Grüne draußen, Linke drin
Von Martin Weiser, SeoulSüdkoreas Wahlen haben nur wenig an der Zusammensetzung des Parlaments geändert. Mit 161 Direktmandaten hat die Demokratische Partei weiterhin eine sichere Mehrheit in der Volksvertretung, während die konservative »Bürgerkraft« (PPP) mit 90 Direktmandaten und 18 Sitzen über ihre Parteiliste wieder mehr als ein Drittel der Parlamentssitze kontrolliert. Damit kann der rechte Präsident Yoon Suk Yeol immer noch Gesetze blockieren und braucht selbst bei groben Verstößen erst einmal keine Amtsenthebungsverfahren fürchten. Bereits neunmal hatte er in den vergangenen Jahren sein Veto eingelegt, das vom Parlament nur mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmt werden kann. Für die Einleitung einer Amtsenthebung, über die am Ende das Verfassungsgericht entscheidet, braucht es ebenso die Stimmen von zwei Dritteln der Abgeordneten.
Die Demokratische Partei ist mit ihrer Mehrheit weiterhin nicht auf die Stimmen der wenigen Linken im Parlament angewiesen. Deren Anzahl ist diesmal noch weiter gesunken. Die Grüne Gerechtigkeitspartei flog mit 2,14 Prozent aus dem Parlament, errang nicht ein einziges Direktmandat. Statt dessen wird jetzt die Progressive Partei mit drei Sitzen alle Linken im Parlament vertreten. Im Gegensatz zu den Grünen war sie auf das Angebot der Demokratischen Partei eingegangen, sich einer offenen linken Liste unter dem Namen Demokratische Allianz anzuschließen. Über die Listenplätze fünf und elf ziehen zwei Abgeordnete der Partei ins Parlament ein. In der Stadt Ulsan konnte sogar einer ihrer Kandidaten ein Direktmandat gewinnen. Dort hatte die Demokratische Partei keinen eigenen Vertreter aufgestellt, der linke Kandidat gewann mit passablen 55 Prozent der Stimmen. Son Sol, eine ehemalige Sprecherin der Progressiven Partei, verpasste wiederum mit ihrem Listenplatz 15 knapp den Einzug ins Parlament.
Die Cho-Guk-Reformpartei, die nach ihrem Vorsitzenden benannt ist, war der klare Gewinner der Wahlen. Cho Guk war 2019 für wenige Wochen Justizminister unter Yoons liberalem Vorgänger Moon Jae In, stolperte aber über die eigene Korruption. Er und seine Frau hatten seinen Kindern gefälschte Auszeichnungen und Praktikabescheinigungen besorgt, um ihnen die Aufnahme in prestigeträchtige Universitäten zu erleichtern. Mit 24 Prozent der Stimmen holte seine Partei aus dem Stand vierzehn Mandate über die Parteiliste. Die Anhänger von Expräsident Moon stimmten anscheinend lieber für ihn als für die Demokratische Partei. Dort wirft man dem Vorsitzenden Lee Jae Myeong vor, stets seinen eigenen Leuten Ämter und Posten zuzuspielen.
Über die Dreiprozenthürde kam sonst nur noch die Neue Reformpartei mit knappen 3,6 Prozent. Diese ist eine Gründung des ehemaligen Vorsitzenden der PPP, Lee Jun Seok, der mit Ende Dreißig zum jüngsten Vorsitzenden der Konservativen gewählt worden war und sich mit seinen älteren Kollegen schnell überworfen hatte. Seine Wirkung auf die jüngeren männlichen Wähler reichte anscheinend für den Einzug ins Parlament.
Nach einer Wahl ist es in Südkorea nicht ungewöhnlich, dass Abgeordnete neue Bündnisse schmieden und die Parteien wechseln. Deswegen stehen die letztlichen Kräfteverhältnisse noch nicht fest. Mit so wenigen Abgeordneten hat die Progressive Partei aber nicht viele Möglichkeiten, die Politik zu beeinflussen. Es ist aber schon ein Fortschritt, dass die Linken das erste Mal seit zehn Jahren wieder im Parlament vertreten sind. Im Dezember 2014 hatte das Verfassungsgericht entschieden, die Demokratische Arbeiterpartei aufzulösen.
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