4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 09.04.2024, Seite 8 / Ansichten

Denkzettel für Tusk

Von Reinhard Lauterbach, Poznań
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Premier Donald Tusk bei der Stimmabgabe

Auf den ersten Blick ist in Polen nach den Kommunal- und Regionalwahlen alles beim alten geblieben: Die rechte PiS von Jarosław Kaczyński blieb im Landesmaßstab – gemessen an den Mandaten für die Regionalparlamente – mit 34 Prozent stärkste Kraft, die »Bürgerkoalition« von Ministerpräsident Donald Tusk liegt mit 32 Prozent knapp dahinter. Tusk kann sich zwar als Sieger in den Großstädten fühlen – in keiner einzigen von ihnen lag ein PiS-Kandidat vorn, und auch dort, wo Kaczyńskis Kandidaten in die Stichwahl einziehen, starten sie am 21. April mit deutlichem Rückstand auf Bewerber, die direkt von der »Bürgerkoalition« aufgestellt waren oder von ihr unterstützt wurden.

Aber zur Selbstzufriedenheit haben Tusk und die um ihn gruppierten Kräfte der »Koalition des 15. Oktober« keinen Anlass. Der Vorsprung der Liberalen in den Großstädten ist in Polen gesetzt, aber auf dem entgegengesetzten Pol hat sich die PiS auf dem flachen Land und in der Provinz konsolidiert. Sie ist nach wie vor in sechs von 16 Wojewodschaften stärkste Partei – auch wenn mangels Koalitionsfähigkeit nicht automatisch feststeht, dass sie dort auch regieren (und auf die über die Regionen verteilten EU-Fonds zugreifen) kann. Aber das Ergebnis geht weit über das hinaus, was die von der liberalen Presse bestellten Umfragen vor der Wahl hatten erwarten lassen.

Im Stich gelassen hat Tusk in erster Linie der subjektive Faktor. Die Wahlbeteiligung lag mit 51,3 Prozent um fast ein Drittel unter dem Rekordwert vom Oktober, der die jetzt in Warschau regierende ­Koalition an die Macht gespült hatte. Vor allem junge Leute – und unter diesen besonders die Frauen – haben diesmal offenbar keinen Anlass gesehen, zur Wahl zu gehen und den Vertrauensvorschuss für Tusk vom Oktober zu erneuern. Dagegen sind die älteren Jahrgänge erstens diszipliniertere Wählerinnen und Wähler, zweitens sind sie wegen des seit der Wende anhaltenden Geburtenrückgangs zahlenmäßig stärker als die Generation unter 40, und drittens wird Kaczyńskis Partei immer schon eher von Älteren gewählt als von Jüngeren. Zur Demotivierung der jüngeren Wählerschaft dürfte auch Tusks Taktieren in der Frage des Abtreibungsrechts aus Rücksicht auf den Koalitionspartner »Polen 2050« von Sejmmarschall Szymon Hołownia beigetragen haben. Der Frust, dass sich nach einem Regierungswechsel nicht alles innerhalb weniger Monate ändern kann, ist verständlich, zeugt aber von politischer Naivität. Politik ist das Bohren dicker Bretter – auch in Polen.

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