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Aus: Ausgabe vom 17.04.2024, Seite 6 / Ausland
Kroatien

Wahlkampf als Spektakel

So viel war selten los: Kroatiens Präsident will Premier werden, trotz Verbots durch Verfassungsgericht
Von Roland Zschächner
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Verfassungsrechtliche Beschränkungen interessieren Präsident Milanović nicht so sehr (Zagreb, 11.4.2024)

Ein nicht ganz normaler Wahlkampf sei es gewesen, bescheinigte der kroatische Präsident Zoran Milanović seinem Land. Einer der Protagonisten für diese Ausnahmesituation war Milanović selbst. Denn er hatte, als er Mitte März den Termin für die an diesem Mittwoch stattfindenden vorgezogenen Parlamentswahlen verkündete, auch bekanntgegeben, dass er für seine Sozialdemokratische Partei (SDP) als Spitzenkandidat für das Amt des Regierungschefs antreten werde. Zwar wies das Verfassungsgericht das Staatsoberhaupt in die Schranken, was diesen aber nicht daran hinderte, einfach so zu tun, als gäbe es den Richterspruch nicht.

»Ich bin ein Kandidat, aber ich tue so, als wäre ich es nicht, aber ich bin es«, fasste Milanović am Montag zum offiziellen Ende des Wahlkampfs seine Rolle zusammen. Zugleich machte er klar, worum es ihm geht: »In gewisser Weise macht das die Dinge schwieriger, aber ich glaube, dass die Kroaten letztlich das Richtige wählen werden, und das bedeutet alles andere als die HDZ.« Die Kroatische Demokratische Union (HDZ) ist seit 2016 an der Regierung und stellt mit Andrej Plenković den Premierminister. Die rechtskonservative Partei wird laut Umfragen auch erneut die stärkste Kraft werden und mit rund 60 Abgeordneten in den 151 Sitze umfassenden Sabor einziehen.

Doch für die HDZ dürfte es schwer werden, eine Koalition zu bilden. Denn dem von der SDP geführten Oppositionsbündnis »Die Flüsse der Gerechtigkeit kommen« werden rund 40 Sitze vorausgesagt. Außerdem werden andere linke, liberale sowie Minderheitenparteien in das Parlament einziehen. Sie eint die Ablehnung der HDZ. Ob dies ausreichen wird, eine Regierung zu bilden – womöglich unter Führung Milanović’ –, ist offen. Der Sozialdemokrat gehört, auch wegen seiner direkten Sprache, zu den populärsten Politikern in dem 3,8 Millionen Einwohner zählenden Land. So spricht er sich außenpolitisch für eine realistische Haltung im Ukraine-Krieg und Verhandlungen aus.

Innenpolitisch geht es dem Präsidenten hauptsächlich darum, die HDZ zu schwächen. Dazu kann auch dessen Schachzug gezählt werden, die Abstimmung unter der Woche anzusetzen. So wird es den im Ausland lebenden Kroaten, die traditionell eher für die Rechtskonservativen stimmen, erschwert, im Heimatland zu wählen. Ihre Stimme zählt dann nur bei den drei Sitzen für die Diasporakroaten.

Hinter der Auseinandersetzung zwischen Milanović, der immer wieder Plenković und die HDZ wegen Korruption und Misswirtschaft angriff, seien programmatische Diskussionen zurückgedrängt worden, kritisiert Gordan Bosanac am Dienstag gegenüber junge Welt. Bosanac ist Sprecher der links-grünen Plattform Možemo (Wir können es). Diese konnte 2021 bei den Regionalwahlen in Zagreb gewinnen und stellt seitdem dort den Bürgermeister. Bei den Parlamentswahlen wird Možemo ein Dutzend Abgeordnetenplätze im Sabor vorhergesagt, was bei der Plattform die Hoffnung weckt, »eine Koalitionsregierung mit anderen Mitte-Links-Parteien zu bilden«, so deren Sprecher.

Woran sich Možemo indes nicht beteilige, sei das »von den Medien unterstützte Tauziehen zwischen Präsident Milanović und der HDZ«, unterstreicht Bosanac. Man konzentriere sich statt dessen unter dem Slogan »Stell dir ein anderes Kroatien vor« auf den Wahlkampf auf der Straße und im Internet. Dabei setzt die Plattform auf Themen wie »erschwinglichen Wohnraum, eine faire Energiewende und eine umweltfreundliche Industrialisierung«, erläutert Bosanac, der auch für das Parlament kandidiert. Wichtig sei zudem »die Schaffung von Bedingungen, die eine ausgewogene regionale Entwicklung gewährleisten, damit die Menschen in Kroatien bleiben und auch die Rückkehr derjenigen ermöglichen, die bereits gegangen sind«.

Der Wegzug von ausgebildeten jungen Menschen ist ein großes Problem für Kroatien. Dazu trägt nicht zuletzt die schlechte wirtschaftliche Lage bei. So ist die Inflation in dem Adriastaat die höchste im Euro-Raum, im Februar betrug sie 4,9 Prozent; gleichzeitig geht die Industrieproduktion zurück. Vielleicht sind dies dann Themen bei den nächsten Wahlen, etwa im Juni, wenn es um das EU-Parlament geht, oder im Dezember, wenn die Kroaten einen neuen Präsidenten bestimmen können.

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