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Aus: Ausgabe vom 16.04.2024, Seite 7 / Ausland
Palästina

Pogrome im Westjordanland

Nahostkonflikt: Angriffe auf palästinensische Dörfer durch radikale Siedler
Von Jakob Reimann
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Von radikalen Siedlern zerstört: Ruine eines Hauses in der von Israel okkupierten Westbank (Al-Mughajer, 13.4.2024)

Während die Welt auf die Vergeltungsangriffe Irans gegen Israel und auf eine Schreckensmeldung aus Gaza nach der nächsten blickt, greifen extrem rechte Siedler im Westjordanland seit Tagen palästinensische Städte an. Oft unter dem Schutz israelischer Soldaten, die selbst zu tödlicher Gewalt greifen. Mindestens zehn palästinensische Dörfer wurden am Wochenende angegriffen, berichtet die Onlinezeitung Times of Israel unter Berufung auf die israelische Menschenrechtsorganisation Jesch Din. Die Angriffe umfassten »Steinwürfe, Anzünden von Fahrzeugen und Häusern, Beschuss mit scharfer Munition sowie Tötung und Verstümmelung von Nutztieren«, so Jesch Din in einer auf X veröffentlichten Erklärung. Drei Palästinenser wurden bei den Angriffen getötet, darunter ein 16jähriger, viele weitere wurden verletzt.

Doch seitens der israelischen Sicherheitskräfte gab es demnach weder Festnahmen noch Versuche, die Übergriffe zu unterbinden. Im Gegenteil: Das Video einer Überwachungskamera, das von Jesch Din auf X verbreitet wurde und laut Zeitstempel auf den 13. April datiert, zeigt, wie zwei Personen in einer Garage in Deir Dibwan bei Ramallah ein Auto mit einer Flüssigkeit übergießen und dann in Brand setzen. Im Video sind vier israelische Soldaten zu sehen, die die Szene beobachten und den Brandstiftern Schutz gewähren.

Seit dem Überfall der Hamas und anderer palästinensischer Gruppen auf Militärbasen, Kibbuzim und das Supernova-Musikfestival am 7. Oktober vergangenen Jahres, bei dem laut israelischen Angaben 1.139 Menschen getötet wurden, darunter 766 Zivilisten, nahmen im Westjordanland die teils pogromartigen Angriffe radikaler Siedler auf Palästinenser deutlich zu. Seit dem 7. Oktober töteten Siedler und israelische Soldaten in den illegal besetzten Gebieten mindestens 460 Palästinenser. Mit 507 Getöteten, 81 im Kindesalter, war 2023 das tödlichste Jahr für Menschen im Westjordanland seit Beginn der Aufzeichnungen durch die UN 2005, schrieb Amnesty International im Februar.

Die aktuellen Angriffe wurden durch das Verschwinden des 14jährigen Israelis Benjamin Achimair ausgelöst. Am Sonnabend wurde seine Leiche gefunden. Das israelische Militär spricht von einem »terroristischen Mord«, so die Jerusalem Post, während keine Angaben zu Tatverdächtigen geäußert wurden. Als Vergeltung für den entführten Jugendlichen wurde am Freitag als erstes das Dorf Al-Mughajir überfallen. »Etwa 400 bewaffnete Siedler, die von Militärkräften unterstützt wurden, schossen auf Bewohner, verwüsteten das Dorf und setzten mehrere Häuser und Autos in Brand«, wie Reuters unter Berufung auf den Vorsitzenden des Gemeinderats des Dorfes berichtete. Drei Palästinenser wurden getötet, zehn weitere durch Schusswaffen verletzt.

Auch am Sonnabend zogen Siedler durch das Dorf und zündeten zwölf Häuser sowie mehrere Autos an. Im nahegelegenen Dorf Duma setzten israelische Siedler 15 Häuser und zehn Farmen in Brand, sagte der Vorsitzende des Dorfrats, Suleiman Dawabscha, laut NBC News. »Die Armee kam zwar, doch leider schützte sie die Siedler«, so Dawabscha. Demnach feuerten Soldaten Tränengas und Gummigeschosse auf Palästinenser ab.

Auch das israelische Militär eskaliert seit dem 7. Oktober die Gewalt im Westjordanland. In Szenen, die man aus Gaza kennt, bombardierte die israelische Luftwaffe im Januar die Stadt Dschenin und tötete sieben Palästinenser. Nach einem »militärischen Einfall« in die Stadt Nablus am Montag meldete die palästinensische Agentur WAFA unter Berufung auf Quellen im Rafidija-Hospital, dem größten Krankenhaus der Stadt, den Tod eines palästinensischen Jugendlichen. Drei weitere wurden verletzt. Einem sei mit scharfer Munition in die Brust geschossen worden, so ein Sprecher des Roten Halbmonds. Sein Zustand sei »kritisch«.

Die Sonderberichterstatterin der UNO für die besetzten Gebiete Palästinas, Francesca Albanese, forderte die Weltorganisation am Sonntag auf, »die Entsendung einer Schutzpräsenz in die besetzten palästinensischen Gebiete zu genehmigen, mit dem ausdrücklichen Mandat, Angriffe auf Zivilisten zu verhindern«, wie sie von AFP zitiert wird. »Die israelische Armee hat oft genug bewiesen, dass sie nicht willens oder in der Lage ist, diese Aufgabe zu erfüllen«, so Albanese weiter.

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