junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Mittwoch, 8. Mai 2024, Nr. 107
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 27.04.2024, Seite 1 / Titel
Palästina-Solidarität

Maulkorb für Studis

Protestwelle an US-Unis für Ende des Gazakriegs wird immer größer und erreicht Europa. Obrigkeit reagiert mit Repression
Von Alex Favalli
Studis blockierten am Freitag die Universität Sciences-Po in Paris
Statue von George Washington mit palästinensischer Flagge im Protestlager der Universität der US-Hauptstadt
Studenten der George Washington University errichten Zelte auf dem Campus

Derartig große Proteste an US-Universitäten hat es seit dem Vietnamkrieg nicht mehr gegeben: An zahlreichen Hochschulen im ganzen Land demonstrieren seit Tagen Massen von Studierenden für ein Ende des Gazakriegs. In der Westküstenmetropole Los Angeles mussten die Behörden deshalb eine Großveranstaltung bei der traditionellen Abschlussfeier der University of Southern California absagen, wie am Freitag bekannt wurde. Auf dem Gelände der Uni waren am Mittwoch abend 93 Demonstrierende von der Polizei festgenommen worden. Wenige Stunden zuvor hatten sich ähnliche Szenen im texanischen Austin abgespielt. Schwer bewaffnete Polizisten hätten auf Anweisung des Gouverneurs Gregory Abbott mindestens 34 Menschen an der University of Texas festgenommen, berichtete die Washington Post. Zuvor hätten Hunderte Studierende Vorlesungen und Seminare verlassen, um zu fordern, dass sich die Universität von Firmen trennt, die mit Israel Geschäfte machen. Auch am Emerson College in Boston im Nordosten des Landes kam es nach Demonstrationen zu mehreren Festnahmen.

Im Zentrum der Proteste steht die New Yorker Columbia-Universität, wo die Repression besonders heftig ist. Während die Präsidentin der Hochschule, Nemat Minouche Shafik, am vergangenen Mittwoch vor dem Bildungsausschuss des Repräsentantenhauses in Washington zu den Antisemitismusvorwürfen gegen die protestierenden Studierenden aussagte, versammelten sich in Upper Manhattan Hunderte Menschen – neben Studierenden auch zahlreiche Dozenten und Professoren, die die Repression als Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit bezeichnen –, um ein Protestcamp zu errichten und einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza zu fordern. Im Anschluss an ihre Erklärung forderte Shafik in einem von der Universität veröffentlichten Brief das New York City Police Department (NYPD) auf, Personen zu »entfernen«, die sich »entgegen den Regeln und Richtlinien der Universität« auf dem Campus aufhielten. Daraufhin stürmte die New Yorker Polizei das Gelände und schloss die Demonstrierenden mit Barrikaden ein. Nach Angaben des NYPD wurden mindestens hundert Personen festgenommen. Videos, die im Internet kursieren, zeigen, wie mehrere unbewaffnete Personen zu Boden gedrückt oder in Handschellen abgeführt werden.

»Wenn wir über Antisemitismus auf dem Campus sprechen, lenkt das die Aufmerksamkeit vom Gazastreifen ab«, sagte der jüdische Columbia-Student Jared Kannel am Mittwoch vor laufenden Kameras. »Ich bin hier völlig sicher, und das ist alles nur eine Ablenkung, weil sie nicht wollen, dass wir über das andauernde Massaker an palästinensischen Zivilisten in Gaza sprechen.« Die polizeiliche Repression zeigt nicht die von den Behörden erhoffte Wirkung, im Gegenteil: Inzwischen haben sich die Demonstrationen auf mehr als 40 weitere Universitäten ausgeweitet. Protestcamps wurden beispielsweise am Massachusetts Institute of Technology, am Emerson College, an der University of Michigan, an der University of California in Berkeley, in Harvard und in Yale errichtet.

Die Solidarität der Studierenden mit den Palästinensern scheint von den Herrschenden nicht mehr unterbunden werden zu können. Am Donnerstag und Freitag schwappte die Protestwelle auch nach Europa über. In Paris an der Sorbonne und an der Sciences Po sowie an der Universität La Sapienza in Rom schlossen sich Hunderte Studierende den Protesten an, um ein Ende des »Genozids in Gaza« zu fordern.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (28. April 2024 um 11:00 Uhr)
    Die Proteste an amerikanischen Universitäten zugunsten Palästinas nehmen nicht nur zu, sondern breiten sich auch aus. Die Studierenden verurteilen die israelische Militäroperation im Gazastreifen und kritisieren die direkte Unterstützung der USA dafür. Obwohl die meisten Demonstranten friedlich sind, gibt es auch solche, die den Terrorismus der Hamas offen befürworten und jüdische Studenten mit antisemitischen Äußerungen bedrohen. Präsident Joe Biden steht vor der Herausforderung, sich klar von Antisemitismus zu distanzieren. Gleichzeitig wächst jedoch die Wut der Demonstranten auf die als zu israelfreundlich empfundene Biden-Regierung generell! Dies könnte sich beim Parteitag der Demokraten im Sommer in Chicago entladen, ähnlich wie die Unruhen während der Proteste gegen den Vietnamkrieg 1968. Diese Unruhen spalteten die Demokraten und trugen zu ihrer Niederlage bei der Präsidentschaftswahl bei. Biden muss fürchten, dass sich die Geschichte wiederholt.
  • Leserbrief von Niki Müller (26. April 2024 um 21:54 Uhr)
    Die Bilder zeigen mit einer beeindruckenden Klarheit die widerliche Fratze einer verkommenen Brutstätte des »westlichen Wertesystems«. Polizeiterror, Missbrauch der Judikative, befeuert von einer verleumderischen Treibjagt der Medienmachthaber. Und bei genauerer Betrachtung der Fotos sehen wir, wie Scharfschützen auf den Dächern der Universitätseinrichtungen die nach Einhaltung der Menschenrechte fordernden Demonstranten drohend ins Visier nehmen. Westliche Wertegemeinschaft, hier zeigst du dich ganz unverblümt. Niki Müller

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Ähnliche:

  • Revolutionäre Stimmung: Propalästinensische Proteste bleiben beh...
    25.04.2024

    Unis im Ausnahmezustand

    USA: Proteste gegen Gazakrieg greifen auf immer mehr Hochschulen über. Studenten lassen sich durch Repressionen nicht einschüchtern
  • Stört angeblich den Studienalltag: Solidarität mit Palästina (Ha...
    15.01.2024

    Harvard unter Beschuss

    USA: Sechs Studenten verklagen Eliteuniversität wegen propalästinensischer Aktivitäten auf Schadenersatz
  • Unrühmliche Geschichte. Die Nachfolger des jesutischen Gründers ...
    29.06.2016

    Schatten der Vergangenheit

    Die US-amerikanische Eliteuniversität von Georgetown, Washington D. C. handelte mit Sklaven. Das war lange ­verschwiegen worden