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Aus: Ausgabe vom 15.04.2024, Seite 1 / Titel
Irans Gegenschlag

Nahost vor Flächenbrand

Iran greift Israel mit Drohnen und Raketen an. Keine größeren Schäden. Sorge vor Eskalation im Nahen Osten
Von Knut Mellenthin
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Iranische Drohne während des Starts am Sonnabend an einem unbekannten Ort

Die Würfel rollen. Eine weitere Eskalation des Regionalkrieges im Nahen Osten ist immer noch nicht zwangsläufig, aber seit dem Wochenende wahrscheinlich. Iran hat in der Nacht zum Sonntag seinen angekündigten Gegenschlag unternommen, nachdem die israelische Luftwaffe am 1. April bei einem Angriff auf das Gelände der iranischen Botschaft in Damaskus sieben Offiziere der Islamischen Revolutionsgarden gezielt getötet hatte. Die Entscheidung des Kriegskabinetts in Jerusalem über eine militärische Reaktion auf die massive iranische Operation wurde für Sonntag abend erwartet.

Nach Darstellung der israelischen Streitkräfte (IDF) setzte die iranische Seite bei ihrem Vergeltungsschlag mehr als 300 Flugkörper ein. Im Einzelnen sollen 170 Drohnen, 120 ballistische Raketen und 30 Marschflugkörper beteiligt gewesen sein. Der IDF-Pressesprecher, Konteradmiral Daniel Hagari, gab an, dass 99 Prozent der Geschosse schon im Anflug zerstört worden seien, ohne den israelischen Luftraum zu erreichen. Das einzige Opfer des Angriffs sei ein siebenjähriges Mädchen in einem Beduinendorf gewesen, das lebensgefährlich verletzt wurde. Außerdem habe es kleine Sachschäden auf einem Militärstützpunkt gegeben.

Drohnen können aufgrund ihrer relativ geringen Geschwindigkeit – im Fall der iranischen »Schahed« zwischen 185 und 240 Kilometer pro Stunde – leicht von Kampfflugzeugen abgefangen und zerstört werden. Daran sollen am Wochenende neben der israelischen Luftwaffe auch Kampfjets der USA, Großbritanniens, Frankreichs und, wie israelische Medien triumphierend hervorheben, Jordaniens beteiligt gewesen sein.

Noch während des Einsatzes veröffentlichte Teherans Vertretung bei den Vereinten Nationen eine Erklärung, dass »die Sache«, gemeint war die Vergeltung für das israelische Mordunternehmen am 1. April, damit aus iranischer Sicht »abgeschlossen« sei. Am Sonntag warnte der Oberkommandierende der Revolutionsgarden, Generalmajor Hussein Salami, dass Irans nächste Reaktion »mit Sicherheit sehr viel härter« ausfallen würde, falls Israel jetzt im Gegenzug iranische Ziele angreifen würde. Dass genau das in den nächsten Stunden oder Tagen geschehen wird, ist allerdings zu erwarten.

Der US-amerikanische Sender CNN behauptete am Sonntag, Präsident Joseph Biden habe dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu in einem Telefongespräch gesagt, dass die USA sich an offensiven Operationen gegen Iran nicht beteiligen würden. Das könnte auf Insiderinformationen beruhen, ist aber nicht offiziell bestätigt. Auf der Website des Weißen Hauses wird Biden lediglich mit einer Bekräftigung der »unerschütterlichen Verpflichtung« der USA auf die »Sicherheit Israels« zitiert. Weiter heißt es dort, der Präsident werde am Sonntag mit den anderen Führern der G7-Staaten zusammenkommen, »um eine gemeinsame diplomatische Antwort auf Irans dreisten Angriff zu koordinieren«. Neben den USA gehören Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien, Kanada und Japan zu der Gruppe.

