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Aus: Ausgabe vom 10.04.2024, Seite 2 / Inland
Auf der Straße

»Die vorgesehene Räumlichkeit reicht nicht«

Die Lage obdach- und wohnungsloser Menschen bleibt auch nach dem Ende des Winters schwierig. Ein Gespräch mit Angelina Schmidt
Interview: Gitta Düperthal
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Drinnen Leerstand, draußen Menschen ohne Obdach: Ein Betroffener im Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main (16.12.2022)

Wie ergeht es wohnungslosen und auf der Straße lebenden Menschen in Frankfurt am Main, seit Ende März das Winternotprogramm ausgelaufen ist: Wenn der Kältebus nicht mehr unterwegs ist und besondere Notunterkünfte nachts geschlossen sind?

Das Winternotprogramm endet nicht abrupt. In Frankfurt leisten es drei Träger: Diakonie, Caritas und der Frankfurter Verein für soziale Heimstätten, der auch den Kältebus betreibt. Nun endete zwar unser Angebot im Tagesaufenthalt Bärenstraße und das der Diakonie, das Übernachtungsmöglichkeiten vom 15. November bis 31. März geboten hat. Der Kältebus ist noch unterwegs, nur nicht mehr in vorheriger Intensität. Mit unseren vernetzten Strukturen der Frankfurter Wohnungslosen- und Obdachlosenhilfe versorgen wir weiter mit Tagesaufenthalten, Beratung, aufsuchender Sozialarbeit, auch mit dem Pflegebus der Caritas Elisabeth-Straßenambulanz. Die Notübernachtung des Frankfurter Vereins am Eschenheimer Tor ist noch bis mindestens Ende April geöffnet.

Sie meinen die überdachte U-Bahn-Station, wo Obdach- und Wohnungslose mit Schlafsack und Isomatte nächtigen?

Diesen Kälteschutz bietet der Frankfurter Verein im Auftrag der Stadt Frankfurt. Personal gibt dort Schlafutensilien aus, es gibt Toiletten. Die dafür vorgesehene Räumlichkeit reicht nicht.

Kürzlich rief ich den Kältebus an, weil eine Frau in der U-Bahn-Station barfuß und regungslos war. Er kam, gefragt wurde aber: Ja, ist es denn kalt? Müssen Menschen, wenn sie in der Stadt oder U-Bahn-Stationen hilflose Personen sehen, nun Polizei oder Feuerwehr rufen?

Es ist wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger solche Fälle melden, wenn sie sie in der Stadt sehen. Man kann sich zum Beispiel auch an unser Zentrum für Wohnungslose »Casa 21« wenden oder ans Diakoniezentrum »Weser 5« oder an die Übernachtungsstätte Ostpark. Und man kann im Fall von hilflosen Personen die Polizei unter 110 rufen, beim medizinischen Notfall die Leitstelle der Rettungsdienste unter 112.

Menschen, die auf der Straße leben, möchten oft nicht von Polizisten aufgefunden werden, weil diese auch die Identität überprüfen könnten.

Es kann sein, dass es der Person nicht recht ist. Ist sie noch ansprechbar, kann man sie selbst danach fragen. Fragt sie aber eine Ordnungskraft nach einem Notunterkunftsplatz, ist die verpflichtet, ihr bei der Suche danach zu helfen.

Wie ist die Bilanz des Winters? Und wie geht es weiter, etwa im Fall eines Hitzesommers mit mehr als 30 Grad Celsius? Wird es genug Kühlräume geben, wo sich Menschen aufhalten können?

