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Aus: Ausgabe vom 18.04.2024, Seite 4 / Inland
Geheimdienste

Geld im Schließfach

Spionageprozess in Berlin: Angeklagter BND-Mitarbeiter weist Vorwürfe zurück
Von Kristian Stemmler
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Staatsanwälte und Richter bei der Prozesseröffnung (Berlin, 13.12.2023)

In dem nunmehr seit Dezember andauernden Prozess um angebliche Spionage für Russland vor dem Berliner Kammergericht hat sich am Mittwoch der angeklagte Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, Carsten L., zu den Vorwürfen der Anklage geäußert. »Der Angeklagte wollte und hat den BND nicht verraten«, erklärte Verteidiger Johannes Eisenberg im Namen seines Mandanten. Der 52 Jahre alte L. habe sich keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht. Die Generalbundesanwaltschaft wirft dem BND-Mitarbeiter und dem mitangeklagten 33jährigen Geschäftsmann Arthur E. Landesverrat in besonders schwerem Fall vor. L. soll im Herbst 2022 in zwei Fällen geheime Informationen gegen Bezahlung an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB weitergegeben, E. ihm dabei geholfen haben.

Die belastenden Angaben gegen L. stammen offenbar überwiegend von E., den der Verteidiger von L. im Januar als »hoch manipulativ« und »Hochstapler« beschrieben hatte. E. hatte seinerzeit auch angegeben, er habe V-Mann des BND werden wollen.

In seiner Erklärung vom Mittwoch widersprach L. der Aussage von E. vom Januar, in der dieser ihn schwer belastet und unter anderem behauptet hatte, er, E., habe Material des BND für L. nach Moskau transportiert und übergeben. Im Gegenzug habe er von dort »mit Tesafilm zugeklebte Umschläge« voller Geldscheine mitgebracht. Laut Anklage soll das Duo einen »Agentenlohn« von 450.000 respektive 400.000 Euro bekommen haben.

In seiner Aussage im Januar hatte E., der zeitweise als Diamanthändler aktiv war, außerdem berichtet, wie er L. kennengelernt haben will. Im Mai 2021 habe er L., der damals Referatsleiter beim BND in der Abteilung »Technische Aufklärung« gewesen sei, bei einem Treffen in einem Sportheim in Oberbayern getroffen. Laut Anklage brachte E. seinen neuen Bekannten in Verbindung mit einem russischen Unternehmer, der Kontakte zum FSB unterhalten soll. Bei einem Treffen Mitte September 2022 seien die drei übereingekommen, dem Dienst sensible Informationen des BND zu beschaffen.

L. habe dann zwischen Mitte September und Anfang Oktober 2022 neun Dokumente aus den internen Datenverarbeitungssystemen des Auslandsgeheimdienstes an seinen Dienstrechnern in Pullach und Berlin ausgedruckt oder vom Bildschirm abfotografiert. Das Material habe L. an E., übergeben, der die Daten an den FSB weitergereicht habe. Dazu habe E. sich im September und Oktober 2022 mehrfach mit FSB-Mitarbeitern in Moskau getroffen, behauptet die Anklage. L. wurde im Dezember 2022 in Berlin festgenommen, E. im Januar 2023 bei der Einreise aus den USA in München.

Bei dem angeblich an den FSB weitergereichten Material handelte es sich laut Spiegel um 73 DIN-A4-Seiten aus einer »hochsensiblen« Quelle. Der BND habe, vermutlich über Partnerdienste, Zugang zu internen Chats der Söldnergruppe »Wagner« erlangt. Kurz nach dem angeblichen Verrat seien die Kommunikationskanäle geändert worden.

In der von seinem Verteidiger verlesenen Erklärung erklärte L. am Mittwoch, zu den genannten Zeitpunkten habe es keine Treffen gegeben, bei denen Geheimdokumente übergeben worden seien. Bei dem Geld, das in einem von ihm angemieteten Schließfach sichergestellt worden sei, handele es sich um private Ersparnisse von Carsten L. und seiner Ehefrau.

Bislang sind für den Prozess vor dem 6. Strafsenat Verhandlungstage bis Mitte Juli geplant. Zuletzt zeichnete sich aber ab, dass dies nicht ausreichen könnte. Es sollen noch zahlreiche Zeugen gehört werden, auch vom BND. Beide Angeklagte sitzen seit ihrer Festnahme in Untersuchungshaft. Bei Verurteilung wegen Landesverrats in besonders schwerem Fall drohen lebenslange Haftstrafen.

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