Am Sonntag abend (Ortszeit) sollte auf Antrag Israels eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats stattfinden. Mit einer einseitigen Verurteilung Irans wurde nicht gerechnet, nachdem China und Russland ihre »tiefe Sorge vor einer gefährlichen Eskalation in der Region« erklärt und »alle beteiligten Parteien zur Zurückhaltung« aufgerufen hatten.

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  • Leserbrief von Christian Helms aus Dresden (15. April 2024 um 14:16 Uhr)
    »Das iranische Regime hat mit seiner Provokation die Region an den Rand des Abgrundes geführt«, so die deutsche Außenministerin am 14. April 2024 in der Tagesschau. Dabei ging es dem iranischen Regime vor allem um die Innenpolitik. Um seine Glaubwürdigkeit gegenüber den eigenen Bürgern und den Verbündeten in der Region nicht zu verlieren, musste es reagieren. Die Tötung hochrangiger iranischer Militärs einfach nur hinzunehmen, war ihnen nicht länger zuzumuten. Dass das iranische Regime dabei eine »Annäherung an den Rand des Abgrundes« vermeiden wollte, zeigen sowohl die Art und der Einsatz der militärischen Mittel als auch die vorherige Ankündigung der »Provokation«. Da war es wohl eher die israelische Regierung, die mit ihren Tötungen im Libanon, im Irak und Syrien die Region »an den Rand des Abgrundes« führt. Zuletzt mit dem Angriff auf das iranische Konsulat in Bagdad. Dazu von der Außenministerin kein Wort.
  • Leserbrief von Reinhold Schramm aus 12105 Berlin (15. April 2024 um 11:13 Uhr)
    Es braucht einen sozialrevolutionären Bürgerkrieg im Iran. Einen Bürgerkrieg gegen den feudal-religiösen Aberglauben und seine Oligarchen. Ohne Einmischung der Wirtschaft-imperialistischen USA, Israels, BRD, GB, FR und Russlands. Ebenso wenig der iranisch-oppositionellen Monarchisten und ausländischen NGOs und deren Partei-, Familien- und Konzernstiftungen; nicht die Böll-Stiftung, Naumann-Stiftung, Ebert-Stiftung, Adenauer-Stiftung wie Seidel-Stiftung; ebenso wenig die Rockefeller-Stiftung und die Ford-Foundation. Die geheimdienstliche, westliche und fernöstliche Beteiligung an der inneriranischen Befreiungsbewegung muss strikt und gewaltsam ausgeschlossen werden. Die antiklerikale, sozialrevolutionäre Befreiungsbewegung muss von der iranischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung ausgehen, einschließlich der inneriranischen, der vereinten kommunistischen und links-sozialdemokratischen Befreiungsbewegungen. Zugleich muss jede äußere, imperialistische, ideologische und militärische Einmischung gewaltsam unterbunden werden.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (15. April 2024 um 16:01 Uhr)
      Nachdem nun mit Emphase geklärt ist, was gemacht werden muss, bleibt nur noch die eher unwichtige Frage: Welche Kräfte sind vorhanden, um dieses Aufgabenbündel in überschaubarer Zukunft wirklich abarbeiten zu können?
    • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (15. April 2024 um 11:57 Uhr)
      In Iran gab es bereits diese Revolution! Während seiner Amtszeit ab 1951 gelang es dem demokratisch gewählten iranischen Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh, die Verstaatlichung der Erdölindustrie durchzusetzen. Damit beendete er das fast 50 Jahre währende britische Monopol auf die Gewinnung, Förderung, Erforschung, Vermarktung und den Verkauf des iranischen Erdöls. In einer verdeckten Militäroperation griffen britische (»Operation Boot«) und US-Geheimdienste (»Operation TPAJAX«) Teile des iranischen Militärs an und entfernten Mossadegh am 19. August 1953 aus dem Amt. Der Wertewesten unterdrückte somit eine aufkommende demokratische nationale Besinnung. Jetzt werden die Folgen bewundert, eine kaum zu übertreffende Heuchelei!