In jedem Winter gilt es, besonders wachsam zu sein. Wenn die Temperaturen nun in der anderen Richtung herausfordernd ansteigen, ist auch das Hilfenetz der Tagesaufenthalte wichtig. Hier können sich Obdach- und Wohnungslose in Räumlichkeiten aufhalten, duschen, erhalten frische Kleidung, Getränke und Mahlzeiten und so weiter. Personen, die sich zulange in der Sonne aufhalten, suchen wir mit Sonnencreme und Wasser auf und bitten sie, in den Schatten zu gehen. Besondere Maßnahmen sind dann generell für alle wichtig, die sich in der Stadt bewegen, vor allem für ältere Menschen. Es wäre eine gute Idee, hierfür auch ein 24-Stunden-Hilfetelefon einzurichten.

Menschen aus Osteuropa, auch solche, die einer Arbeit nachgehen, aber ausgebeutet werden, landen mitunter auf der Straße. Manche haben keine Wohnung, wollen aber ihr Salär in die Heimat schicken, nicht etwa ins Hotel investieren. Gibt es für sie Hilfsangebote?

Personen aus dem europäischen Ausland, die in soziale Notlagen geraten, berät die Multinationale Informations- und Anlaufstelle für neu zugewanderte EU-Bürger*innen, kurz: MIA, von Caritas und Diakonie gemeinsam: etwa bei fehlender Unterkunft, Mietwucher, prekärer Arbeit, medizinischen Versorgungsproblemen.

Wie wirkt die Sparpolitik der Bundesregierung?

Für uns Träger ist spürbar, dass die Haushalte der Kommunen oder des Landes nicht gut gefüllt sind. Ganze Bereiche stehen in Frage, Kürzungen stehen an, Weiterfinanzierung wird nicht mit ausreichend inflationsbedingter Steigerung versehen. Das Wichtigste aus unserer Sicht ist, für genügend Wohnungen zu sorgen.

Angelina Schmidt ist Referatsleiterin des Bereichs Wohnungslosenhilfe des Caritasverbands Frankfurt am Main

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (10. April 2024 um 07:52 Uhr)
    Eines der reichsten Länder der Welt »leistet« sich Zehntausende Obdachlose. Schon das ist schäbig, gehört aber zu den »Werten«, die für Deutschland heilig sind. Hilfsorganisationen sind spärlich ausgestattet, haben Geldnot, »betteln« um Spenden. Allein am Sitz des größten deutschen Waffenherstellers und damit Kriegsprofiteurs Rheinmetall in Düsseldorf leben laut einer Erhebung vom Februar diesen Jahres über 700 Menschen auf der Straße. Und damit bei Rheinmetall und den anderen Waffenschmieden die Champagnerkorken weiter knallen kürzt diese Ampel weiter an allen möglichen und unmöglichen sozialen Programmen, damit wir alle kriegstüchtig werden. Das ist zutiefst asozial. Wollen wir wirklich dieses System »verteidigen«? Und mit den deutschen Waffen werden wie in Gaza oder im Ukraine/Russland-Konflikt weitere Wohnungen zerstört, werden Menschen in die Flucht getrieben, die dann auch hier ankommen. Das muss endlich aufhören! Die Fluchtursache Nummer 1 ist Krieg, gefolgt von Hunger und Perspektivlosigkeit. Und da wundert sich der deutsche Michel, dass in der aktuell vorgelegten Kriminalstatistik (die angezeigte »Verbrechen« dokumentiert, nicht verurteilte Straftäter) die Eigentumsdelikte so zunehmen. Die Ausgrenzung von armen Menschen, die oft dafür gar nichts können (weil sie prekär beschäftigt oder krank sind) treibt diese Menschen in den Überlebenskampf, der dann auch dazu führt, dass Waren des Grundbedarfs statt in den Einkaufskorb in die Jackentasche wandern. Wer diese Erscheinungen im Zusammenhang sieht, muss eigentlich zu dem Schluss kommen, dass das Grundübel unserer Zeit die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist. Und dieses Übel muss beendet werden. Viele Sozialleistungen, die der Staat durch diese kapitalistischen Gesetze gezwungen wird aufzubringen, wären dann gar nicht oder zumindest in viel geringerem Umfang nötig. Und wenn der Staat dann auch noch diese Hochrüstung beendet …

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