Türkei plant Invasion im Nordirak
Von Tim KrügerNachdem die Regierungskoalition in der Türkei bei den Kommunalwahlen vom 31. März eine schwere Niederlage hinnehmen musste, laufen Vorbereitungen für eine neue Militäroffensive im Nordirak. Die türkische Armee hat seit 2018 wiederholt Vorstöße in die angrenzenden Bergregionen des Nachbarlandes unternommen und leistet sich immer wieder heftige Auseinandersetzungen mit Guerillaverbänden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der Autonomen Region Kurdistan. Zuletzt mussten die Streitkräfte rund um den Jahreswechsel herbe Verluste einstecken, als kurdische Kämpfer eine Reihe von erfolgreichen Überfällen auf Stellungen in den Gebieten nahe der türkischen Grenze unternahmen und dabei zahlreiche Soldaten töteten.
Seitdem am 14. März eine türkische Delegation unter Führung des Außenministers und ehemaligen Geheimdienstchefs Hakan Fidan in Bagdad zu Gast war, befürchten Beobachter eine baldige Ausweitung der Angriffe. Der türkischen Delegation ging es in der irakischen Hauptstadt über einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen hinaus vor allem um ein gemeinsames Vorgehen gegen die PKK im Nordirak. Der türkische Verteidigungsminister Yaşar Güler kündigte nach dem bilateralen Treffen an, dass ein Militäreinsatz ein Gebiet von 30 bis 40 Kilometern in das Landesinnere hinein betreffen werde, und stellte die Einrichtung eines »gemeinsamen Operationszentrums« beider Länder in naher Zukunft in Aussicht. In der Vergangenheit hatte die irakische Zentralregierung sich mehrfach gegen die militärischen Einsätze der Türkei in der Autonomieregion ausgesprochen und die Alleingänge Ankaras als eklatante Verletzung der irakischen Souveränität verurteilt.
Hintergrund der türkisch-irakischen Annäherungen dürften vor allem wirtschaftliche Großprojekte zwischen den beiden Ländern sein. Der Nationalkongress Kurdistan erklärte am Dienstag in einer schriftlichen Stellungnahme, dass »neben Erdoğans üblichem antikurdischen Kreuzzug (…) eines seiner Ziele« sei, »den Weg für eine neue Handelsroute zu ebnen«, das sogenannte Iraq Development Road Project. Das im Frühjahr 2023 verkündete Megaprojekt soll den im Bau befindlichen Hafen der irakischen Stadt Basra am Persischen Golf über ein umfassend ausgebautes Netz von Straßen und Eisenbahnlinien mit der 1.200 Kilometer entfernten türkischen Grenze verbinden. Ein »Knotenpunkt« der Route läge zwischen dem von Jesiden bewohnten Şengal- bzw. arabisch Sindschar-Gebirge und dem selbstverwalteten kurdischen Flüchtlingslager Mexmûr im Nordirak. Das kurdische Exilparlament mit Sitz in Brüssel warnte deshalb vor einem möglichen türkischen Angriff.
Erst vergangene Woche bombardierte eine türkische Kampfdrohne im Şengal-Gebirge ein ziviles Fahrzeug. Es war nicht der erste Angriff dieser Art. Im März war ein Kommandant der Widerstandseinheiten Şengals und im Februar ein jesidischer Familienvater getötet worden. Im Dezember verloren fünf Arbeiter bei einem Luftangriff ihr Leben. Die türkische Regierung rechtfertigt die Aggression gegen Mitglieder der nach dem Genozid durch die Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« (IS) 2014 gegründeten Selbstschutzeinheiten unter Verweis auf deren Nähe zur kurdischen Freiheitsbewegung als »Kampf gegen den Terrorismus«. Doch auch zivile Mitarbeiter der jesidischen Selbstverwaltung werden immer wieder Opfer der völkerrechtswidrigen türkischen Angriffe.
Vergangenes Jahr hat der Deutsche Bundestag die Massaker des IS an der jesidischen Bevölkerung 2014 als Genozid anerkannt. Im Frühjahr 2023 war Außenministerin Annalena Baerbock selbst in die vom Krieg gebeutelte Region gereist, um die Opfer des Völkermords der Unterstützung der Bundesrepublik zu versichern. Trotz der Tatsache, dass auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags wiederholt festgestellt haben, dass die Türkei keine stichhaltigen Beweise vorlegen könne, die ihr Vorgehen völkerrechtlich rechtfertigten, hüllt sich das »grün« geführte Außenministerium bezüglich der Angriffe des NATO-Partners weiterhin in tiefes Schweigen.
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Für die Türkei ging es – damals wie im Grunde auch heute – im Irak darum, gegen die Autonomiebestrebungen der Kurden, besonders ihres von der PKK geführten Flügels, Front zu machen und einen Kurdenstaat, der ein Nachbarstaat der Türkei gewesen wäre, zu verhindern, falls nicht, ihn unter Kontrolle zu halten. Was eine Gründung betrifft, gelang ihr das in der Folgezeit auch. Die Bundeswehr bildet heute den Peschmerga-Flügel der Kurden aus und liefert ihm Waffen. Mit der so betriebenen Spaltung der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung wird auch deren Ausstrahlung auf die rund elf Millionen Kurden in der Türkei Einhalt geboten.