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Aus: Ausgabe vom 11.04.2024, Seite 16 / Sport
Rodeo

Ein synästhetisches Erlebnis

Bullenreiten in Sioux Falls, South Dakota
Von Maximilian Schäffer
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Warten auf die Biester: Rodeoreiter vor der Show (Denny Sanford Premier Center, Sioux Falls, 7.4.2024)

Im Jahr 1874 kreuchte und fleuchte es gar fürchterlich durch Sioux Falls. Ein unglaublicher Schwarm von Felsengebirgsschrecken mähte die Stadt und ihre umliegenden Felder. Das Ungeziefer verdunkelte bis zu sechs Stunden am Tag die brütende Sonne. Die verzweifelte Bevölkerung versuchte alles: Feuer, Schrot und Birkenteer – nichts half. Milliarden von Insekteneingeweiden schmierten bald die Eisenbahnschienen, was eine Flucht von Mensch und Ware aus diesem Kreis der Hölle unmöglich machte. Wo waren die braven Siedler hier nur gelandet?

Heute ist man in der Partnerstadt von Potsdam froh, dass das extreme Wetter das Gesindel fern hält. Die Felsengebirgsschrecke gilt als ausgestorben, aus Kalifornien kommen bislang vergleichsweise wenige ungebetene Gäste. In Sioux Falls, der »besten kleinen Stadt der USA«, 7.400 Kilometer von Preußen entfernt, ist es sicher und ruhig. Die Steuern sind niedrig, die Kriminalitätsrate ist niedrig, die Arbeitslosenzahlen sind niedrig. Während der Westen des durch den Missouri getrennten Staates Süddakota alleine von Kuhherden beherrscht wird (fünf Rinder pro Kopf), gibt es hier im Osten zur Abwechslung Mais und Soja. Im Sommer ist es schwül und heiß, im Winter eiskalt. Frühling und Herbst existieren nur auf dem Papier. Aber selbst hier, in diesem klimatisch unwirtlichen Fleck der USA, stiegen die Immobilienpreise in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 25 Prozent.

Zwei große Multifunktionsarenen stehen in der 214.000-Einwohner-Stadt. In der größten fand das Event der koketten Kuhjungen und ihren massigen Mutproben diese Woche statt. Benannt ist das Denny Sanford Premier Center zum einen nach einem gemeinnützigen privaten Krankenhauskonzern, der auch in Deutschland (Isarklinikum München) investiert. Zum anderen nach einer Privatbank, die ebenso gemeinnützig Kreditkarten an Geringverdienende mit einem Zinssatz von bis zu 80 Prozent herausgab. Bernie Sanders erwähnte sie einst als Negativbeispiel für Armenabzocke in den USA.

Die Eintrittskarten für so einen Abend Bullenreiten sind übrigens halbwegs bezahlbar. Zwischen 25 bis 125 Dollar rufen die Professional Bull Riders (PBR) für ihr Spektakel nächste Woche in Montana auf. Und geht man zu zweit, kostet’s nur die Hälfte. Für das Geld gibt es keine Hologramm­bullen, keine digitalen Pferdeäpfel, kein physisches Playback – dafür ein echt synästhetisches Erlebnis.

Mit allen Sinnen durfte der 19jährige Marco Rizzo erleben, was Bullen­reiten bedeuten kann. Schon in der zweiten Runde des Wettkampfes schleuderte ihn der schwarz gepunktete Badger vom Rücken. Damit nicht genug, blieb Rizzo tragisch mit der Hand im Buckelseil hängen. Badger forderte den armen Jungen zum Tanz auf und nahm ihn ganz unsprichwörtlich auf die Hörner. Zum Ende der Auseinandersetzung liefen beide Spezies auf allen Vieren. Der eine schneller, der andere langsamer.

Cassio Dias zeigte sich in dieser Woche wieder von seiner Schokoladenseite. Er gewann wie selbstverständlich auch das Event in South Dakota und setzt sich nun mit unglaublichen 580,5 Punkten Abstand an der Spitze des Weltfeldes ab.

Für die deutschen Fans dieses Sportes gibt es folgendes zu berichten: Die attraktivsten Bullenreiter traten nicht auf oder versagten. Einzig Thiago Salgado war in seinen weißen Lederhosen beim Schwitzen zu genießen, absolvierte als neunter. Megabulle Man Hater blieb zu Hause. Eine feiste Jungbäuerin mit Zahnspange berichtete eifrig von ihrer innigen Beziehung zum Rindviech Blown Away. Ein Rodeo­clown schlängelte sich auf dem Boden feixend durch die Manege. Das Publikum in Sioux Falls schien allgemein gut amüsiert – die schlimmsten Zeiten sind vorbei und kommen erst noch. Auch in Potsdam. Und da gibt’s nicht mal ein Rodeo.

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