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Aus: Ausgabe vom 12.04.2024, Seite 8 / Ausland
Palästina-Kongress 2024

»Viele Parteien werden Unterstützung verlieren«

Palästina-Kongress 2024: Über zionistische Propaganda und die deutsche Position zum Völkermord in Gaza. Gespräch mit Lucas Febraro
Interview: Carina Scherer
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Demonstranten in Berlin (30.3.2024)

An diesem Wochenende soll der Palästina-Kongress in Berlin stattfinden. Seit Wochen toben bürgerliche Medien und Politiker deswegen. Warum?

Die Propaganda in bezug auf den Staat Israel ist im allgemeinen Bewusstsein der deutschen Gesellschaft verankert: Dass Zionismus und Judentum das gleiche seien oder das Land Palästina zu Israel gehöre. Die Ironie besteht darin, dass die Legitimation für Israels Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen an der palästinensischen Bevölkerung der von Nazideutschland begangene Völkermord ist. Hinzu kommt, dass Israel und Deutschland seit den 1960er Jahren nach dem »Eine Hand wäscht die andere«-Prinzip agieren: Die BRD unterstützt Israel, im Gegenzug wurde »unter den Teppich gekehrt«, dass Westdeutschland nie denazifiziert wurde.

Wie steht die deutsche Regierung mit ihrer Position im internationalen Vergleich da?

Sie unterscheidet sich nicht sehr von der Position der US-amerikanischen oder britischen Regierung. Abgesehen davon, dass sich hierzulande Politiker wie Baerbock, Scholz und Habeck vor der Kamera maßlos blamieren, weil sie leugnen, was nicht zu leugnen ist.

Kritische Beobachter sprechen in Anbetracht der Repression in Deutschland von einer »undemokratischen Vorgehensweise«. Wie stehen Sie dazu?

Deutschland hat seinen Status als Demokratie bereits verloren. Wir sehen, dass Leute wegen ihrer Beiträge in den sozialen Medien von Hausdurchsuchungen betroffen sind und Künstler gecancelt werden. Wenn du hierher migriert bist und verhaftet wirst, weil du auf der Straße protestierst, kann das negative Auswirkungen auf deine Aufenthaltserlaubnis haben. Die Bandbreite reicht von außergewöhnlich aggressiver Polizeigewalt bis hin zum Verlust der Existenzgrundlage oder der Möglichkeit, im Land zu bleiben.

Wie relevant ist die Position der deutschen Regierung zum Gazakrieg hinsichtlich der EU-Wahlen?

Sehr relevant. Viele traditionellen Parteien werden Unterstützung verlieren, weil sie das Vertrauen von Millionen Menschen verspielt haben. Zusätzlich sind die Rechten auf dem Vormarsch. Die Herausforderung besteht darin, die Leute davon zu überzeugen, dass es sich trotzdem lohnt, wählen zu gehen, und zwar für Parteien, die sich nicht scheuen, zu sagen, dass der Völkermord gestoppt werden muss und Israel ein Apartheidstaat ist.

Wie wahrscheinlich ist es, dass der Palästina-Kongress doch noch verhindert wird?

Es ist durchaus möglich, dass er ohne triftigen Grund abgesagt wird. Es war sogar die Rede davon, internationalen Teilnehmer die Einreise nach Deutschland zu verweigern. Die Polizei kann außerdem behaupten, dass es »Sicherheitsbedenken« gebe – ein Vorwand, mit dem in der Vergangenheit bereits unzählige andere propalästinensische Veranstaltungen verhindert wurden.

Warum wird der Kongress als Bedrohung empfunden?

Er könnte der palästinasolidarischen Bewegung hier noch mehr Auftrieb geben, was als Bedrohung für das »Staatsräson«-Narrativ wahrgenommen wird, das die öffentliche Meinung beherrschen soll. Laut einer Umfrage denkt die Mehrheit der Deutschen, dass die Aktionen der israelischen Regierung in Gaza nicht gerechtfertigt sind. Die Regierung sieht also, dass sie mit ihrem bisherigen Kurs Zustimmung verlieren wird.

Ist es realistisch, dass die Regierung zurückrudert und eine andere Position einnimmt?

Definitiv. Die Frage ist, wie lange es dauern wird. Wie viele Palästinenser müssen noch sterben? 30.000 waren nicht genug. Wird es sich erst ändern, wenn die ethnische Säuberung des Gazastreifens abgeschlossen ist? Es handelt sich um den ersten Völkermord der Geschichte, der live übertragen wird. Wie lange kann eine Bevölkerung auf ihre Handydisplays starren und kommentarlos zusehen, wie Kinder in die Luft gejagt werden? Die öffentliche Meinung wird sich ändern, eine Gesellschaft kann solcher Unmenschlichkeit nicht ewig zusehen. Wenn es so weit ist, werden Baerbock und Konsorten behaupten, sie hätten von all dem nichts gewusst.