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (15. April 2024 um 10:35 Uhr)
    Über Jahrzehnte hinweg führten Israel und der Iran einen Schattenkrieg gegeneinander. Die Islamische Republik zog es stets vor, im Hintergrund die Fäden zu ziehen und ihre Verbündeten gegen den jüdischen Staat zu mobilisieren. In der Nacht auf Sonntag wagten die Iraner erstmals den direkten Schritt auf das Schlachtfeld, um sich mit Israel direkt zu konfrontieren. Die Folgen dieser Entwicklung sind noch ungewiss. Israel hat unmissverständlich klargemacht, dass es zurückschlagen wird! Damit aber das Tor zu einer möglichen Eskalation steht weit offen. Die akute Gefahr einer unkontrollierbaren Kettenreaktion, die die gesamte Region in den Abgrund reißen könnte, besteht. US-Präsident Joe Biden hat deutlich gemacht, dass die USA Israel uneingeschränkt in der Verteidigung unterstützen, sich jedoch nicht an offensiven Aktionen gegen den Iran beteiligen werden. Die USA wollen nicht in den Konflikt hineingezogen werden, sind jedoch bereits mittendrin. Ohne eine kluge Krisenbewältigung besteht die reale Gefahr, dass die Welt in Flammen aufgeht. Währenddessen versuchte sich Donald Trump im Wahlkampf im »Battleground State« Pennsylvania in Panikmache über den »explosiven Nahen Osten«. Er spottete über Bidens vermeintliche Schwäche und behauptete: »Ich werde, weil nur ich kann, den Dritten Weltkrieg verhindern!«
  • Leserbrief von Frank Lukaszewski aus Oberhausen (15. April 2024 um 08:30 Uhr)
    Der Tenor läuft einerseits auf die Verharmlosung des asymmetrischen iranischen Luftkriegsaktes hinaus. Andererseits wird eine befehlsformnah formulierte Zwangsverpflichtung Israels zu Verhandlungen gefordert. Es geht augenscheinlich primär um die durch den Terrorakt der Hamas am 07.10.23 verursachten Eskalation des Konfliktes mit palästinensischer Bevölkerung. Zu ersterem Aspekt wird leider verschwiegen, dass das islamfaschistische Regime in Teheran auf verschiedenen Ebenen Hand in Hand nicht alleine mit seinen Komplizen der Hamas seit langem – mehr oder weniger offen – Krieg gegen den jüdischen Staat Israel führt. Bekanntes Ziel jener herrschenden Ajatollhas und anderer Unterstützer bis hin zu deutschen Neonazis ist dessen Vernichtung. Hinsichtlich der Aufforderung zu Verhandlungen fehlt realexistierend Konkretes. Bei wem sollte das um seine Existenz kämpfende Israel denn um Gespräche betteln? Muss man etwa mit jenem auf seine Zerstörung hinwirkenden Iran oder gar den Terroristen der Hamas verhandeln? Welche nachhaltigen Lösungen wären erwartbar? Die Existenz Israels steht auf der Agenda. Man sollte jetzt Farbe bekennen!
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (15. April 2024 um 16:11 Uhr)
      Der friedensengelgleiche Staat Israel wird also vom Islamofaschismus bedroht – eine sehr interessante Sichtweise. Allerdings nur, wenn man beharrlich die Geschichte und die Rolle ausblendet, die die USA Israel seit Jahrzehnten auferlegt haben, um den Nahen Osten möglichst ungestört ausplündern zu können. Niemand, wirklich niemand ist in diesem Konflikt engelsgleich, kann es auch nicht sein. Die Aufgabe besteht nicht darin, sich vorbehaltlos auf eine Seite zu schlagen, sondern auf Ausgleich hinzuwirken. Die deutsche Außenpolitik ist dabei leider ein Totalausfall.

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