4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 22.04.2024, Seite 1 / Titel
Palästina

Westbank unter Feuer

Flüchtlingscamp belagert: Israelische Armee tötet 16 Palästinenser. US-Repräsentantenhaus billigt Milliardenhilfe für Tel Aviv
Von Wiebke Diehl
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Niemand kann raus: Tag zwei des israelischen Miltiäreinsatzes am Sonnabend in Nur Schams

In Israel zeigt man sich empört: Laut einer Meldung des US-Nachrichtenportals Axios soll Washington in den nächsten Tagen Sanktionen gegen ein Bataillon der israelischen Streitkräfte verhängen. Die Begründung: im Westjordanland begangene Menschenrechtsverletzungen, die sich bereits vor dem 7. Oktober ereignet haben. Die sogenannte Netzah-Yehuda-Einheit würde bei Verhängung der Strafmaßnahmen von militärischer Unterstützung und Ausbildung durch die USA ausgeschlossen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schimpfte die Pläne auf X einen »Gipfel der Absurdität« und einen »moralischen Tiefpunkt«, während »unsere Soldaten die Monster des Terrors bekämpfen«.

Derweil eskaliert die Lage im Westjordanland zusehends: Nachdem bereits am Sonnabend bei einem israelischen Militäreinsatz im Flüchtlingslager Nur Schams in der Nähe von Tulkarem 14 Menschen getötet worden waren, erschossen israelische Soldaten am Sonntag vormittag zwei weitere Menschen, diesmal in der Nähe von Hebron. Nach offiziellen palästinensischen Angaben sind in der Westbank seit Beginn des Gazakriegs mehr als 480 Palästinenser von der israelischen Armee oder durch radikale Siedler getötet worden. Im selben Zeitraum starben nach israelischen Angaben 19 Israelis infolge palästinensischer Angriffe.

Der zweitägige Militäreinsatz in Nur Schams, während dessen Dauer niemand das Lager betreten oder verlassen durfte, war einer der folgenreichsten der vergangenen Monate. Unter den Toten befindet sich nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörden ein 16jähriger. Rettungskräfte seien daran gehindert worden, Verletzten Hilfe zu leisten. In dem Lager fiel der Strom aus, Lebensmittel und Säuglingsnahrung wurden knapp. Ebenfalls am Sonnabend kam bei einem separaten Vorfall der Fahrer eines Krankenwagens ums Leben, als er unterwegs war, um durch gewalttätige israelische Siedler Verletzte abzuholen. In der Westbank begann am Sonntag aus Protest gegen die israelischen Militäreinsätze ein Generalstreik, zu dem unter anderem die Fatah-Bewegung aufgerufen hatte. Tags zuvor war es auch in Israel erneut zu Protesten mit Zehntausenden von Teilnehmern gekommen, die der israelischen Regierung mangelnde Kompromissbereitschaft in den Verhandlungen mit der Hamas zur Freilassung der noch 129 im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln vorwarfen.

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Während Israel seinen Krieg gegen Gaza unvermindert fortsetzt, wird weltweit protestiert: Demonstration am Sonnabend in Barcelona

Anstatt auf Diplomatie und Verhandlungen zu setzen, bewilligte gleichentags das US-Repräsentantenhaus neben Militärhilfen für Taiwan und insbesondere die Ukraine auch für Israel Gelder in Höhe von über 17 Milliarden US-Dollar. Das Geld soll hauptsächlich zur Stärkung des Raketenabwehrsystems »Iron Dome« eingesetzt werden. Neun Milliarden US-Dollar sind als humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung des Gazastreifens vorgesehen, der Nahrungsmittel, Trinkwasser, Medikamente, Strom und Treibstoff mit Hilfe von US-Waffen seit über sechs Monaten vorenthalten werden.

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas nannte das Hilfspaket eine »Aggression gegen das palästinensische Volk«. Schon zuvor hatte er angekündigt, seine Behörde werde die Beziehungen zu den USA überdenken, nachdem Washington mit seinem Veto im UN-Sicherheitsrat eine Vollmitgliedschaft Palästinas verhindert hatte. Das israelische Außenamt hingegen gab bekannt, man wolle die zwölf Botschafter derjenigen Länder, die im Weltsicherheitsrat mit Ja gestimmt hatten, zum »Protestgespräch« zitieren.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (22. April 2024 um 15:33 Uhr)
    Unter gebildeten Menschen ist es unbestritten, welchen bedeutenden Beitrag die arabisch-muslimischen Länder im ersten Jahrtausend der Wissenschaft geleistet haben. Hätte es damals schon einen Nobelpreis gegeben, wäre er zweifellos dem genialsten Gelehrten der islamischen Hochkultur, Al-Birúni, verliehen worden. Heutzutage ist das Wertesystem im Westen deutlich anders geprägt, insbesondere in Bezug auf die Geschichte dieser Länder. Tatsächlich stehen die arabischen Länder im Vergleich zum Westen und seiner Industriellen Revolution auf verlorenem Posten. Dies zeigt sich eindeutig in der Geschichte Palästinas. Anstatt Einheit und Solidarität zu fördern, hat eine Art Lethargie die Oberhand gewonnen. Der Westen hat sie gegeneinander ausgespielt, angefangen bei der Rückkehr der Juden nach Palästina über den irakisch-iranischen Krieg bis hin zum Arabischen Frühling. Immer waren es die Araber, die den Preis zahlten. Nun zum Westjordanland: Wenn überhaupt ein Gebiet von den Juden als ursprünglich ihres beansprucht werden könnte, dann wäre es tatsächlich das Westjordanland. Dies wirft die Frage auf, warum Palästina 1947 anders aufgeteilt wurde. Die Juden hatten historisch gesehen nichts mit der Mittelmeerküste zu tun. Warum also diese Aufteilung? Warum hat Israel mit Unterstützung des Westens von Anfang an eine von der UNO beschlossene Zweistaatenlösung sabotiert? Die Geschichte Palästinas der letzten 77 Jahre lehrt uns, dass Gewalt nur Gegengewalt erzeugt. Es wird höchste Zeit, dass die noch verbliebenen Menschen in dieser Region ein friedliches Miteinander schaffen.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (22. April 2024 um 11:37 Uhr)
    Mit deutschen Waffen Frieden schaffen – in aller Welt! Und morgen werden wir dann behaupten, von all den systematisch verübten Verbrechen, die dort nicht erst seit heute geschehen, nichts gewusst zu haben – oder wie? Ich jedenfalls könnte künftig in keinen Spiegel mehr schauen!

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