Lucas Febraro ist Autor und Kommunikationsdirektor von DIEM 25, einer paneuropäischen Bewegung, die mit ihrer Partei MERA 25 bei den EU-Wahlen antritt

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  • Leserbrief von E. Rasmus (15. April 2024 um 11:58 Uhr)
    Lucas Febraro spricht in dem Interview mit den nachfolgend zitierten Worten eine fundamentale Beziehungswahrheit aus: »Die Ironie besteht darin, dass die Legitimation für Israels Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen an der palästinensischen Bevölkerung der von Nazideutschland begangene Völkermord ist. Hinzu kommt, dass Israel und Deutschland seit den 1960er Jahren nach dem »Eine Hand wäscht die andere«-Prinzip agieren: Die BRD unterstützt Israel, im Gegenzug wurde »unter den Teppich gekehrt«, dass Westdeutschland nie denazifiziert wurde«. Ja, und im (hier dritten Schluss) »Gleich und Gleich gesellt sich gern« gipfelt das inzwischen verwirklichte Verbot des Kongresses unter herbeigesehnt und fadenscheinig gefundenen Gründen durch die SPD-Innensenatorin von Berlin. Die Logik daraus offenbart vier Schlüsse: 1. Der Staat BRD, im konträren Gegensatz zur von ihm vereinnahmten DDR, ist selber unter dem zerschlissenen Mäntelchen der bürgerlichen Demokratie potentiell faschistoid. 2. Der Zionismus ist ein imperialistisch zweckdienliches Gewalt- und Machtinstrument bei der immer wieder neokolonialisierenden Aufteilung durch Teile und Herrsche insbesondere in der Nahosthemisphäre. Die dient auch als Ablenkungsherd von vielen anderen Gelüsten der USA und seiner europäischen EU-Hyänen. 3. »Gleich und gleich gesellt sich gern.« Das demonstriert die allerdings dennoch heterogen von Konkurrenzkämpfen geprägte imperialistische Klasse der Finanz-, Suprakonzern- und Militärdiktaturoligarchie, der der Faschismus wiederum homogen innewohnt. 4. Dem mit Erfolg entgegensetzen lässt sich nur die Proletarierklassenerkenntniswahrheit von Marx und Engels mit der Forderung am Ende des kommunistischen Manifests »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« Darin steht die Aufgabenstellung überhaupt, einfließend im Marxismus-Leninismus mit dem historischen Erfahrungsschatz des ehemals real herrschenden Sozialismus. Nach wie vor wird das nationale Manko deutlich durch den Revisionismus als Basisinstrument für den Opportunismus mit der daraus resultierend immer wieder neu, imperial erfolgreich tödlichen Außen- und innenpolitischen Spaltung der Arbeiter- und Friedensbewegung bis zum bekannten Zitat von Albert Einstein: »Im vierten werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.«
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (12. April 2024 um 14:22 Uhr)
    Deutsche Politik setzt absichtsvoll die Politik von Netanjahu und Ben Gvir mit den wahren Interessen der Bevölkerung Israels gleich. Was wird diese Politik tun, wenn die Stürme der Geschichte diese üblen Gestalten von dannen geweht haben? Frieden in Israel braucht wirklichen Frieden in Palästina. Und im gesamten Nahen Osten. Was ist daran so schwer zu verstehen?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (12. April 2024 um 09:32 Uhr)
    Es gibt eine Website der Gegner dieser Konferenz: www.gegen-terror.org Wer sich die Unterzeichner anschaut, wird (vielleicht wie ich mit Erschrecken) zwei Namen aus der Fraktion der Linken im Abgeordnetenhaus finden – Elke Breitenbach und Klaus Lederer. Zwei Personen, die sich auch für Waffenlieferungen in die Ukraine aussprechen. Und das in trauter Gemeinschaft unter anderem mit Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann und anderen MdBs aus den Regierungsfraktionen und der CDU. Ich lasse das so stehen, bewerten werde ich das hier nicht. Ich schäme mich nur für diese Positionen.
  • Leserbrief von Alinka Seth aus Berlin (12. April 2024 um 00:38 Uhr)
    Da Journalismus auch – historische – Hintergründe untersuchen sollte, möchte ich auf die Politik des Kalten Krieges hinweisen, in der die Muslimbrotherhood, aus der sich auch die Hamas rekrutierte, massiv von CIA und BND unterstützt wurde. Warum sich der militante Islam (basierend auf der Ideologie der Muslimbruderschaft) – nicht nur in arabischen und muslimischen Ländern – ausbreiten konnte, erklärt der Publizist Ian Johnson in seiner Recherche »Die vierte Moschee«; Untertitel: »Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus«. Es gab bekanntlich die Gladio-Truppen (»Stay-behind-Troops«), die sich aus europäischen Faschisten/Nazis rekrutierte. Ähnlich wurden die islamistischen Nazi-Kollaborateure im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion reorganisiert. Einer der Hauptorganisatoren war der Anti-Kommunist Said Ramadan (https://en.wikipedia.org/wiki/Said_Ramadan), der auch die USA bereiste, um Muslime zu organisieren. Dafür bekam er im Juli 1953 – für eine Tagung an der Princeton University – »grünes Licht« und die US-Botschaft in Kairo bereinigte seinen Lebenslauf. »Seine engen Verbindungen zum Großmufti von Jerusalem und seine Angriffe auf Israel wurden weggelassen. Die Botschaft empfahl seine Teilnahme.« (S. 148/149 im Buch). Ziel war es, Muslime für den Kampf gegen die damalige Sowjetunion zu gewinnen, wodurch die Muslimbruderschaft sowohl finanziell wie auch organisatorisch aus- und aufgerüstet wurde. Dies auch auf durch »Irangate« (https://en.wikipedia.org/wiki/Irangate), wodurch – wie auch die Journalistin Loretta Napoleoni in »Die Ökonomie des Terrors« (https://www.deutschlandfunk.de/loretta-napoleoni-die-oekonomie-des-terrors-auf-den-spuren-100.html) beschrieb – insbesondere die Hisbollah massiv gestärkt wurde. Ein weiteres Buch »Eine Moschee in Deutschland« von Stefan Meining beleuchtet die deutsche Seite darin.

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