der Revolution zu verteidigen. António, der an diesem Tag mit seinen Vereinskollegen den Panzerwagen für Interessierte öffnet, war damals als Soldat im Kolonialkrieg in Mosambik eingesetzt, wie er gegenüber jW erklärt. »Man hatte Angst damals«, stellt er über die Diktatur fest. Dazu kam das entsetzliche Sterben in den Kolonialkriegen, das die MFA zum Putsch trieb. Die Revolution stürzte zwar die Diktatur, beendete aber nicht das Morden in den Kolonien, erzählt António. Es dauerte, bis auch dort die geänderten Machtverhältnisse durchgesetzt wurden.

Später wird António mit seinen Kollegen und weiteren Mitgliedern der MFA mit dem »Chaimite« traditionell die Demonstration anführen. Zum Startpunkt am oberen Ende der Avenida pilgerten inzwischen kontinuierlich Menschen mit roten Nelken. Überhaupt wurden an jeder Ecke der Avenida rote Nelken angeboten. Kartonweise brachten Lissabonner Mitglieder der Kommunistischen Partei Portugals (PCP) diese aus ihrer Zentrale an der Avenida.

Zu Beginn der Gedenkdemonstration am frühen Nachmittag war die Avenida bereits in voller Länge gefüllt. Am Ende sollten es mehrere hunderttausend Teilnehmer sein, wie unterschiedliche Quellen berichteten. Die Parade unter dem Motto »25. April jetzt und immer – Faschismus nie wieder« zog sich über mehrere Stunden unter feierlichem Jubel durch die Stadt. Die unzähligen beteiligten Gruppen füllten die ausgelassene Stimmung mit Inhalt. Migrantische Gruppen machten auf die Situation von Papierlosen in Portugal aufmerksam, forderten deren Legalisierung. Andere verlangten bezahlbaren Wohnraum, Brot, höhere Renten und Löhne, soziale Gerechtigkeit. Vielfach präsent war auch der Krieg in Gaza. »Frieden ja – Krieg nein« und »Free Palestine« hallte es durch die Avenida. Auch die Solidarität mit der Westsahara war erkennbar.

Einen großen Block, weithin sichtbar wegen der unzähligen roten Fahnen, bildete die Kommunistische Jugend (JCP), die auf Höhe der PCP-Zentrale mit Tausenden Teilnehmern »Grândola Vila Morena« anstimmte. Gruppen aus den ehemaligen Kolonien Portugals bezogen sich auf die Dekolonisierung im Zuge der Revolution. Dass von der Freiheit nicht überall viel übrig blieb, zeigte ein Protest von Exilguineern, die vor einem Luxushotel in der Avenida gegen den Präsidenten Guinea-Bissaus demonstrierten. Gegenüber jW empörte man sich, es sei eine Frechheit, dass Portugals Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa von der konservativen PSD den Diktator Umaro Sissoco Embaló einlud. »Dieser unterdrückt unser Volk.« Die Polizei zog vor dem Hotel eine mit Gummigeschossen bewaffnete Motorradeinheit zusammen.

Wie es um die Errungenschaften der Revolution steht, machte die PCP bereits am Vortag deutlich. Die Partei lud zu einem Fest im Stadtteil Penha de França. In einer Rede wies man darauf hin, dass viele Errungenschaften der Revolution später verlorengingen oder bis heute weiter verteidigt werden müssten. Man sehe die Revolution gleichzeitig als Auftrag für die Gegenwart: Sei es beim Kampf gegen die zunehmende soziale Ungleichheit im Land, dem Wiedererstarken faschistischer Parteien oder der zunehmenden Kriegsgefahr.

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  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (26. April 2024 um 22:57 Uhr)
    Die Nelkenrevolution in Portugal erinnert an die gleichfalls zuvor gescheiterte Novemberrevolution in Deutschland 1918. Beide Revolutionen begannen verheißungsvoll, schwollen zunächst mächtig an, um dann doch kläglich zu scheitern. In beiden Fällen war die Gegensätzlichkeit der Akteure denn doch zu groß, um siegreich weiter voranzuschreiten. In beiden Fällen waren die Aufstände getragen von einer Mixtur an Opportunisten, Utopisten, Radikalen, Illusionisten und jenen Verkennenden, die nicht wissen, wann man was zu tun hat und wie es um die Kräfteverhältnisse im eigenen Lager und dem des Gegners eigentlich steht. Im Grunde gab es nur zwei Kräfte in der portugiesischen Revolution, die eine ernste Gefahr für die bürgerliche Herrschaft in diesem Lande ausmachten. Es waren dies die Putschisten der ersten Stunde, getragen von O. Carvalho und seiner COPCON, sowie die Kommunistische Partei Portugals. Doch selbst innerhalb der COPCON bestand keine wirkliche Einigkeit und Übereinstimmung, auch da gab es politische Strömungen von radikal bis gemäßigt. Die Radikalen um Carvalho hingen meist einem Rätekommunismus an, der viel Befreiung der Unterdrückten bedeutet, aber auch endlose Diskussionen und ständig geänderte Beschlüsse beinhaltet. Bei der orthodoxen Kommunistischen Partei Portugals bestand und besteht das Problem der übermäßigen Einschränkung der Subjektivität bzw. Spontanität, was schon R. Luxemburg an Lenin kritisierte. Damit aber nicht genug, es bestand auch in der Nelkenrevolution das Bedürfnis der meisten politischen Akteure, Wahlen durchführen zu lassen. Damit läutete das Totenglöcklein das Ende der Revolution ein. Die Erfahrung lehrt auch da, dass Wahlen nicht zum Sozialismus hinführen, ihr vielmehr den Teppich unter den Füßen wegzieht. Auch in Portugal haben zahlreiche Kleinbürger sowie unwissende Landbewohner die Sozialisten gewählt, also eine sozialdemokratische Mogelpackung. All diese Schwachköppe, Narren und bloße Opportunisten bilden bei bürgerlichen Wahlen die Mehrheit.

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