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Aus: Ausgabe vom 23.04.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Wem gehört das Land?

Sorben, Ostler, Deutsche: Grit Lemkes Dokfilm »Bei uns heißt sie Hanka«
Von Ronald Kohl
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Folkloristische Rolle (Filmszene)

Nachdem »Bei uns heißt sie Hanka« von Grit Lemke im vergangenen November das Filmfestival in Cottbus eröffnet hatte, stellte eine Journalistin aus der Lausitz sehr treffend fest: »Das ist kein Film über die Sorben. Das ist ein Film über den Osten.« Schon beim Dokumentarfilmfestival in Leipzig war »Bei uns heißt sie Hanka« ein Publikumsliebling gewesen – jedenfalls bei den Einheimischen. »Ostler tendieren dazu, den postkolonialen Zusammenhang zu erkennen«, erklärt die Regisseurin die geradezu polarisierende Wirkung ihres Werkes. »Während es eine bestimmte Richtung einer dogmatischen, eher westdeutschen Linken gibt, die eher eine Verbindung ausgerechnet zum deutschen Nationalismus darin sehen will.«

An Auslösern für die gewohnt oberflächliche, reflexartige Abwertung herrscht zugegebenermaßen kein Mangel. So wird bereits im Trailer von einem »vergessenen Volk« gesprochen. Das klingt sicher ungewohnt, aber hier in Brechtscher Manier von einer vergessenen »Bevölkerung« zu sprechen, würde wohl auch nichts verbessern. Aber warum eigentlich vergessen? Alle Jahre wieder sehen wir selbst in der ARD die sorbischen Osterreiter durchs Bild huschen. In Grit Lemkes Film stellen sich die Sorben nun zum ersten Mal in diesem Umfang und in dieser Vielschichtigkeit selbst dar. Es überrascht dabei, wie viele junge Menschen unterschiedlichster sozialer Herkunft sich für ihre Wurzeln interessieren und sich auf die Suche nach ihrer sorbischen Identität begeben. Diesen oft individuellen Antrieb erklärt einer der Protagonisten mit den Worten: »Da hat immer etwas gefehlt.«

Das Aufspüren und Ausfüllen emotionaler Leerstellen macht jedoch nur einen Teil des beobachteten Aufbruchs aus. Die Frage, die trotz irgendwann auslaufender Kohleförderung nach wie vor zentral im Raum steht, lautet: Wem gehört das Land? Dazu passt es ganz gut, dass die im Filmtitel erwähnte Hanka Jura studiert. Auf einer Versammlung des selbstorganisierten Serbski Sejm (Sorbisches Parlament) heißt es: »Bisher hat noch niemand in der Regierung auch nur versucht, mit uns zu reden. Das kommt erst alles noch.«

»Wer weiß, was die morgen in der Lausitz finden? Seltene Erden oder was auch immer«, sagt Grit Lemke im Interview. Ihr Film beschäftigt sich zwar nicht mit dem nun begonnenen Kampf der Sorben um die Anerkennung als indigenes Volk, er lässt jedoch viel von der kollektiven Entschlossenheit spüren. Alle wissen, dass es heftige Konflikte geben wird. Ein Blick auf die offizielle »Berichterstattung« über die Anstrengungen des Serbski Sejm zeigt, mit wieviel Herablassung und Gehässigkeit reagiert wird, sobald die Sorben aus der ihnen zugedachten folkloristischen Rolle ausbrechen, um nicht weniger als ihre existentiellen Interessen zu vertreten.

»Ich wurde in letzter Zeit oft gefragt, was ich bei der Produktion über die Sorben gelernt habe«, sagt die Regisseurin. »Über die Sorben habe ich gar nicht so viel Neues gelernt, die kannte ich schon vorher ziemlich gut. Ich habe vor allem etwas über die Deutschen gelernt. Und zwar nichts Gutes. Das ist meine Antwort.«

»Bei uns heißt sie Hanka«, Regie: Grit Lemke, BRD 2023, 96 Min., bereits angelaufen

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