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Aus: Ausgabe vom 26.04.2024, Seite 14 / Medien
Palästina

»Apologetisch gegenüber Israel«

New York Times gibt ihren Journalisten Sprachregelungen zum Gazakrieg vor. Begriffe wie »Genozid« oder »besetztes Gebiet« verboten
Von Alex Favalli
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»Massaker« nur an Israelis? Proteste vor dem Gebäude der New York Times am 14. März

Die New York Times (NYT) schreibt ihren Journalisten vor, welches Vokabular bei der Berichterstattung über den Krieg in Gaza erwünscht ist und welches nicht. Wie The Intercept Mitte April enthüllte, kursieren in der NYT-Redaktion seit November 2023 Memos, die die »Vermeidung« von Begriffen wie »Genozid«, »ethnische Säuberung« und »besetztes Gebiet« vorschreiben. Die Journalisten werden auch angewiesen, das Wort Palästina »nur in sehr seltenen Fällen« zu verwenden und den Begriff »Flüchtlingslager« zu vermeiden, um Gebiete im Gazastreifen zu beschreiben, die aufgrund vergangener israelisch-arabischer Kriege von vertriebenen Palästinensern besiedelt wurden. Diese Gebiete sind von den Vereinten Nationen als Flüchtlingslager anerkannt und beherbergen mindestens 600.000 registrierte Geflüchtete.

»Ich denke, es ist eine Sache, die professionell und logisch aussieht, wenn man den historischen Kontext des palästinensisch-israelischen Konflikts nicht kennt«, sagte eine anonymisierte Quelle aus der NYT-Redaktion zu The Intercept am 15. April. »Aber wenn man ihn kennt, wird klar, wie apologetisch es gegenüber Israel ist.«

Charlie Stadtlander, Pressesprecher des New Yorker Blatts, bezeichnet das redaktionelle Vorgehen hingegen als »Standardverfahren«: »Bei all unseren Berichten, auch bei komplexen Ereignissen wie diesem, achten wir darauf, dass unsere Sprachwahl sensibel, aktuell und für unser Publikum verständlich ist.« Laut dem Memo würden »Worte wie ›Gemetzel‹ oder ›Massaker‹« eher Emotionen, aber weniger Informationen vermitteln. »Überlegen Sie gut, bevor Sie diese Worte verwenden«, heißt es in der Vorgabe für die Journalisten. »Können wir artikulieren, warum wir diese Worte auf eine bestimmte Situation anwenden und nicht auf eine andere? Wie immer sollten wir uns auf Klarheit und Präzision konzentrieren – wir sollten beschreiben, was passiert ist, anstatt ein Etikett zu verwenden.«

Dass diese Prinzipien jedoch nicht für die gesamte Berichterstattung gelten, zeigt eine Analyse der Berichterstattung über den Gazakrieg: Laut The Intercept verwendeten die größten US-amerikanischen Tageszeitungen zwischen dem 7. Oktober und dem 24. November Wörter wie »Gemetzel«, »Massaker« und »entsetzlich« fast ausschließlich für israelische Zivilisten, die von Palästinensern getötet wurden, nicht aber für palästinensische Zivilisten, die bei israelischen Angriffen getötet wurden. Bis zum 24. November wurde der Tod von Israelis in der NYT, Los Angeles Times und Washington Post genau 53mal als »Massaker« bezeichnet. Der von Palästinensern dagegen nur einmal. Bei der Verwendung des Begriffs »Abschlachten« lag das Verhältnis bei 22 zu eins, obwohl die dokumentierte Zahl der getöteten Palästinenser Ende November bereits bei rund 15.000 lag. Nach aktuellen Schätzungen sind inzwischen mehr als 33.000 Palästinenser durch israelische Angriffe getötet worden.

In einem Abschnitt mit der Überschrift »›Genozid‹ und andere aufrührerische Ausdrücke« heißt es in dem NYT-Memo weiter: »›Genozid‹ ist im internationalen Recht genau definiert. Wir sollten den Begriff generell nur im Zusammenhang mit diesen rechtlichen Parametern verwenden.« »Ethnische Säuberung« wird in dem Dokument als ein weiterer »historisch belasteter Begriff« bezeichnet, und die Reporter werden angewiesen: »Wenn jemand eine solche Anschuldigung erhebt, sollten wir auf Einzelheiten drängen oder den richtigen Kontext liefern.«

In einem ND-Interview erklärte die italienische UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese am Dienstag, dass es »gute Gründe« für die Annahme gebe, dass »die Schwelle zum Völkermord erreicht wurde«. Dazu gehören »die Tötung von Mitgliedern einer Gruppe«, »die Verursachung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden« und nicht zuletzt »die Schaffung von Bedingungen, die auf die Vernichtung dieser Gruppe abzielen.« Albanese betont außerdem, dass die »Handlungen nach entsprechenden Erklärungen hoher politischer oder militärischer Beamter mit Befehlsgewalt genehmigt und durchgeführt wurden«.

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