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Aus: Ausgabe vom 22.04.2024, Seite 8 / Ausland
Kein Relikt der Vergangenheit

»Neutralität ist der Pfeiler der Zweiten Republik«

Bei einer friedenspolitischen Konferenz in Belgrad wurde auch über die Rolle neutraler Staaten gesprochen. Ein Gespräch mit David Stockinger
Interview: Dieter Reinisch
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Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung zum 25. Jahrestag des Beginns des NATO-Bombardements (Prokuplje, 26.3.2024)

Sie sind Mitglied der Solidarwerkstatt Österreich. Was ist das für eine Organisation?

Es ist eine der aktivsten Friedens- und Neutralitätsgruppen Österreichs. Gegründet wurde die Organisation 1993 in Linz unter dem Namen »Friedenswerkstatt«. Sie war 1999 an den Antikriegsdemonstrationen gegen die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO beteiligt. Wir unterstützen bis heute jedes Jahr die Gedenkveranstaltungen zum 24. März, dem Beginn der Bombardierungen.

In diesem Jahr haben Sie aus diesem Anlass an einem Kongress in Belgrad teilgenommen?

Seit zwei Jahren sind wir Mitglied im Weltfriedensrat, der in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag feiert. Die weltweite Organisation setzt sich für Frieden, Abrüstung und gegen Imperialismus und Ausbeutung ein. Zum Jahrestag des Beginns der NATO-Aggression gegen Jugoslawien fand eine große internationale Konferenz unter Teilnahme des Weltfriedensrates statt. Hauptorganisator war das »Belgrader Forum für eine Welt der Gleichen«, die serbische Organisation im Weltfriedensrat. Sie wurde im Jahr 2000 gegründet, ihr Präsident ist Živadin Jovanović, der ehemalige jugoslawische Außenminister. Die Ziele, die dort verfolgt werden, sind die gleichen wie die unserer Gruppe: Antiimperialismus und wie wir zu einer Welt kommen, in der eine friedliche, stabile Ordnung existiert, in der alle Nationen dieselben Rechte und Pflichten haben.

Worüber wurde bei der Konferenz gesprochen?

Sie war sehr groß, mit einigen hundert Teilnehmern aus vielen Ländern der Welt, aus allen Kontinenten. Besonders viele Delegierte kamen aus den Trikontländern und dem globalen Süden. Die Konferenz stand unter dem Motto »Niemals vergessen: von der Aggression zu einer neuen, gerechten Ordnung«. Es gab zwei große Themenstränge: erstens die historischen Auswirkungen der Aggression, die Zerstörungen, die Opfer. Der zweite beschäftigte sich mit der Frage, wie diese Aggression die internationalen Beziehungen beeinflusst hat und wie man vom Zeitalter der Aggression zu einem Zeitalter des Friedens kommt. In diesem zweiten Panel haben ich und auch Boris Lechthaler gesprochen. Er ist Vorstandsmitglied der Solidarwerkstatt und er referierte über die Transformation der Grünen von einer Friedens- zu einer bellizistischen Partei. Lechthaler war in den 1980er Jahren ein Gründungsmitglied der Grünen in Oberösterreich und ist wie viele andere aufgrund der Stellung der Grünen in Deutschland und Österreich zum Krieg 1999 ausgetreten.

Worüber haben Sie gesprochen?

Das Thema war: »Vom Zeitalter der Kriege zum Zeitalter des Friedens: Neutralität und solidarische Souveränität als Konzept für die Zukunft.« Es ging vor allem um den Charakter der Intervention von 1999, aber dann auch um die Frage der internationalen Beziehungen und der Sicherheitsarchitektur und wieweit dieser NATO-Krieg die internationale Ordnung geschwächt hat. Es ist evident, dass diese Intervention völkerrechtswidrig und ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats war. Sie war gegen die UN-Charta, und in der Folge wurde das Prinzip der territorialen Integrität eines Landes in Frage gestellt. Es ging darum, welche Rolle kleine neutrale Staaten einnehmen müssen. Dabei habe ich dargelegt, dass meiner Meinung nach Serbien derzeit der einzige neutrale Staat in Europa ist: militärisch, politisch und wirtschaftlich. Das ist der Grund, wieso das Land politisch sehr unter Druck steht.

Warum sehen Sie Neutralität als ein Konzept der Zukunft? In Österreich wird es von verschiedenen Seiten mehr und mehr als ein Relikt der Vergangenheit dargestellt.

Neutralität ist der wesentliche Pfeiler der Zweiten Republik und unmittelbares Resultat und Erkenntnis zweier verheerender Weltkriege und des Faschismus. Sie resultiert aus dem antifaschistischen Verfassungsauftrag, Österreich nie wieder als Kriegspartei zu positionieren. Durch den EU-Beitritt wurde die Neutralität eingeschränkt, aber es geht darum, die vorhandenen Spielräume zu nutzen und auch zurückzugewinnen, demokratische Souveränität wieder zu stärken, um als glaubwürdiger Vermittler agieren zu können.

David Stockinger ist Vorstandsmitglied der Solidarwerkstatt Österreich

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